Lage am AKW Saporischschja: Sorge vor atomarem Unfall
Russische Streitkräfte evakuieren mehrere Städte in der Region Saporischschja. Die IAEA ist wegen der Lage im Atomkraftwerk alarmiert.

Das AKW Saporischschja, Europas größtes Kernkraftwerk, ist seit dem 3. März 2022 unter russischer Militärkontrolle und gerät immer wieder unter Beschuss. Das AKW liegt an der russisch-ukrainischen Frontlinie in der südukrainischen Region Saporischschja. Das AKW ist derzeit nicht in Betrieb und erhält lediglich Energie von ukrainischer Seite, um die Reaktoren am Laufen zu halten.
Seit Freitag ordnen russische Besatzungstruppen in mehreren Städten Evakuierungen an, was die Experten der IAEA alarmiert. Die meisten ukrainischen Technikmitarbeiter des Kraftwerks Saporischschja leben mit ihren Familien in der nahe gelegenen Stadt Enerhodar, wo ebenfalls eine Evakuierung gestartet werden soll. Die Experten der IAEA konnten die Stadt in den letzten Tagen nicht besuchen.
Der Direktor des AKWs Saporischschja, Juri Tshernichuk, erklärte jedoch öffentlich, dass das Betriebspersonal nicht evakuiert werden soll, „um die nukleare Sicherheit zu gewährleisten“. In der offiziellen Stellungnahme am Samstag fügte Grossi hinzu: „Wir beobachten die Situation genau im Hinblick auf mögliche Auswirkungen auf die nukleare Sicherheit und Sicherung. Wir müssen jetzt handeln, um die Gefahr eines schweren Atomunfalls und die damit verbundenen Folgen für die Bevölkerung und die Umwelt zu verhindern.“ Das IAEA-Betriebspersonal von vor Ort berichtete am vergangenen Freitagabend von regelmäßigem Granatenbeschuss.
70.000 Menschen betroffen
Laut dem von Moskau eingesetzten Verwaltungschef der Region Saporischschja, Jewgeni Balizki, sei es notwendig, dass die Bevölkerung in Sicherheit gebracht wird, da es in den vergangenen Tagen zu vermehrten ukrainischen Bombenangriffen kam. Eine Teilevakuierung von 18 von Russland besetzten Ortschaften in der Region Saporischschja hat Balizki am Freitag angeordnet – neben Enerhodar, in Städten wie Tokmak, Polohy, sowie in den Großsiedlungen Kamjanka und Rosiwka, die bis zu 40 Kilometer hinter der aktuellen Frontlinie liegen.
Betroffen seien Patienten von Krankenhäusern, Behinderte, Familien mit Kindern und ältere Menschen. Nach Angaben der russischen staatlichen Nachrichtenagentur Tass planen die russischen Behörden eine Evakuierung von circa 70.000 Menschen. Auch das wichtige Industriezentrum Melitopol soll evakuiert werden. Im Kurznachrichtendienst Telegram erklärte Bürgermeister Ivan Fedorow, dass die angekündigte Evakuierung „viel zu schnell“ verlaufe. Melitopol liegt etwa 60 Kilometer nördlich des Asowschen Meeres. Seit Freitag hätten sich lange Warteschlangen an der Straße von Melitopol zur Krim gebildet. Nach Angaben von Fedorow fahren alle 30 Minuten Busse ab.
Laut dem Telegramkanal Real Saporischschja gibt es in den besetzten Bezirken Molotschank und Tokmak einige Eltern, die ihre Kinder vor russischen Soldaten verstecken. Laut dem mit US-Geldern finanzierten russischsprachigen Medienportal Current Time berichten zudem Einheimische, dass die evakuierten Ukrainer*innen zunächst nach Berdjansk (Ukraine) und von dort nach Rostow am Don (Russland) gebracht werden sollen. Familien, die sich weigern, ihre Kinder zu evakuieren, werden die Sozialleistungen von den russischen Militärs entzogen, so das Medienportal.
Im März letzten Jahres hatte der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski vor einer größeren Katastrophe als Tschernobyl gewarnt, sollte das Kraftwerk „in die Luft fliegen“. Saporischschja verfügt über sechs große Reaktoren mit jeweils 950 Megawatt. Im vergangenen September hatte die IAEA ihre erste Kommission in das AKW entsendet. Damals hatten sowohl die Ukraine als auch Russland eine offizielle Inspektion seitens der UN-Atombehörde in Saporischschja gefordert.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Alles zur Bundestagswahl
Lindner und die FDP verabschieden sich aus der Politik
Sauerland als Wahlwerbung
Seine Heimat
Pragmatismus in der Krise
Fatalismus ist keine Option
Erstwähler:innen und Klimakrise
Worauf es für die Jugend bei der Bundestagswahl ankommt
Totalausfall von Friedrich Merz
Scharfe Kritik an „Judenfahne“-Äußerungen
Wahlergebnis der AfD
Höchstes Ergebnis für extrem Rechte seit 1945