Lauterbach startet „Hitzegipfel“: Erst die Hitze, dann der Plan
Immer wieder Hitzerekorde, andere Länder Europas haben längst reagiert. Am Montag beginnen auch hierzulande Beratungen für einen Hitzeschutzplan.
Von 2018 bis 2020 war die hitzebedingte Übersterblichkeit in Deutschland dann drei Jahre in Folge deutlich erhöht. Auch im vergangenen Jahr starben laut Robert-Koch-Institut 4.500 Menschen einen Hitzetod. Und Expert*innen rechnen mit immer mehr, womöglich noch heißeren Hitzewellen.
„Vorbereitet sind wir darauf nicht“, sagt Martin Herrmann von der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit, einer Initiative aus dem Gesundheitswesen.
Länger anhaltende Temperaturen von über 35 Grad gelten als gesundheitsgefährdend. Besonders bedroht von Hitzestress, Hitzeerschöpfung und Hitzetod sind ältere Menschen, Personen mit bestimmten Vorerkrankungen, Schwangere und kleine Kinder. Auch Schlaganfälle und psychische Erkrankungen können Folge großer Hitze sein.
Frankreich reagierte schnell
Frankreich war von der Jahrhunderthitze im Jahr 2003 besonders betroffen. Es starben so viele, vor allem ältere Menschen, dass bei Paris eine Lebensmittelkühlhalle zur Leichenhalle umfunktioniert werden musste. Angesichts dieses Schocks trat in Frankreich bereits im Folgejahr ein nationaler Hitzeschutzplan in Kraft, der bis heute verschiedene Warnstufen vorsieht, mit denen zum Beispiel die Arbeit im Freien eingeschränkt wird und Schutzmaßnahmen in Pflegeheimen eingeleitet werden. Es gibt außerdem in Städten besondere Kälteräume, etwa für obdachlose Menschen.
Deutschland ist – genau wie Frankreich – mit seiner kontinentalen Lage und der hohen Anzahl älterer Menschen – besonders gefährdet für Hitzeereignisse. Doch anders als in Frankreich mit seiner zentralistischen Struktur scheint die Umsetzung eines Hitzschutzplans hier deutlich komplexer zu sein.
Im Jahr 2020 hatte die Gesundheitsminister*innenkonferenz gefordert, in allen Kommunen solle es auf die jeweilige Lage zugeschnittene Hitzeschutzpläne geben. Bis jetzt seien aber nur wenige Kommunen dem nachgekommen, so Lauterbach Mitte Juni, als er die Erstellung eines nationalen Hitzeschutzplans ankündigte.
Die Initiative dafür kommt vor allem von Ärzt*innen und Pflegekräften. So befürchtet Jana Luntz vom Deutschen Pflegerat zusätzliche Belastungen durch Hitzebetroffene in ohnehin schon überlasteten Krankenhäusern und Pflegeheimen. Sie weist auch darauf hin, dass viele Innenräume in diesen Einrichtungen im Sommer zu heiß würden. Martin Herrmann fordert, Hitzeschutz müsse gesetzlich verankerte Pflichtaufgabe werden, mit klaren Vorgaben für Gesundheitseinrichtungen, Schulen, Kitas, der Bauwirtschaft. Auch der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, betonte Mitte Juni die hohe Dringlichkeit. Die Stiftung Patientenschutz fordert Investitionen in Milliardenhöhe, besonders im Gebäudebereich.
Lauterbach startet „Hitzegipfel“
Am Montagnachmittag will Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) nun mit Vertreter*innen aus Kommunen, Ärzteschaft, Pflege und Wissenschaft zusammensetzen, um in einem „Hitzegipfel“ über einen nationalen Hitzeschutzplan zu beraten. Auch Bundesumwelt- und Verbraucherschutzministerin Steffi Lemke (Grüne) wird dabei sein. Vorbild soll Frankreich mit seinem dreistufigen Warnsystem sein. In den kommenden Wochen sollen konkrete Maßnahmen und Vorgaben abgestimmt werden, die anschließend teils noch gesetzlich verankert werden müssen.
Bereits seit der vergangenen Woche veröffentlicht das Robert-Koch-Institut Wochenberichte zur hitzebedingten Sterblichkeit. In Vorbereitung, so das Bundesgesundheitsministerium am Montag, sei außerdem eine vom Ministerium geförderte Webseite der Ludwig-Maximilians-Universität München. Dort sollen Städte und Kommunen, Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen Tipps für Hitzeaktionspläne und Notfallpläne erhalten.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Social-Media-Star im Bundestagswahlkampf
Wie ein Phoenix aus der roten Asche
Mitarbeiter des Monats
Wenn’s gut werden muss
Gerhart Baum ist tot
Die FDP verliert ihr sozialliberales Gewissen
Krieg und Rüstung
Klingelnde Kassen
Jugendliche in Deutschland
Rechtssein zum Dazugehören