Landtagswahl in Brandenburg: Alles okay, Forst?
Bei der Landtagswahl errang die SPD im Städtchen Forst einen komfortablen Sieg. In der Lokalpolitik dominiert allerdings die AfD. Ein Ortsbesuch.
Henri Kunze findet nicht, dass in Forst alles okay ist. Kunze ist in der 17.000-Einwohner-Stadt groß geworden, seit Kurzem lebt er im knapp 25-Kilometer entfernen Cottbus, er ist zum Wählen nach Forst reingefahren. Kunze trägt einen Strohhut mit blauem Band und manövriert sich barfuß an Scherben und Hundehaufen vorbei durch die Stadt.
Der 41-jährige Musiklehrer ist bekannt hier, er hat sich jahrelang in Forst engagiert, besonders für junge Menschen. Kunze grüßt die Leute und die meisten grüßen ihn zurück. Diesen Sommer ist er mit der Initiative „Wann wenn nicht jetzt“ auch durch Forst getourt, um Rassismus und Menschenfeindlichkeit etwas entgegenzusetzen.
Während sich die SPD zumindest landesweit über den knappen Sieg von Ministerpräsident Dietmar Woidke freut, liegt die SPD in Forst mit rund 42 Prozent sogar knapp 12 Prozentpunkte vor der AfD. Alles okay also. Aber in Forst, der Heimatstadt von Dietmar Woidke, sitzen seit diesem Sommer acht AfDler in der Stadtverordnetenversammlung – und stellen damit die stärkste Fraktion.
Den Burgfrieden wahren
„Seit die AfD-Fraktion in der SVV sitzt, ist hier 'ne ganz komische Stimmung“, sagt Kunze. Leute, die vorher mit ihm Projekte auf die Beine gestellt und sich engagiert haben, seien nun zögerlich geworden, „vielleicht aus Angst, dass ihnen Mittel gekürzt werden könnten“. Es gehe darum, den Burgfrieden zu wahren.
Ein bisschen kann Kunze das verstehen, aber die Entwicklung bereitet ihm auch Sorge. In Forst sei die AfD durch ortsbekannte Menschen vertreten. Manche waren früher CDU-Mitglieder, viele betreiben mittelständische Unternehmen im Ort, sind Handwerker oder Arzt. „Leute, denen Vertrauen entgegengebracht wird“, sagt Kunze. Das sei in der Lausitzer Kleinstadt nicht viel anders als in der Bundespolitik: Wer auch wirtschaftlich am längeren Hebel sitzt und Netzwerke hat, sei eben mächtiger.
Kunze meint, dass viele vorher wenig politisch Interessierte heute in der AfD „eine politische Heimat gefunden haben“. Und er denkt, dass die AfD mit ihrer „psychologisch klugen“ Wahlkampagne in Anlehnung an die Wende im Osten einen Nerv getroffen hat. „Da ist eine Euphorie zu spüren. Nach dem Motto: Na endlich wird das Volk gehört“. Und das Volk wird nicht nur gehört, sondern es spricht auch: Rassistische Äußerungen in der Öffentlichkeit seien durch den Erfolg der AfD noch salonfähiger geworden.
Auf Landes- und Bundesebene schließen die demokratischen Parteien eine Zusammenarbeit mit der AfD aus. In Forst ginge das nicht, sagen Daniela Reuter und Thomas Engwicht. Beide sind in den Siebzigern in Forst geboren und sitzen heute für das Bündnis „Gemeinsam für Forst“ in der Stadtverordnetenversammlung, Reuter ist außerdem Vorsitzende der SVV. Ihre Initiative ist mit sieben Mandaten die zweitstärkste Kraft nach der AfD.
