: Leben, wo niemandmehr arbeitet
Hamburg hat zu wenige Wohnungen und kommt mit dem Neubau nicht hinterher. Zwei Genossenschaften wollen deswegen ihre alten Büros umbauen. Das schont das Klima und die natürlichen Ressourcen

Von Quirin Knospe
Der Briefkasten ist schon lange mit braunem Paketband zugeklebt, die Jalousien nach unten gefahren und der Haupteingang mit einem Gitter versperrt. Bis auf einzelne Aktenschränke und dem grauen Teppichboden ist das große Bürogebäude an der Bergedorfer Straße in Hamburg komplett leer. Nur das kleine Firmenschild verrät, was sich im großen Klinker-Haus einmal befunden haben muss. Dort, wo die gemeinnützige Baugenossenschaft Bergedorf Bille noch bis vor wenigen Jahren ihren Hauptsitz hatte, sollen Menschen schon bald schlafen, wohnen und kochen können – denn die Firma plant, ihren alten Bürokomplex in ein Mehrparteien-Haus umzubauen.
Hamburg leidet seit Jahren unter einem Mangel an Wohnungen. Begleitet wird dieser von explodierenden Mieten – Hamburg gehört in Sachen Mietpreisen schon länger zu den Top-Fünf der teuersten Städte Deutschlands. Durch Neubau allein lässt sich das Problem nicht lösen: Auf der einen Seite fehlt in attraktiven Wohngebieten der Platz für größere Bauvorhaben. Hinzu kommen der enorme CO2-Ausstoß und die gestiegenen Rohstoffpreise beim Bauen. Andererseits stehen in Hamburg rund 850.000 Quadratmeter Bürofläche leer, wie aus einer Erhebung der „BNP-Paribas“ hervorgeht. Es läge nahe, einen Teil davon in Wohnfläche zu verwandeln.
Ursprünglich sollte das 1965 errichtete Gebäude der „Bergedorf Bille“ abgerissen und durch einen Neubau ersetzt werden. Doch dann entschied sich die Genossenschaft, die Grundsubstanz zu erhalten: „Die graue Energie ist ja schon da“, erklärt Architekt Holger Diesing, der Projektleiter. Gemeint ist damit die Energie, die für den Transport, die Herstellung, Lagerung und Entsorgung der Baumaterialien des Gebäudes aufgebracht wurde. Sie nicht zu nutzen, wäre unvernünftig. Zumal sich das alte Genossenschaftsbüro optimal eigne.
Im Zuge einer Umfrage zum Bauvorhaben unter den etwa 25.000 Mitgliedern hatte sich der Großteil der Genossenschaft entschieden, sogenannte Clusterwohnungen zu bauen. Demnach werden die alten Büro-Etagen so verändert, dass um eine große Gemeinschaftsfläche herum mehrere Wohnungen angeordnet werden können. Jedes dieser Schlafzimmer enthalte eine kleine Teeküche sowie ein eigenes Badezimmer, „so dass man sich zurückziehen kann, wenn man mal auf die Wohngemeinschaft keinen Bock hat oder krank ist“, sagt Diesing.
Für Familien seien die Wohnungen mit mehreren Zimmern ausgestattet. Die Waschraum, den Aufenthalts- und Arbeitsraum sowie eine große Küche würde sich die Wohngemeinschaft allerdings teilen. So könnten acht WGs mit 32 Wohnungen entstehen. Das Erdgeschoss soll eine teilgewerbliche Fläche bleiben.
Um dieses Vorhaben umzusetzen, plant die Genossenschaft, das Gebäude um drei Geschosse aufzustocken und neu zu dämmen. Auch dabei wolle man so viele Materialien wie möglich erhalten, sagt Diesing. Die abgetragenen Klinkersteine sollen für die Aufstockung genutzt werden, auf einer sogenannten Bauteil-Börse werden gut erhaltene Baumaterialien sowie Lampen verkauft und beim Umbau eingekauft. Denn der klimafreundliche und ressourcensparende Umbau habe für die Genossenschaft von Anfang hat Priorität gehabt, sagt Diesing.
Der Bausektor ist für einen erheblichen Teil der globalen CO2-Emissionen verantwortlich – in Deutscchland sind es etwa 30 Prozent aller Treibhausgas-Emissionen. Laut der Deutschen Umwelthilfe verbraucht die Gebäude- und Baubranche zudem rund 90 Prozent der mineralischen Rohstoffe. Vor allem bei der Herstellung von Zement, Beton und Kunststoffen entstehen viele klimaschädigende Gase. Mit einer solchen Umstrukturierung spare man jedoch nicht nur CO2, man könne in diesem Pilotprojekt zudem untersuchen, wie sinnvoll ein solcher Rückbau und ökologische Materialien für die Baubranche generell seien, sagt Diesing.
Um die Stadt von ihrem Vorhaben zu überzeugen, habe die Genossenschaft bei ihren Exkursionen zu ähnlichen Projekten stets das Verwaltungspersonal mitgenommen: „Wir hatten deswegen von Anfang an die Unterstützung der Behörden“, sagt Diesing. Eine Genehmigung für das eigene Vorhaben solle voraussichtlich noch dieses Jahr erteilt werden, sodass bereits im nächstes Jahr mit dem Umbau begonnen werden könne.
