Landtagswahl in Brandenburg 2024: Stühlerücken in Potsdam
In einem Jahr wählt Brandenburg einen neuen Landtag. Die Parteien bereiten sich schon darauf vor, wichtige Kandidaturen sind im Kern bereits geklärt.
Mehr als dreieinhalb Jahre regieren die Grünen nun schon wie in Sachsen und bis 2021 in Sachsen-Anhalt mit SPD und CDU. Wegen der gleichfalls rot-schwarz-grün gefärbten dortigen Nationalflagge läuft das Ganze unter „Kenia-Koalition“. Ein Vierteljahrhundert hatten die Grünen in Brandenburg darauf warten müssen, erstmals seit 1994 wieder Minister zu stellen. Wenige Wochen vor der Wahl am 1. September 2019 lagen sie sogar fast gleichauf mit SPD und CDU, der Posten der Ministerpräsidentin schien in Reichweite.
Daraus wurde nichts, und dennoch war der Jubel groß, als die Brandenburger Grünen am Wahlabend erstmals in ihrer Geschichte ein zweistelliges Ergebnis holten. Die Grüne Jugend wollte zwar lieber mit der Linkspartei statt mit der CDU koalieren. Doch das hatten die Grünen nicht in der Hand: Mit der CDU zusammenzugehen, war eine bewusste Entscheidung von Ministerpräsident und SPD-Landeschef Dietmar Woidke, die sich schon am Wahlabend andeutete.
Woidke wird die Sozialdemokraten, wenn nichts dazwischen kommt, auch 2024 in die Wahl führen. Bei einem Jahresrückblick mit Journalisten wirkte er im Dezember fast ein bisschen überrascht, dass er von der taz die Frage nach einer erneuten Spitzenkandidatur überhaupt gestellt bekam – „Ich hoffe, ich mache nicht so einen amtsmüden Eindruck“.
Die dritte Spitzenkandidatur
Es wäre die dritte Spitzenkandidatur für den dann 62-jährigen Woidke, der 2013 Ministerpräsident wurde, als sein Vorgänger Matthias Platzeck nach einem Schlaganfall zurücktrat. Während so Kontinuität die Staatskanzlei prägt, ist Woidkes SPD-Fraktion im Landtag von zahlreichen Führungswechseln geprägt. In den vergangenen zehn Jahren gab es fünf Fraktionschefs – im Berliner Landesparlament dagegen führt seit zwölf Jahren ein und derselbe, nämlich Raed Saleh, die SPD-Abgeordneten an.
Der bislang letzte Wechsel Ende 2021 war besonders auffällig: Amtsinhalber Erik Stohn trat zur Wiederwahl nicht an und warf seinem Nachfolger Daniel Keller „rücksichtsloses Beiseiteschieben“ vor. „Man empfindet das schon als Verrat, wenn Menschen, die man sehr gefördert hat, einem dann in den Rücken fallen“, klagte Stohn damals in der Märkischen Allgemeinen.
Keller gilt als durchaus machtbewusst und als einer, der sich auch Ministerpräsident vorstellen kann. Der Widerstand seiner Fraktion führte Mitte April dazu, dass die langjährige SPD-Bildungsministerin Britta Ernst zurücktrat: Ihre Pläne, mit dem Lehrermangel in Brandenburg umzugehen, fanden dort keinen Rückhalt. Das Pikante: Ernst ist die Frau von Bundeskanzler Olaf Scholz, mit dem sie auch in Potsdam wohnt.
Während es bei der SPD also zu Veränderungen in Toppositionen gekommen ist, ist es bei der CDU seit Beginn der Wahlperiode überraschend ruhig geblieben. Damals war das in Potsdam aus früheren Jahren bekannte Bild der „CDU-Schlachteplatte“ zuletzt bemüht worden: Wegen des enttäuschenden Wahlergebnisses – und auch wegen seiner Offenheit für ein Bündnis mit der Linkspartei – sägten die Christdemokraten wenige Tage nach der Wahl 2019 ihren Partei- und Fraktionschef ab.
Jan Redmann, CDU-Fraktionschef
Sein Nachfolger an der Spitze der CDU-Abgeordneten, Jan Redmann, hat sich seither fest etabliert und in diesem Frühjahr auch den Posten des Landesvorsitzenden von Innenminister Michael Stübgen übernommen. Der hatte zuvor klar gemacht, dass er die Spitzenkandidatur 2024 nicht wollte. Neu am Verfahren war, dass die CDU der Wahl Redmanns bei einem Parteitag erstmals eine Mitgliederbefragung voranstellte. Der neue CDU-Chef will Woidke und die SPD erstmals seit 1990 an der Spitze Brandenburgs ablösen und macht klare Ansagen in diese Richtung – „Es ist nicht gottgegeben, dass dieses Land SPD-regiert wird“, so Redmann beim Parteitag.
