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Kurdischer Aktivist Mehmet ÇakasAuslieferung durch die Hintertür

Ein PKK-Aktivist soll in die Türkei abgeschoben werden. Dabei hatten deutsche Behörden schon mal entschieden, dass er nicht ausgeliefert werden darf.

Viele machen sich Sorgen: Demo gegen die Abschiebung von Mehmet Çakas im Juli in Hannover Foto: privat

Hamburg taz | Sevdan Çakas kann nicht gut über ihren Bruder sprechen. Am Telefon beginnt sie sofort zu schluchzen. „Ich wollte nicht so reden“, sagt sie und entschuldigt sich. Aber die Zeit sei jetzt so knapp.

Am 28. August soll ihr Bruder, der kurdische Aktivist Mehmet Çakas, aus Deutschland in die Türkei abgeschoben werden. „Je näher dieser Tag rückt und je mehr sich an der Situation nichts ändert, desto atemloser werde ich“, sagt Çakas, die seit 15 Jahren in Hamburg lebt und die deutsche Staatsbürgerschaft hat.

Das Absurde: Der 45-Jährige Mehmet Çakas soll abgeschoben werden, obwohl deutsche Behörden in der Vergangenheit entschieden haben, dass er aufgrund von drohender politischer Verfolgung nicht in die Türkei ausgeliefert werden darf.

Seine Auslieferung hatte die Türkei 2023 mit einem internationalen Haftbefehl beantragt. Im selben Jahr entschieden die Generalstaatsanwalt Celle und das Bundesamt für Justiz, eine Behörde des Justizministeriums, dass eine Auslieferung von Çakas in die Türkei nicht in Betracht kommt, auch weil ihm dort eine lebenslange Freiheitsstrafe unter erschwerten Bedingungen droht.

Abschiebung in Unrechtsstaat?

Im abgelehnten Asylbescheid von Mitte Mai, der der taz vorliegt, erwähnt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) diese Entscheidung nicht. Die Ablehnung begründet es mit aufenthaltsrechtlichen Formalia. Eine Klage dagegen war in mehreren Instanzen nicht erfolgreich.

Für Lukas Bastisch, einen von Çakas' An­wäl­t*in­nen ist das ein Skandal. „Wenn man das größere Bild betrachtet, bedeutet das, dass die Türkei im Ergebnis kriegt, was sie mit dem internationalen Haftbefehl von Deutschland nicht bekommen hat.“ Bastisch kritisiert, dass sich deutsche Behörden im Fall von Mehmet Çakas widersprechen.

Die Türkei kriegt im Ergebnis, was sie mit dem internationalen Haftbefehl nicht bekommen hat

Lukas Bastisch, Rechtsanwalt von Mehmet Çakas

Der Aktivist sitzt aktuell im Gefängnis in Uelzen in Niedersachsen. Er war im April 2024 wegen Unterstützung der in Deutschland als Terrororganisation verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) verurteilt worden. Das Oberlandesgericht Celle sah es als erwiesen an, dass Çakas zwischen 2019 und 2021 propagandistische Aktivitäten für die PKK in Deutschland koordiniert hat. Dass er jetzt abgeschoben werden soll, hat mit der Verurteilung aber nichts zu tun.

Überraschend hat die Generalstaatsanwaltschaft Celle Ende Juli Çakas' zweieinhalb jährige Haftstrafe ausgesetzt, damit er Ende August abgeschoben werden kann. Dabei laufen noch Gerichtsverfahren, die seine Abschiebung stoppen könnten. Erst am 8. September soll das Verwaltungsgericht Lüneburg in seinem Fall entscheiden. Seine An­wäl­t*in­nen haben wegen der Ablehnung des Asylantrags Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe eingelegt, über die noch nicht entschieden wurde.

In der Türkei droht Çakas lebenslange Haft

Eine Petition gegen die Abschiebung von Çakas wurde mehr als 2.000 mal unterschrieben. Am 19. August veröffentlichten mehrere Po­li­ti­ker*in­nen von Linken und Grünen und bekannte Personen aus dem Kulturbereich einen offenen Brief an Innenminister Alexander Dobrindt (CSU), Außenminister Johann Wadephul (CDU) und den niedersächsischen Ministerpräsidenten Olaf Lies (SPD).

Sie fordern, dass die Abschiebung ausgesetzt wird. In der Türkei drohten Mehmet Çakas' „Verfolgung, unfaire Gerichtsverfahren und sogar Folter“.

