Landtagswahl in Thüringen: Schnuppern erlaubt
Nach den Wahlen feiert sich Thüringens Linke-Chef Bodo Ramelow. Die Frage ist, wie lange. Mit der CDU dürfte eine Zusammenarbeit schwierig werden.
So ausgelassen, so befreit hat man Bodo Ramelow in den letzten Wochen und Monaten kaum gesehen. Nach 22.30 Uhr am Sonntagabend, als alle Wahlkreise ausgezählt sind, tanzen der Thüringer Ministerpräsident und seine GenossInnen in der Halle eines still gelegten Erfurter Güterbahnhofs zu „Zusammen“ von den Fantastischen Vier. In diesem Moment steht zwar fest, dass die rot-rot-grüne Regierung in Erfurt keine Mehrheit mehr hat. Aber Scheiß drauf: Die Linke hat bei der Landtagswahl abgeräumt, sie steht als Wahlsiegerin fest, mit 31 Prozent. Zum ersten Mal in 30 Jahren stärkste Partei. Yeah!
Am Montagmorgen ist der Rausch noch da, doch die Leichtigkeit ist dahin. Denn ab nun wird es anstrengend und unübersichtlich in Thüringen. Ramelows Linke ist Wahlsiegerin, aber Thüringen steht vor einem Dilemma. Keine der klassischen Konstellationen ergibt eine stabile Mehrheit. Rot-Rot-Grün? Bleibt vier Stimmen unter der absoluten Mehrheit. Jamaika? Reicht nicht. Groko? Vielleicht, wenn man das Wort farblich neu interpretiert. Die Linkspartei von Ramelow und die Thüringer CDU – wäre das nicht die erste ostdeutsche Groko? Zumindest Staatskanzleichef Benjamin Hoff, Linke, lässt diesen Begriff am Montagmorgen im Gespräch fallen. Wie einen Stein ins tiefe Wasser. Mal sehen, welche Kreise er zieht.
In Berlin steht am Montagmittag ein sichtlich müder Mike Mohring neben seiner Parteivorsitzenden. Die Pressekonferenz im Konrad-Adenauer-Haus ist für ihn alles andere als vergnügungsteuerpflichtig. Mohring, gestauchter Thüringer Spitzenkandidat, hat in den zurückliegenden Stunden Präsidium und Bundesvorstand davon zu überzeugen versucht, dass es eine Frage der Vernunft – und der politischen Machtoptionen – wäre, wenn er sich mit Bodo Ramelow mal unterhält. Er finde, sagt er, „die CDU hat einen Auftrag, verantwortlich mit dem Ergebnis umzugehen“.
Annegret Kramp-Karrenbauer sieht das deutlich anders. Ihre Partei hat erst vor einem Jahr einen Unvereinbarkeitsbeschluss sowohl mit der Linken als auch mit der AfD gefasst. Geradezu selbst kasteiend sind ihre Einlassungen an diesem Montag, wie wenig hilfreich die Bundespartei für die ostdeutschen Wahlkämpfer gewesen sei. Aber nun ja, sie nehme „zur Kenntnis“, wenn Mohring Ramelows Gesprächswunsch nachkäme. Mohring kriegt erst mal seinen Willen.
Demokraten sprechen
Drei Kilometer Luftlinie entfernt, rekelt sich zur selben Stunde Bodo Ramelow vor der versammelten Hauptstadtpresse auf seinem Sessel wie ein zufriedener Kater. Gespräche mit der AfD schließt er explizit aus. Aber sonst: „Demokraten reden miteinander und das sollten wir tun. In diesen Gesprächen wird dann entschieden, ob es zu stabilen Mehrheiten kommt.“
Das Plazet seiner Bundesvorsitzenden hat er. Katja Kipping und Bernd Riexinger haben bereits klargemacht, dass sie den Thüringern nicht vorschreiben werden, mit wem sie eine Regierung bilden: Es gehe gar nicht um Farben, sondern ausschließlich um Inhalte, so Riexinger. Hört, hört.
Ramelow spult gleich mal ein paar Vorschläge ab, wie sein kleines Thüringen künftig bürgernäher werden könne. Mehr direkte Demokratie, das Wahlalter auf 16 Jahre senken und Volksabstimmungen zu Gesetzen, die der Landtag zuvor verabschiedet hat, sogenannte fakultative Referenden. Gleich zweimal lobt Ramelow den entsprechenden Vorschlag „von Herrn Mohring“. Alle diese Reformen können ohnehin nur mit einer verfassungsändernden Zwei-Drittel-Mehrheit vom Landtag verabschiedet werden. Ramelow schiebt gleich noch hinterher, dass er eine „zügige“ Wahl zum Ministerpräsidenten im Landtag anstrebe.
