Laptop-Lernen in Corona-Zeiten: Abgehängte Schüler
Ärmeren Schülern fehlt die digitale Infrastruktur, um zu Hause lernen zu können. In Hamburg haben weder Schul- noch Sozialbehörde eine Lösung.
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Sie betreue Schüler, die Anfang Mai Prüfungen für den Ersten und den Mittleren Schulabschluss schreiben müssen. Viele hätten nur Smartphones mit wenig Datenvolumen, auf denen sie nicht mal eine PDF-Datei öffnen können. „Es ist anstrengend, auf diesen kleinen Bildschirmen zu arbeiten. Die schreiben darauf ihre Hausarbeiten ohne Tastatur.“ Das dauere lange und sei schlecht für die Augen. Auch einen Drucker hätten diese Schüler nicht zu Hause.
Sie kenne auch Familien, in denen sich drei Kinder ein Laptop teilen müssen. „In der jetzigen Krise wäre es wichtig, dass jeder Schüler einen eigenen PC hat. Schulbehörde und Sozialbehörde sollten dafür spontan Mittel frei machen“, fordert die Schulsozialarbeiterin, die nicht mit Namen in der Zeitung stehen möchte.
Immerhin gibt es Gerichtsurteile aus anderen Ländern, wonach ein PC mit Drucker und Software im Wert von 600 Euro zum Bedarf eines Schülers gehört, die Jobcenter dies also bewilligen müssten.
Kein Drucker in der Unterkunft
Auch Simone Will von der Organisation Kids Welcome, die bis zur Coronakrise Spielzeiten für Kinder in Unterkünften anbot, sieht Probleme. „Ich bekomme Rückmeldung von vielen ehrenamtlichen Helfern, dass es für Kinder und Eltern schwer ist.“ Nötig wären Muttersprachler, die den Eltern das Homeschooling vermitteln. Auch räche sich, dass nicht flächendeckend stabiles WLAN eingeführt wurde. Denn die Lehrer-Mails verbrauchten oft viel teures Datenvolumen, auch Skypen mit Lehrern sei „schwierig“.
Laut Susanne Schwendkte, Sprecherin des Landesbetriebes Fördern und Wohnen, leben 6.390 Schulkinder in Unterkünften. Jede Familie sei ein eigener Haushalt, ob die Laptops, Schreibtische, Drucker oder WLAN besitzen, erfasse man nicht. Nach Berichten der Kollegen vor Ort hätten die meisten mobiles WLAN oder Sticks. Aber Eltern wendeten sich an die Unterkunftsleitung, wenn etwas ausgedruckt werden müsse. Dann bitte man die Schule, dem Kind die Aufgaben anders zukommen zu lassen.
Die Linke Sabine Boeddinghaus hat auch gehört, das Laptops fehlen. Hier müssten Gelder des Digitalpakts „ad hoc“ ausgeschüttet werden, fordert sie. Was etwas ernüchternd ist: Hamburg bekommt zwar 128 Millionen Euro aus dem Digitalpakt des Bundes, aber die helfen nun wenig. „Wir sind nicht in der Lage, 250.000 Schüler digital auszustatten“, sagt Schulbehördensprecher Peter Albrecht.
Die Digitalisierungsstrategie setzt darauf, die Schulen mit WLAN auszustatten und die Kinder eigene Geräte mitbringen zu lassen. Zwar sollen die Schulen 30.000 Tabletts und Laptops bekommen, um die an Kinder zu verleihen. Doch auch dafür wurde das Geld erst vor Kurzem bewilligt. Einen Überblick, wie viele Schüler zu Hause Geräte haben, hat die Behörde nicht.
Albrecht sagt, jede Schule müsse gucken, wie ihre Schüler lernen, hier sei „Kreativität und Pragmatismus“ nötig. Die Schule Alter Teichweg habe Honorarkräfte eingesetzt, um Papiere zu den Schülern zu bringen. Jedes Kind aus Digitalpakt-Mitteln mit einen Endgerät auszustatten, wäre gar nicht zulässig. Schon die 30.000 habe Hamburg hineinverhandelt.
Eltern müssen Ersatzlehrer spielen
Als der Digitalpakt verhandelt wurde, gab es allerdings auch noch keine Corona-Krise. Sozialarbeiter fordern nun, die Stadt sollte die Jobcenter anweisen, Anträge für Schul-Laptops zu bewilligen. Eine Klage gegen einen negativen Bescheid würde voraussichtlich gewonnen.
Sozialbehördensprecher Martin Helfrich indes sagt, diese Anschaffung sei „vom Regelsatz abzudecken“, werde also nicht bewilligt. Die Schüler müssten zudem durch „die Infrastruktur der Schule“ versorgt werden.
Unterdessen beklagt Maik Findeisen von der Gruppe Parentsmagazin, dass derzeit die Eltern Ersatzlehrer spielen müssen und „sehr im Stress“ sind. „Die Lehrer überschlagen sich mit Aufgaben, weil der Schulsenator sagt, der Unterricht geht normal weiter.“ Die Kinder bekämen zu viele Mails mit Aufgaben, die unkoordiniert einträfen, teils noch um 23 Uhr. „Das ist alles sehr oldschool“, sagt der Vater. „Da ist nichts interaktiv.“ Es räche sich, dass Hamburg keine Online-Lernplattform hat, wo Schüler sich einloggen können, wie im Saarland oder Köln. Nötig wäre auf jeden Fall, die Prüfungen zu verschieben.
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