Kai Weber, Sprecher des Flüchtlingsrats Niedersachsen, sagt der taz, er gehe davon aus, dass Çakas in der Türkei sofort festgenommen würde. „Das ist die Frage, die uns und viele beschäftigt: Was passiert mit ihm wenn er in der Türkei ist?“

Dort erwarten Çakas offene Haftbefehle. Er ist wegen Mitgliedschaft der trotz ihrer im Februar angekündigten Selbstauflösung auch in der Türkei immer noch verbotenen PKK angeklagt. Ein Straftatbestand, der ja auch in Deutschland gelte, stellte das Verwaltungsgericht Braunschweig fest, das deshalb zuletzt Çakas' Klage gegen die Abschiebung abwies. Kai Weber hält das für fatal: „Das ist eine Zusammenarbeit mit der Türkei, als handle es sich um einen Rechtsstaat.“

Die türkischen Behörden werfen Çakas einen Verstoß gegen den umstrittenen Anti-Terror-Paragrafen Artikel 302 des türkischen Strafgesetzbuchs vor. Ihm droht eine darin vorgesehene „erschwerte lebenslange Freiheitsstrafe“.

Kurdische Po­li­ti­ke­r*in­nen haben nach so einer Verurteilung oft wenig Chancen, das Gefängnis wieder zu verlassen. So wurde der ehemalige Vorsitzende der kurdischen Partei HDP Selahattin Demirtaş im Mai 2024 zu insgesamt 42 Jahren Haft verurteilt. Auch die umstrittene Verhaftung des abgesetzten Istanbuler Bürgermeisters Ekrem İmamoğlu im März wurde unter anderem mit dessen angeblichen PKK-Verbindungen begründet.

Bundesministerium sieht sich nicht zuständig

Wegen dieser politischen Verfolgung hat Mehmet Çakas in Deutschland Asyl beantragt, das aber mehrmals abgelehnt wurde. Den jüngsten Bescheid begründet das Bamf schlicht damit, dass es keine neuen Gründe für Asyl gäbe.

Dem widerspricht Anwalt Bastisch. „Die Situation hat sich durch seine Verurteilung in Celle noch mal verändert“, sagt er. Die Türkei habe die Berichterstattung über den Prozess verfolgt. Bastisch geht davon aus, dass Çakas nun noch gefährdeter ist als zuvor.

Dass er seine Haftstrafe wegen PKK-Unterstützung in Deutschland fast abgesessen hat, schütze ihn nicht vor Strafverfolgung in der Türkei. Das Doppelbestrafungsverbot, nach dem kein Mensch zwei Mal wegen der selben Taten verurteilt werden darf, gelte in diesem Fall nicht.

Cansu Özdemir, außenpolitische Sprecherin der Linken im Bundestag und Mitunterzeichnerin des offenen Briefs, kritisiert, dass Deutschland mit der Abschiebung von Çakas einen Präzedenzfall schaffe. „Sollte es zur Abschiebung kommen, bedeutet es, dass weiterhin kurdische Oppositionelle abgeschoben werden können.“

Das Bundesinnenministerium will sich auf taz-Anfrage nicht zum Fall äußern und verweist an das niedersächsische Ministerium. Das wiederum verweist ans Bamf. Dieses beantwortet personenbezogenen Fragen aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht.

Eigentlich sollte Çakas am 4. Oktober aus der Haft in Uelzen entlassen werden. „Wir hatten geplant, ihn vor den Toren des Gefängnisses in Empfang zu nehmen“, sagt seine Schwester. Noch gebe die Familie die Hoffnung nicht auf. „Wir versuchen von frühmorgens bis spät in die Nacht, unsere Stimme zu erheben.“

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1 Kommentar

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  • Dieses Drame zeigt erneut was viele nicht glauben wollen oder können: einige "Machthaber" (diesen Begriff wähle ich sehr bewusst) in Deutschland scheren sich nicht um geltendes Recht. Sie handeln wie in einer Diktatur, einer zerfallenen Demokratie. Jeder Falschparker, jeder Ladendieb wird - zu Recht- zur Einhaltung der Gesetze gezwungen, nur die Vergehen der Offiziellen werden immer öfter schlicht übersehen, selbst wenn sie schwere Vergehen zu verantworten haben. Der Frust in der Bevölkerung wird immer größer doch es bleibt folgenlos.