Lärm durch Windkraft: Watt is immer

Der Windkraftbetreiber Norderland will das Nachtbetriebsverbot für einige Windanlagen aufheben lassen. Anwohner beklagen höhere Lärmbelastungen.

Sollen auch nachts Geld einspielen: Windräder in der Gemeinde Utarp Foto: Helmut Burmann

LEER taz | Es zwuscht und rauscht – ununterbrochen. Zwischen Norden und Wilhelmshaven an der ostfriesischen Nordseeküste ballen sich industrielle Windenergieanlagen. Und das direkt angelehnt an Naturschutzgebiete und das Weltnaturerbe Wattenmeer. Dörfer wie Utgast, Utarp und Roggenstede sind von Rotoren geradezu umzingelt.

„Der Lärm der Anlagen macht uns krank“, sagt Kerstin Harms, Sprecherin der Bürgerinitiative Roggenstede. Deswegen gibt es jetzt erneut Ärger mit dem Windkraftbetreiber Johann Eisenhauer. Der mit Finanzwelt, Lokalpolitik und dem Auricher Windanlagenbauer Enercon bestens vernetzte Chef der Norder Firma Norderland möchte einige Anlagen im Landkreis Wittmund auch nachts rotieren lassen.

Vertrag schließt Nachtbetrieb aus

Um die Windanlagen überhaupt in Utarp, Samtgemeinde Holtriem (Landkreis Wittmund) bauen und aufstocken zu können, hatten der Betreiber Norderland und die Samtgemeinde Holtriem einen Vertrag geschlossen. In diesem Vertrag verzichtet Norderland auf einen Nachtbetrieb. Der Grund: Die Anlagen machen zu viel Lärm.

Jetzt hat Norderland aber eine Zulassung des Nachtbetriebes beim zuständigen Landkreis Wittmund beantragt. „Wir sind kein Vertragspartner von Norderland. Wir entscheiden selbstständig nur nach dem Bundesimmissionsgesetz“, stellt Landkreissprecher Ralf Klöker klar. „Damit ist unser Vertrag möglicherweise gegenstandslos“, befürchtet die Bürgermeisterin der Samtgemeinde vor der Presse. Ein am Dienstagmittag angesetzter Gesprächstermin mit dem Landkreis, der Firma Norderland und Einwendern gegen den Nachtbetrieb nährt diese Befürchtungen. „Es wurde viel geredet. Es wurden vom Betreiber merkwürdige Messdaten präsentiert“, BI-Sprecherin Harms frustriert. „Wir Anwohner der Windparks werden wieder mal nicht ernst genommen.“

Norderland begründet seinen Antrag mit den vielen Ausfallzeiten der Windmühlen tagsüber. Verantwortlich dafür sei, neben mangelndem Wind, das Management des nahe gelegenen Militärflughafens Wittmundhafen, so Norderland. Fliegen die Tornados müssen, die Windräder still stehen. „Die mangelnde Auslastung der Windparks bei Tage treibt den Betreiber möglicherweise in die Insolvenz“, erklärt Betreiber Eisenhauer. „Wir müssen profitabler produzieren, das heißt, die Anlagen müssen auch nachts laufen.“ Nach Angaben des Landkreises Wittmund haben elf Einwender gegen die Aufhebung des Nachtbetriebes Einspruch erhoben. Hinter diesen Einwendern stehen aber jeweils ganze Dorfgemeinschaften.

Rotoren sollen ruhen

Um dem Ärger im Vorfeld die Spitze zu nehmen, bot Norderland an, bei Nordwind die Anlagen doch noch abzuschalten. Damit würden einige Dörfer aus dem Schallkorridor fallen. Der Wind weht an der Küste aber regelmäßig aus entgegengesetzter Richtung. „Unser Dorf ist mitten in den Schallwellen drin“, empört sich Harms von der BI Roggenstede.

Um das Ausmaß der Lärmbelästigung gibt es seit Langem Gerangel. Norderland hat dem Antrag auf Nachtbetrieb neuere Messdaten beigelegt. Ergebnis: Die Lärmbelästigung sei unbedenklich. Die BI Roggenstede hatte schon früher ein Lärmgutachten erstellen lassen. Ergebnis: erheblich gesundheitsschädigend.

Weil es immer wieder Streit um die Gutachten gab, hatte die anliegende Gemeinde Dornum schon früher ihre Lärm-Grenzwerte „geliftet“: Statt 45 Dezibel am Tage legte sie 60 Dezibel fest. Für die Nacht stieg der Dornumer Grenzwert von 35 auf 45 Dezibel. Die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt als Höchstwert grundsätzlich 45 Dezibel.

Sven Johannsen vom Zen­trum für Umweltmessung im hessischen Birkenau hat selbst vor Ort im Auftrag der BI Messungen durchgeführt. „Die Werte waren linear gemessen und beurteilt schon recht hoch und maßgebliche Teile davon waren den Windkraftanlagen vor Ort eindeutig zu zuschreiben“, sagt Johannsen. „Im Bundesimmissionsgesetz gibt es verbindliche Grenzwerte. Aber die Methode der Messungen ist nicht festgelegt.“ Behördliche Messungen filterten meist die Tiefenfrequenzen aus dem Ergebnis, so der Gutachter.

„Aber das sind genau die Frequenzen, die besonders verantwortlich sind für Herz- und Kreislaufstörungen, Kopfschmerzen, Übelkeit, Depressionen und Schlaflosigkeit.“ Genau so eine gefilterte Messung hat Eisenhauer von Norderland vorgelegt.

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