piwik no script img

Lange Verlobung erwünscht

Neben der Trabantenstadt Marzahn im Nordosten Berlins liegt das brandenburgische Dorf Ahrensfelde. Vor drei Jahren lehnten sie eine Länderehe ab – und heute?   ■  Von Philipp Gessler

Ist das ein Stück Heimat? Das Gemeindezentrum der evangelischen Kirchengemeinde Berlin-Marzahn-Nord soll aussehen „wie ein Zelt“, hatte Pfarrer Christoph Petzold angekündigt. Tatsächlich, das moderne einstöckige Gebäude mitten in der Plattenbau-Wüste der Trabantenstadt im Nordosten der Hauptstadt erinnert ein wenig an Abrahams Heim, ein Symbol des Gestern. Doch wegen ihrer jahrelangen engen Zusammenarbeit mit den Glaubensbrüdern von Ahrensfelde im benachbarten Brandenburg ist die Gemeinde zugleich ein Zeichen für das Morgen: Die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg hat schon vollzogen, was wieder stark diskutiert wird – die Vereinigung Berlins und Brandenburgs.

Diese Fusion war nach einer Volksabstimmung vor gut dreieinhalb Jahren furios gescheitert – vor allem wegen der hohen Ablehnungsquote in den Dörfern Brandenburgs: Die Ahrensfelder wollten damals in Mehrheit nichts mit ihren direkten Nachbarn, den Marzahnern, zu tun haben – aber auch umgekehrt. Fragt sich nur: Warum? Und hätte der Versuch einer neuen Länderehe heute eine Chance?

Pfarrer Petzold sitzt in seinem hellen Kirchsaal und meint: Ja. Für die Kirche sei es „sonnenklar“, dass man für eine Fusion ist, sagt der 48-Jährige – allerdings müsse sich die Politik beim nächsten Mal mehr bemühen, die Vorteile einer Fusion zu vermitteln: „Dazu gibt es keine Alternative.“

Dies meint auch Cornelia Cremer, Leiterin der Quartiers-Agentur Marzahn Nordwest, die im öffentlichen Auftrag den Stadtteil durch die Förderung der Zusammenarbeit vieler Gruppen vor Ort voranbringen soll. Sie glaubt, dass in etwa fünf Jahren „die Zeit reif ist“. Einkaufszentren auf der grünen Wiese in Brandenburg gefährdeten kleinere Läden am Stadtrand Berlins: Bei einer Länderfusion wäre dies leichter zu verhindern. Und schön marxistisch sagt sie noch: „Durch die Praxis wird sich das Bewusstsein verändern.“

Solche Töne sind auch im Quasizentrum Marzahns, dem „Freizeit-Forum“, zu hören. Das erste Haus am Platze dort ist das Malibu – ein Restaurant und Tanzcafé, wo selbst über den Pissoirs zwei Fernseher laufen. Auf dieser „Insel der Träume im Meer der Blöcke“ erklärt der Vertreter Klaus Peter Stammgast den Hauptgrund für die damalige Ablehnung: Viele „Parteibonzen“ lebten hier, die eine Wiedervereinigung ihrer alten Hauptstadt mit dem Umland zu einem neuen „Preußen“ ablehnten. Zudem sei das Votum eine „Trotzreaktion“ gewesen: es denen da oben zu zeigen, dass es die unten noch gibt. Dies Motiv trage aber nicht mehr. Die Sache ginge heute anders aus – dass das mit den Stadtstaaten „alles Käse“ sei, glaubten immer mehr Marzahner.

Inge gehört nicht dazu. Die 62-jährige Pensionärin sitzt im Marzahner Krug, einem Landgasthaus in Alt-Marzahn, dem alten Dorf mit Pflastersteinstraßen mitten zwischen den neuen Plattenbauten. „Wahrscheinlich haben wir gedacht: Bei einer Länderehe würden die staatlichen Fördermittel vor allem nach Brandenburg gehen.“ Vor dem Gasthaus geht Karl Beier mit seinem Rauhaardackel Xaro in der Herbstsonne Gassi. Für ihn war die damalige Ablehnung der Fusion „logisch“, da die hiesigen „SED-Bonzen eben alles blockieren, was zu bremsen geht“. Der 61-jährige Rentner ist für die Fusion, wenn zuvor ein „gewisses Wir-Gefühl“ mit den Brandenburgern entstanden sei: „Dann wächst zusammen, was zusammen gehört.“

Eher pragmatisch sieht es Peter Hackbarth. Vor der tapetengroßen Luftaufnahme seiner Gemeinde sitzt der parteilose Bürgermeister von Ahrensfelde. Die Einwohnerzahl ist seit der Wende von 1.400 auf 3.500 gestiegen. Hackbarth sieht eine Mehrheit für eine Fusion, wenn vor allem eines der Hauptprobleme des Dorfes mit Berlin gelöst sei: der Verlauf einer Umgehungsstraße. Durch die „Dorfstraße“, die Hauptstraße des Ortes, rumpeln in 24 Stunden etwa 28.000 Autos. Berlin will die Trasse nahe am Dorf vorbeiführen, wie er auf der Luftaufnahme schwunghaft zeigt, die Ahrensfelder die Straße ziemlich weit weg haben.

Nüchtern sieht die Sache auch Paul Plume, der die Dorfchronik aktualisiert: „Eine Liebeshochzeit wird das ohnehin nicht“, sagt der 58-jährige Elektroingenieur in seinem Haus am Dorfrand, „für eine Vernunftehe aber müssten beide Länder besser miteinander umgehen“ Wenigstens eine lange Verlobungszeit sollte vereinbart werden. In den Ahrensfelder Gaststuben hält der in Berlin tätige Polizist Thomas Schmidt, vor sich ein Dunkles und ein Handy, dagegen. Er will die Fusion schon allein deshalb, da dann öfter Polizei im Ort sei: Derzeit sei nur zweimal in der Woche ein Schutzmann hier – aus Bernau muss die Polizei sonst kommen: „Bei einem Überfall bin ich bis dahin tot.“

Tacheles wird auch nebenan im billigeren Bistro Imbiss direkt an der Dorfstraße gesprochen: Die Tür des Imbiss ist offen, es ist kalt, und draußen dröhnen die Laster die Dorfstraße hinunter. Die Mehrheit der Ahrensfelder sei nach wie vor gegen die Fusion, sagt der 31-jährige Maler Sven Weidlich – aus „plumper Sturheit“. Das will die Wirtin Christa Riedel nicht so stehen lassen: Man sei von den Berlinern so oft „angeschissen“ worden, dass man keine Fusion wolle. Dies sei die Mehrheitsmeinung damals gewesen, und daran habe sich auch bis heute nichts geändert: Zu viele Fördermittel würden bei einer Fusion nach Berlin gehen – und die Schulden der Hauptstadt wolle man auch nicht.

Der 58-jährige Zimmermann Ingo Krüger gibt mit alkoholrotem Gesicht zu bedenken: Da Berlin jetzt Hauptstadt sei, werde da doch viel „rinjeblasen“: „Können wir nur von profitieren.“ Viele Hauptstädter, sagt Frau Riedel, seien „nur auf sich bedacht“. Sie selber kommt auch aus Berlin, erzählt sie noch – wegen der donnernden Straße nicht leicht zu verstehen. Heimat ist eine seltsame Sache.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen