Lasche Vorschriften für Medizinprodukte: Stents mit besonderem Risiko
Bei der Zulassung von Medizinprodukten, die im Körper verbleiben, wird nur die technische Funktion überprüft. Das reiche nicht aus, sagen Experten.
BERLIN taz | Brustimplantate, Hüftgelenke, Knieprothesen – nach den Skandalen aus dem vorigen Winter sollen Medizinprodukte, die im Körper bleiben, besser kontrolliert werden. So jedenfalls hatte es der damalige EU-Gesundheitskommissar John Dalli Ende September bei der Vorstellung seiner neuen EU-Verordnung versprochen.
Inzwischen ist Dalli wegen Korruptionsvorwürfen zurückgetreten, seine Verordnung aber droht zu bleiben – und muss nachgebessert werden. Das fordert der Leiter des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), Jürgen Windeler: „Wer die Sicherheit der Patienten ernst nimmt, muss auf Studien bestehen, die den Nutzen des Produkts nachweisen.“
Doch diesen Nachweis verlange die EU-Verordnung nicht, kritisiert Deutschlands oberster Medizinprüfer. Medizinprodukte, so Windeler, dürften auch künftig vermarktet werden, wenn bloß ihre technische Funktionsfähigkeit nachgewiesen sei. Was technisch funktioniere, könne aber dem Patienten schaden.
Wie gravierend die Konsequenzen im Einzelfall sein können, schildert ein 100-seitiger Report zu „antikörperbeschichteten Stents zur Behandlung von Koronargefäßstenosen“ des IQWiG. Beauftragt hatte ihn der Gemeinsame Bundesausschuss, das Gremium der Selbstverwaltung, das über die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung entscheidet.
Windelers Ergebnis: Die antikörperbeschichteten Stents (AK-Stents) bergen ein höheres Risiko für Herzinfarkte sowie neuerliche chirurgische Eingriffe als herkömmliche, medikamentenbeschichtete Stents. Beunruhigend: Bereits seit 2009 wurden die AK-Stents an rund 200 Kliniken in Deutschland eingesetzt bei geschätzt mehr als 1.000 Menschen – ohne dass ihr Risiko für eine schwerwiegende Gesundheitsgefährdung irgendwem aufgefallen wäre.
Verschlossene Herzkranzgefäße
Stents, also Gefäßstützen, dienen der Weitung und Stabilisierung verengter oder verschlossener Herzkranzgefäße und sollen Herzinfarkte verhindern. Die winzigen Röhrchen aus Draht werden oft in den Körper eingesetzt, wenn medikamentöse Therapien nicht erfolgreich waren. Allerdings schützen Stents nicht ewig: Es gibt Patienten, die trotz der Operation ein hohes Risiko haben, dass sich die Gefäße erneut verengen.
Für diese Patienten bieten Hersteller Stents an, die mit Medikamenten beschichtet sind. Die Arzneistoffe, die im Körper freigesetzt werden, sollen das Zellwachstum bremsen und verhindern, dass nachwachsendes Gewebe die Stents erneut verschließt. Weil damit aber zugleich das Einwachsen der Stents im Körper verzögert wird, steigt das Risiko für Thrombosen, was wiederum die Einnahme gerinnungshemmender Medikamente nötig macht.
Als Ausweg setzten nun einige Hersteller auf ein neues Wirkprinzip: Spezielle Antikörper (AK) sollten einwachsende Zellen der Gefäßwand „anlocken“, um ein Deckgewebe zu bilden. Dadurch, so die Hoffnung, wachse das Drahtnetz schneller ein, sinke das Thromboserisiko und damit auch der Medikamentenverbrauch und sinken die Kosten.
Kaum auswertbare Studien
Das Gegenteil ist der Fall: Von drei randomisierten, kontrollierten Studien, die dem IQWiG für seine Beurteilung zur Verfügung standen, waren zwei aufgrund verzerrter Ergebnisse nur eingeschränkt verwertbar.
Die verbleibende Trias-HR-Studie war mit rund 600 Probanden vergleichsweise groß und zeigte: Von den insgesamt 304 Patienten, die einen AK-Stent bekommen hatten, erlitten 13 (4,3 Prozent) einen Herzinfarkt, in der Kontrollgruppe der Patienten mit medikamentenbeschichteten Stents waren es 5 von 318 (1,6 Prozent).
Auch im Hinblick auf erneut nötige Eingriffe fielen die Ergebnisse bei den AK-Stents ungünstiger aus: Waren hier bei 71 von 297 (23,9 Prozent) der Probanden weitere Eingriffe notwendig, mussten in der Vergleichsgruppe bei 51 von 315 (16,2 Prozent) Patienten die Gefäße ein weiteres Mal geöffnet werden.
Offene Fragen bei den Stents
Windeler: „Das Beispiel AK-Stents zeigt, dass es nicht allein auf das Medizinprodukt, sondern auf die Umstände seiner Anwendung ankommt.“ Das komplette Wirkprinzip der AK-Stents stehe in Frage. Es sei auch nicht auszuschließen, dass der Nachteil der AK-Stents auf das frühere Absetzen der Blutgerinnungshemmer zurückzuführen sei.
Alle diese Fragestellungen, so Windeler, müssten künftige Studien zum Nachweis des Nutzens von Medizinprodukten zwingend berücksichtigen – entgegen der Behauptung vieler Hersteller sei dies machbar. Es sei nicht hinnehmbar, dass die Stents eingesetzt würden, obwohl ihr Schaden den Nutzen überwiege.
Der Gemeinsame Bundesausschuss berät nun nach Angaben eines Sprechers über „Konsequenzen“. Für Medizinprodukte, die im stationären Bereich eingesetzt werden, gilt in Deutschland ein Verbotsvorbehalt: Danach sind sie zu erstatten, es sei denn, der GBA verbietet sie explizit.
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