Macht hier einer die Tür ganz weit auf? Nein, höchstens ein Fenster. Denn zu Gesprächen mit möglichen Koalitionären lädt nicht der Ministerpräsident ein, sondern die Partei. Und da machte Ramelow klar, dass Mohring nicht mal schnell über den Balkon zu ihm in die Staatskanzlei steigen kann. „Das muss meine Partei entscheiden.“
Mohring sei ein Zocker
Seine Chefin, wie Ramelow betont, die Vorsitzende der Thüringer Linkspartei Susanne Hennig-Wellsow, sitzt neben ihm und versichert:. „Wir sprechen Einladungen an alle demokratischen Parteien aus.“ Noch am Montagabend treffe sich der Landesvorstand, um das formal zu beschließen. Glücklich sieht sie dabei nicht aus.
Die Linke in Thüringen traut Mohring nicht so recht. Er sei ein Spieler heißt es, ein Zocker. Man könne mit ihm nicht seriös verhandeln. Es gehe ihm nicht um Inhalte, sondern nur um sich selbst. Dieses Motiv vermutet man auch hinter seiner aktuellen Offerte. Mohring will sich retten – zur Not in eine Koalition mit der Linken.
Die Frage ist, ob das so zutrifft. Ja, Mike Mohring hat vor fünf Jahren die CDU-Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht wegintrigiert. Und möglicherweise hat er damals tatsächlich mit der Landes-AfD ausgelotet, wie ein Ministerpräsident Ramelow noch verhindert werden könnte. Aber würde er im Jahr 2019 für die persönliche Eitelkeit die geballte Kritik der eigenen Partei, gar den Machtverlust riskieren? Noch vor der montäglichen Präsidiumssitzung in Berlin hatte er erklärt: „Mir sind stabile Verhältnisse wichtiger für das Land, als dass es nur um parteipolitische Interessen geht.“ Und weiter, mit Verweis auf das Ausschlussgebot: „Ich brauche nicht Berlin, um zu wissen, was für Thüringen wichtig ist.“
In der Gremiensitzung soll Mohring dann ultimativ grünes Licht für ergebnisoffene Gespräche mit Ramelow – nicht mit dessen Partei – gefordert haben. Und CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak soll wie bereits am Wahlabend auf den Unvereinbarkeitsbeschluss verwiesen haben. Mohrings Vehemenz mag auf die Parteifreunde auch deshalb irritierend gewirkt haben, als ein Minus von mehr als elf Prozentpunkten nicht einzig am starken linken Ministerpräsidenten gelegen haben kann, sondern eben auch am Angebot der Landes-CDU.
Die Unruhe spaltet
Der Streit im Bundesvorstand war offenbar so heftig, dass der Chef der Jungen Union gleich noch eine Breitseite gegen die Parteivorsitzende fuhr und vor versammelter Mannschaft den Führungsanspruch von Annegret Kramp-Karrenbauer in Frage stellte. Wer jetzt schon gegen ihren Willen die Frage der Kanzlerkandidatur klären wolle, solle auf dem Bundesparteitag Ende November in Leipzig für Mehrheiten werben, sagt sie dazu in der Pressekonferenz. Sie habe darauf verwiesen, dass es in der CDU immer so gewesen sei, dass der Parteivorsitz und das Kanzleramt „in einer Hand“ gelegen hätten – „und zwar aus gutem Grund: Weil dann, wenn das nicht der Fall ist, man die Unruhe spürt, die wir zur Zeit auch in der Partei haben.“
„Die Unruhe“ ist genau das, was die früher mal so breitbeinige CDU aktuell so wacklig erscheinen lässt. Sie ist auch einer der Gründe für die 11,7 Prozentpunkte Verlust der Thüringer CDU. Deren Spitzenkandidat schaut alles andere als erfreut, als seine Vorsitzende sich in für ihre Verhältnisse knurrigem Ton zu den Führungsinterna und der Lage innerhalb der Großen Koalition in Berlin äußert. Mike Mohring bräuchte jetzt Unterstützung für Thüringen, vielleicht für eine Minderheitsregierung in Erfurt. Er bräuchte Antworten auf Fragen nach der Grundrente, nach erneuerbaren Energien oder guter Bildung. Hier in Berlin bekommt er sie offensichtlich nicht.
Gefragt, wo in Gesprächen mit Bodo Ramelows Linker seine rote Linie verlaufen würde, schaut er aus dunklen Augen und sagt: „Ich gehe mit offenem Herzen da hin und höre mir das Gespräch an.“ Bodo Ramelow wird ihm schon was erzählen.
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