Auf bestimmte baurechtliche Anforderungen könne auch bei einer Umwandlung nicht verzichtet werden, teilt die Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen mit. Dies sei etwa beim Brandschutz und Rettungswegen der Fall. Hinzu kämen „besondere nutzungsbedingte“ Anforderungen, um die Fläche bewohnbar zu machen, wie etwa bei Sanitäranlagen, Belichtung, Barrierefreiheit, oder auch dem Bau von Kinderspielflächen. In manchen Fällen ist auch noch eine Schadstoffsanierung nötig.
All das koste Geld und Zeit – und mache Umwandlungsprojekte für Investoren in der Breite extrem unattaktiv, erzählt ein Projektleiter. Die Kosten pro Quadratmeter sind dabei oft genauso hoch wie bei einem Neubau. Dennoch arbeitet die Behörde daran, die Genehmigung eines solchen Umbaus zu erleichtern.
Im Stadteil Barmbek hat die Hansa Baugenossenschaft diese Möglichkeit ergriffen. Ähnlich wie die Bergedorf Bille plante sie anfangs, ihr altes Büro abzureißen und durch Neubau-Wohnungen zu ersetzen. Nach langer Planung habe man sich dann doch für den Erhalt des Gebäudes entschieden, sagt die Projektleiterin Marion Ebel. Auf 1.500 Quadratmetern Fläche sollen 28 Wohnungen entstehen – der Großteil Sozialwohnungen. Bereits im Oktober 2026 sollen die ersten Menschen in das ehemalige Bürogebäude einziehen können.
Neben der Grundsubstanz des alten Stahlbeton-Skelettbaus, könne man Fenster, Aufzüge und Brandschutztüren erhalten. Einer der dem Umbau beauftragten Architekten hat Ebel zufolge berechnet, dass sich die Genossenschaft durch die Erhaltung etwa 800 LKW-Fuhren spare.
In der Hamburger Politik werden bereits seit einigen Jahren immer wieder Forderungen laut, mehr solcher Umbauprojekte zu starten. Ende Juni forderte die CDU-Bürgerschaftsfraktion entsprechende Pilotprojekte zu fördern: In Großstädten wie Berlin und Frankfurt gebe es bereits einige solcher Projekte. Der rot-grüne Senat lehnte ab, schließlich müsse man gebäudespezifische Eigenschaften und baurechtliche Vorgaben stets im Einzelfall betrachten.
Um sich jedoch zu vergewissern, dass diese Bauprojekte auch in der Hansestadt schnell und erfolgreich umgesetzt werden können, braucht es aber keine Test-Projekte, es reicht ein Blick in die Bogenallee im Stadtteil Harvestehude. Hier hatte ein Architektenbüro bereits vor 20 Jahren auf etwa 3.000 Quadratmeter Bürofläche über vier Etagen 15 Wohnungen gebaut. Das sanierungsbedürftige Gebäude aus den 70er Jahren wurde binnen eines Jahres entkernt und neben einigen Änderungen im Grundriss, mit neuer Haustechnik und einer neu gestalteten Fassade in Form eines Mehrfamilienhauses wieder aufgebaut.
Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen Hamburg
Trotz solcher Beispiele setzt der rot-grüne Senat immer noch auf den Neubau. Die Stadt strebt an, jedes Jahr etwa 10.000 neue Wohnungen zu bauen, um dem Bedarf an Wohnungen in Hamburg gerecht zu werden. Viele leerstehende Büroflächen sind laut der Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen nicht ohne Weiteres geeignet, in Wohnraum umgewandelt zu werden. „Insbesondere in Gewerbegebieten oder an anderen besonders lärmbelasteten Standorten sind Wohnungen mitunter weder sinnvoll noch zulässig“, teilte die Behörde auf Anfrage mit.
Dieses Problem sei allerdings hausgemacht, sagt Diesing von der Bergedorfer Genossenschaft. Bei der Stadtplanung habe man lange Zeit ganze Viertel mit großen Bürokomplexen entworfen. Um solche Büroviertel überhaupt bewohnbar zu machen müsse deutlich mehr getan werden, als es zum Beispiel für das Projekt der Bergedorfer Genossenschaft nötig gewesen sei, sagt Architekt Diesing.
Eine solches weitaus umfassenderes Projekt der Genossenschaft Gröninger Hof zeigt die Grenzen dieser Umbauvorhaben. In einem alten Parkhaus in der Hamburger Altstadt sollen schon in zwei Jahren Menschen in etwa 90 Wohnungen leben können. Neben Ein- bis Sechs-Personen-Wohnungen sollen, ähnlich wie in Bergedorf, mehrere Clusterwohnungen entstehen. Finanziell und ideell unterstützt werde der Umbau von der Stadt, dem Bezirk sowie in Form von Förderkrediten, sagt die Vorständin der Genossenschaft, Annekathrin Bake. Zudem hat die Stadt der Initiative für das Grundstück ein 75jähriges Erbbaurecht gewährt.
Anders als bei den Projekten in Bergedorf und Barmbek, kann beim Gröninger Hof nicht wirklich von einem Umbauprojekt gesprochen werden – zu umfangreich ist das Bauvorhaben mittlerweile geworden. Neben dem Fundament, dem Keller und einer Brandmauer solle beim Umbau lediglich die halbgeschossige Struktur des ehemaligen Parkhaueses erhalten bleiben, sagt Bake. Große Teile des Betons müssen abgetragen werden, da Tau-Salze der Autos die Böden über die Wintermonate massiv beschädigt haben. Der mittlere Bereich der Parkebenen wird nach derzeitigem Plan herausgerissen, sodass ein von den Wohnungen umringter Innenhof entsteht. „Abreißen und neu bauen, sagt Genossenschaftsvorständin Bake, „wäre definitiv billiger gewesen.“
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