„Die Menschen hier sind an Sachpolitik interessiert. Und ich als Vorsitzende kann ja nicht sagen: So liebe Bürger, ihr habt zwar die AfD zur stärksten Fraktion gemacht, aber mit denen rede ich nicht“, sagt Daniela Reuter. „Das haben wir von vornherein gesagt“, ergänzt Engwicht, „wir reden mit allen“. Als die Kandidatenliste für die Wahl zur SVV feststand, sei klar gewesen: „Das sind Forster wie du und ich“. Da sei niemand dabei, den man einen Radikalen nennen könnte. „Das Problem sind natürlich die rechten Randerscheinungen, die bundespolitisch oder auch auf Landesebene in Erscheinung treten“, sagt Reuter. Aber für die Sacharbeit in Forst spiele das aus ihrer Sicht keine Rolle.
Es fehlt vor allem an Geld
Reuter und Engwicht reden vom Haushalt, von Schulden und von Programmen für Rückkehrer*innen in den Ort. Forst habe eigentlich viel zu bieten, es gebe Arbeit und günstigen Wohnraum und immer wieder Konzerte oder andere Kulturveranstaltungen im Ort. Aber es bräuchte eben bessere Bahnverbindungen für Pendler*innen und vor allem schnelles Internet, damit man auch mal entspannt im Home Office arbeiten könne. Und ganz besonders fehlt es in Forst an Geld, zum Beispiel um die Sozialwohnungen altersgerecht modernisieren zu können. Mehr als ein Drittel der Menschen in Forst sind 61 Jahre und älter.
So wie Hermann Kostrewa. Um 19.45 Uhr sitzt der 64-Jährige mit buntem Hemd im Restaurant Bella Italia und bestellt einen Latte Macchiato. Es ist schwül, manchmal grummelt der Himmel in der Ferne, eine Böe schiebt goldgelbe Blätter über die leeren Straßen, kurz fallen ein paar Tropfen, aber alles okay. Kostrewa ist gebürtiger Ostfriese, langjähriger SPDler und lebt seit 1995 in Forst.
Er glaubt die Menschen hier verstehen zu können, weil er selbst zwar nicht von hier, aber auch aus einem „strukturschwachen Gebiet“ stammt. Und er glaubt noch an die SPD, besonders an das Duo Olaf Scholz und Klara Geywitz, das für den Parteivorsitz kandidiert. Ein „erfahrener Mann“ und eine erfolgreiche Ostdeutsche – das würde vermutlich auch in Forst ganz gut ankommen.
Trotzdem ist in der SPD längst nicht alles gut, das weiß Kostrewa. Seine Partei habe ein Profilproblem. Es sei eben ein Unterschied, was in den großen Städten politisch funktioniere und was im ländlichen Raum bei den Menschen ankomme. „In Brandenburg kommt es vielleicht noch mehr auf die traditionellen, klassischen Werte einer Arbeiterpartei an“, meint Kostrewa. Bei Themen wie geschlechtergerechter Sprache würden die Leute hier sagen: „Hör mir auf damit, da hör ich nicht zu.“
Schneller sein als die AfD
Dass die AfD bei den letzten Wahlen so stark abgeschnitten hat, sei „erst mal ein Schock“ gewesen. Nun müsse man in der SVV eben zusammenarbeiten. Wie sich die örtliche SPD gegenüber den Rechten profilieren könne? „Wir müssen eben näher dran sein an den Themen – und wir müssen schneller sein, unsere Themen eher setzen“, sagt Kostrewa. Es müsse klar sein, wer für die Probleme der Bürger*innen sinnvolle Lösungen anbiete. Gleiche Lebensbedingungen in ganz Brandenburg, gute Verkehrsverbindungen, Gesundheitsversorgung, klare Sachpolitik eben.
Auch Rassismus sei in Forst ein Thema. „Es ist schon so, dass da viele Leute Vorbehalte haben. Das gab es auch vor der AfD schon, aber die haben diese Ängste natürlich aufgegriffen“, meint der SPDler. Und dann sagt er, was man oft sagt in diesem Land, egal ob im Osten oder im Westen, wenn man über Zuwanderung spricht, aber zu Rassismus schweigt: „Wir treten auf jeden Fall deutlich dafür ein, dass man offen ist gegenüber Menschen aus anderen Ländern. Wir brauchen ja auch Fachkräfte hier in der Region. Wir müssen aber gleichzeitig auch die Bedürfnisse der Menschen hier ernst nehmen.“
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