LNG-Terminal in Wilhelmshaven: Keine Zeit für Fragen und Kritik
Das LNG-Terminal in Wilhelmshaven wurde mit minimierter Bürgerbeteiligung realisiert. Die ausgeblendete Kritik bringen nun Umweltverbände zur Sprache.
Vergangenen Donnerstag war der Andrang von Politikern in Wilhelmshaven nicht so groß: Der Einladung von drei Umweltverbänden war keiner von ihnen gefolgt, auch nicht die Vertreter der zuständigen Genehmigungsbehörden. BUND, Nabu und die Deutsche Umwelthilfe (DUH) hatten Bürger*innen, Politiker*innen und Behördenvertreter*innen zu einer „alternativen Erörterung“ geladen, um über das Für und Wider des Terminals in Wilhelmshaven zu diskutieren und offene Fragen zu beantworten.
Eine Erörterung ist für gewöhnlich ein integraler Bestandteil jeglicher Genehmigungsverfahren für Bau- und Infrastrukturprojekte. Dieses Mal entfällt sie: Das im Mai eigens verabschiedete LNG-Beschleunigungsgesetz des Bundes hebelt die üblichen Mechanismen der Bürgerbeteiligung aus. Das Gesetz hat noch andere Auswirkungen: Die Auslegungsfrist ist viel kürzer als bei normalen Verfahren: eine Woche statt vier. Und für Einwendungen gab es nur eine Woche Zeit. 300 kamen trotzdem zusammen.
Zu diskutieren gäbe es also einiges: Schlagzeilen verursacht hat die mögliche Einleitung von Bioziden ins Meer. Bei der Regasifizierung des flüssigen Gases werden die Anlagen mit Chlor und Brom vor Algenwachstum und anderen Verschmutzungen geschützt. Die Chemikalien werden danach ins Meer geleitet – 102 Kilogramm Chlor täglich.
Gutachten statt Umweltverträglichkeitsprüfung
Eine ausführliche Umweltverträglichkeitsprüfung sieht das Beschleunigungsgesetz nicht vor. Stattdessen gibt es nur ein einfaches Gutachten. Das sieht bisher keine Probleme voraus. Doch Frederik Eggers vom Nabu Niedersachsen kritisiert: „Hier findet nur eine Modellierung statt. Die tatsächlichen Auswirkungen können damit nicht bewertet werden.“ Die „Esperanza“ ist das einzige Schiff für Flüssiggas, das mit dieser chemischen Reinigung arbeitet. Vor Australiens Küste wurde ihr daher schon 2021 nach einer ausführlichen Umweltverträglichkeitsprüfung der Betrieb untersagt.
Offiziell ist noch offen, ob der Einwand der Umweltverbände gegen die Nutzung ausgerechnet dieses Schiffes auch in Deutschland Konsequenzen für die Genehmigung haben könnte. Eigentlich sind genau solche Modifizierungen der ursprünglichen Planung Ziel und Folge von Beteiligungsverfahren. Doch im Fall der „Esperanza“ bleibt wenig Zeit für eine neue Entscheidung gegen das Schiff oder für eine entsprechende Umrüstung. „Die Behörden bekommen Druck, dass alles stehen muss, wenn das erste Mal Flüssiggas kommt“, fürchtet Eggers.
Flüssiggas ja – aber wie lange und wie viel?
In Fundamentalopposition gegen die Flüssiggasterminals ist keine der Umweltorganisationen. Das ist keine Selbstverständlichkeit: Erdgas ist ein fossiler Energieträger und damit klimaschädlich. Noch im Frühjahr mit einer neuen Studie des DIW argumentiert, die eine sichere Energieversorgung auch ohne LNG-Terminals für möglich hielt. Doch dafür wurde bis zum Herbst nicht genug Energie gespart. „Wir erkennen an, dass es in der aktuellen Lage für die Versorgungssicherheit Flüssiggas braucht“, so Constantin Zerger von der DUH. Aber: „Daraus darf eben keine langfristige Verpflichtung für den Import folgen.“
Aktuell sieht das Genehmigungsverfahren für das Terminal keine Laufzeitbegrenzung vor. Theoretisch könnte es bis 2043 mit fossilem Flüssiggas beliefert werden – zu diesem Zeitpunkt wollen Land und Bund schon lange klimaneutral sein. „Die Nutzung fossiler Energieträger wird so über Jahrzehnte zementiert“, sagt Susanne Gestner, Landesvorsitzende des BUND. Neben der Laufzeit kritisiert sie die Anzahl: Allein sechs schwimmende LNG-Terminals sind geplant. „Dabei gibt es nach wie vor kein Konzept das sagt, wieviele wir überhaupt für eine Überbrückung der Krise brauchen.“
Das niedersächsische Umweltministerium verteidigt sich – zumindest die sechs Schwimmterminals würden ja nur für fünf bis zehn Jahre gechartert. Einen Umweltrabatt werde es bei der Genehmigung für keines der Terminals geben, alles werde ausreichend geprüft und noch im Betrieb durch ausführliches Monitoring begleitet. „Das ist zu spät“, moniert Zerger von der DUH, „die Umweltschäden sind dann ja schon passiert.“
Die Fragen und Kritikpunkte, die am Donnerstagabend bei ihrer alternativen Erörterung mit Bürger*innen zusammengekommen sind, wollen die Umweltverbände an die Behörden übergeben. „Wir erwarten, dass wenigstens dann alles ausführlich beantwortet wird“, sagt Zerger.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen