Leben und Sterben mit Corona: Das Lachen meines Vaters
Schon vor Corona war klar, dass arme Menschen kürzer leben als wohlhabende. Das hat auch damit zu tun, was man seinem Körper abverlangen muss.
D er Tod ist universell. Aber Menschen gehen unterschiedlich mit der Angst vor ihm um. Während die einen ihr Leben an die Angst anpassen können, tendieren andere dazu, sie zu verdrängen.
Als kürzlich die Frage aufkam, ob besonders viele Menschen mit Migrationshintergrund coronabedingt auf Intensivstationen behandelt würden, habe ich erst geschluckt. Denn die Bild berichtete über eine vermeintliche Aussage des RKI-Chefs Lothar Wieler. Es wäre nicht das erste Mal, dass Corona zum Problem vermeintlich Fremder erklärt wird, siehe Iduna-Zentrum in Göttingen.
Auf den zweiten Blick schien mir die Aussage als nicht so unwahrscheinlich. Eine Umfrage der Zeit zeigt, dass in manchen Krankenhäusern tatsächlich auffällig viele Menschen mit Migrationshintergrund behandelt werden.
Und das lässt mich an meinen Vater denken. Der rief mich im Sommer an, lachte, sagte, er sei mit dem Coronavirus infiziert, und lachte wieder. Baba, warum lachst du? Es sei schon alles gut, er habe keine Symptome, er würde das schon überstehen, antwortete er. Ich verstand es nicht. Wie kann ein Mensch darüber lachen, dass er mit einem tödlichen Virus infiziert worden ist?
Frage der Einstellung
Schon vor Corona war klar, dass sich die Lebenserwartung zwischen der niedrigsten und höchsten Einkommensgruppe bei Frauen um 4,4 Jahre und bei Männern um 8,6 Jahre unterscheidet. Die Gefahr, sich mit dem Coronavirus zu infizieren, steigt mit entsprechend prekären Wohn- und Arbeitsverhältnissen. Mit dem Wissen, dass viele ältere Menschen mit Migrationsgeschichte als Arbeiter:innen in dieses Land kamen, möchte ich eine Hypothese wagen:
Die Infektionsgefahr könnte auch eine Frage der Einstellung gegenüber der eigenen Gesundheit und körperlichen Unversehrtheit sein. Wer sein ganzes Leben unter gesundheitsgefährdendem Körpereinsatz schuften muss, der geht möglicherweise anders mit der Angst vor dem Coronavirus um, weil ihm seine Arbeit einen anderen Umgang mit seinem Körper abverlangt hat als anderen.
In einer Studie über proletarische Migrantinnen ab 50 Jahren, die 2004 für das Familienministerium erstellt worden ist, heißt es, manche der Befragten seien ernsthaften Erkrankungen mit „optimistischer Lebenseinstellung“ und „Kampfgeist“ begegnet, andere mit einem „gewissen Stoizismus“, mit dem sie „das Leben so akzeptieren, wie es kommt“. Erkrankungen würden teils „quasi schicksalhaft hingenommen“.
Vielleicht ist das Lachen meines Vaters, das mich gerade im Kontrast zu der Angst in meinem gegenwärtigen Umfeld verstörte, auch darauf zurückzuführen. Während die einen früh lernen, sich um ihren Körper zu sorgen, müssen andere diese Sorge wegschieben – weil sie sonst gar nicht so leben könnten, wie sie müssen. Als ich seinem Lachen besorgt widersprach, antwortete mein Vater: „Was soll mir denn schon passieren?“
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