Fehlverhalten bei den Grünen
Weil tendenziell eher auf der vegetarischen Seite unterwegs, passt das Bild mit der „Schlachteplatte“, ursprünglich ein Teller mit diversen Fleischstücken frisch aus der Schlachtung, nicht gerade zu den Grünen. Inhaltlich aber traf es im Februar voll zu: Co-Vorsitzende Julia Schmidt musste gehen, der restliche Landesvorstand um Co-Chefin Alexandra Pichl warf ihr „wiederholte Fälle untragbaren Fehlverhaltens“ vor, ohne konkreter zu werden. Schmidt selbst twitterte damals, sie ziehe sich zurück und stehe nicht für eine Spitzenkandidatur 2024 zur Verfügung – wobei keine andere führende Stimme sie offiziell überhaupt in dieser Rolle gesehen hatte.
Was im Detail vorgefallen ist, mag auch ihre Ende April gewählte Nachfolgerin beim Gespräch mit der taz nicht sagen. „Ich merke, dass das in unserer Partei kein großes Thema mehr ist“, sagt die erst 25-jährige Hanna Große Holtrup, eine Juristin, die zuvor als Referentin in der Landtagsfraktion gearbeitet hatte. Der Parteivorstand, so die neue Co-Chefin, stehe den Mitgliedern aber „natürlich nach wie vor für Fragen und Antworten dazu zur Verfügung“.
Keine Alternative zu Kenia
Gegenwärtig gibt es zu einer Fortsetzung der aktuellen Kenia-Koalition nach der Wahl 2024 keine realistische Alternative – Rot-Grün-Rot kommt in Umfragen nicht auf eine Mehrheit. Das liegt vorrangig daran, dass gut ein Viertel der Stimmen geblockt ist durch die AfD, mit der keine andere Partei zusammenarbeiten mag. Lag sie im Jahr 2022 bei 17 bis 18 Prozent, liegt sie seit vergangenem Herbst konstant bei 23 bis 25 Prozent.
Hört man sich dazu im Potsdamer Landtag um, jenem außen so historisch aufwändigen, innen schlicht weiß-modernen Schloss-Wiederaufbau, so taucht öfter folgende Feststellung auf: Es seien nicht wirtschaftliche Nöte, die so viele Brandenburger für die AfD stimmen lassen. Da würden gerade in südlichen Gegenden des Landes, so ist etwa zu hören, Leute neben dem SUV vor ihrem Haus stehen und schlicht jegliches Gespräch mit Vertretern der von ihnen und der AfD so eingeordneten „Altparteien“ verweigern.
Wirtschaftlich steht Brandenburg dabei außergewöhnlich gut da. 2022 war das Wirtschaftswachstum von 3,3 Prozent der höchste Wert aller ostdeutschen Flächenländer und lag selbst über den Werten von Bayern und Baden-Württemberg. Vor allem das produzierende Gewerbe boomte dabei. Das hat über Zulieferbetriebe viel, aber nicht nur mit der Ansiedlung des US-Autobauers Tesla 2020 in Grünheide am östlichen Berliner Stadtrand zu tun. Brandenburg, so wurde jüngst bekannt, bemüht sich auch um eine mögliche Ansiedlung des Rüstungskonzerns Rheinmetall.
Im Landtag ging es in einer der letzten Plenarsitzungen vor der Sommerpause vorrangig um wehrhafte Demokratie, den RBB und Kontrollen an der polnischen Grenze. Das im Treppenhaus so sterile Weiß wird im Plenarsaal aufgebrochen durch die roten Sitze der 88 Parlamentarier – weit weniger als im Berliner Abgeordnetenhaus, das aktuell 159 Mitglieder hat. Anders als dort sind im Landtag auch die Freien Wähler vertreten, in einer Fraktion mit der BVB, der Brandenburger Vereinigten Bürgerbewegungen. Sie thematisieren an diesem Tag vor allem den RBB-Skandal. Die FDP gab es hier zuletzt 2014.
Für die Grünen sitzt Benjamin Raschke als Co-Fraktionschef in der ersten Reihe der Abgeordneten – noch. Denn er ist der mutmaßliche Spitzenkandidat für die Wahl im Herbst nächsten Jahres und danach möglicher Minister, weil die beiden bisherigen grünen Kabinettsmitglieder Axel Vogel und Ursula Nonnemacher sich dann mutmaßlich zurückziehen.
Zwar weist die neue Parteichefin Große Holtrup darauf hin, dass über die Kandidatenliste für die Wahl erst ein Parteitag im nächsten Frühjahr entscheidet. Doch die Tendenz scheint klar. Als Raschke sich beim Parteitag Ende April für die Spitzenkandidatur anbot, hatte er gleich Brandenburgs bekannteste Grüne hinter sich, nämlich die frühere Landesvorsitzende und jetzige Außenministerin: „Ich glaube“, sagte Annalena Baerbock, „du bist der Beste, der uns in den nächsten Wahlkampf führen kann.“
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