Labour-Parteitag in Großbritannien: Corbyn und die Liebe fürs Fair Play
In seiner ersten Rede als Labour-Chef beschwört Jeremy Corbyn die britischen Werte. Der rechte Parteiflügel hat sich noch nicht mit ihm abgefunden.
Corbyns Liebeserklärung war die Antwort auf die Kritik, dass er unpatriotisch sei. Er hatte kurz nach seiner Wahl zum Labour-Chef nicht mitgesungen, als bei der Gedenkveranstaltung für die Weltkriegstoten in der St.-Paul‘s-Kathedralein London die Nationalhymne „God Save The Queen“ angestimmt wurde. Er hatte sich früher oft für die Abschaffung der Monarchie ausgesprochen, aber nun hat er die Einladung der Königin angenommen, ihrem Kronrat beizutreten.
Der 66-jährige Corbyn vom linken Labour-Flügel wurde von den Delegierten mit minutenlangem Applaus empfangen. Es war die wichtigste Rede seiner langen politischen Karriere – eine Rede, von der er nicht geglaubt hatte, sie jemals halten zu müssen. Seine Wahl zum Parteichef vor zweieinhalb Wochen kam auch für ihn überraschend. Er sagte, dass seine Wahl ein Mandat für Veränderung sei: „Es war eine Wahl für eine andere Art von Politik in der Labour-Partei und im Land. Gütiger, integrativer. Eine echte Debatte, keine Parteidisziplin.“ Er werde der Partei keine Linie aufzwingen, sagte er. „Niemand hat ein Monopol auf die Weisheit. Ich will eine offene Debatte. Ich werde mir jede Meinung anhören.“
In Corbyns Rede tauchte immer wieder das Fair Play auf, das er als britische Kerntugend bezeichnete. Es sei der wichtigste Grund, warum er „dieses Land und seine Menschen“ liebe. Corbyn hat seine Rede zum ersten Mal von einem Teleprompter abgelesen. Offenbar war ihm sein Vorgänger Ed Miliband ein warnendes Beispiel. Der hatte bei seiner Parteitagsrede auf ein Manuskript verzichtet, aber dann vergessen, das Haushaltsdefizit zu erwähnen.
Auch für Corbyn ging auf dem Parteitag im südenglischen Seebad Brighton nicht alles glatt. So beschlossen die Delegierten gegen Corbyns Empfehlung, eine Kampagne für den bedingungslosen Verbleib in der Europäischen Union zu führen, wenn die Tory-Regierung das Referendum im nächsten Jahr anberaumt.
Und die Debatte über die Erneuerung der britischen Atom-U-Boot-Flotte musste abgeblasen werden, weil sowohl die Gewerkschaften als auch die Verteidigungsministerin im Labour-Schattenkabinett, Maria Eagle, im Gegensatz zu Corbyn dafür sind, die Atomwaffen zu modernisieren.
Corbyn ging dennoch kurz auf das Thema ein: Es sei ein Unsinn, 100 Milliarden Pfund dafür auszugeben, sagte er. Corbyn versuchte, aus der Uneinigkeit eine Tugend zu machen. In einem Punkt folgte der Parteitag ihm jedoch: Kurz vor seiner Rede stimmte eine deutliche Mehrheit dafür, die Eisenbahn zu verstaatlichen, sollte Labour 2020 an die Macht kommen.
Jeremy Corbyn
Die von vielen erwartete Revolte des rechten Parteiflügels um den Expremier Tony Blair ist ausgeblieben. Das heißt aber nicht, dass sie sich mit Corbyn abgefunden haben. Blairs früherer Berater Peter Mandelson sagte, es sei noch zu früh, Corbyn davonzujagen. Zuerst müssten sich die Wähler von ihm abwenden. Laut neuesten Umfragen haben sie das bereits getan. Nur 32 Prozent halten ihn für einen kompetenten Parteichef, von Cameron glauben das dagegen 62 Prozent. Wenn es um Ehrlichkeit und Bodenständigkeit geht, ist das Verhältnis jedoch umgekehrt.
John McDonnell, der finanzpolitische Sprecher in Corbyns Schattenkabinett, sagte am Montag, dass er das Haushaltsdefizit ernst nehme, aber gegen eine Austeritätspolitik sei, weil sie keine Notwendigkeit, sondern eine politische Entscheidung sei. Er kündigte an, dass eine Labour-Regierung die großen Unternehmen zur Kasse bitten werde.
Corbyn beendete seine Rede mit einem Hinweis auf den letzten bärtigen Man, der die Labour Party geführt hat: „Keir Hardy, der an diesem Wochenende vor 100 Jahren gestorben ist. Wir schulden ihm so viel.“ Corbyn forderte seine Partei auf, Hardy nachzueifern: „Nehmt keine Ungerechtigkeit hin, wehrt euch gegen Vorurteile. Lasst uns unsere Werte wieder in die Politik einführen.“ Corbyn wurde mit Ovationen verabschiedet. Am Mittwoch beginnt für ihn der politische Alltag, und seine parteiinternen Gegner werden ihm keine Pause gönnen.
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