Kurdin muss zum Familiengericht: Wenn der Staatsschutz ermittelt
Der kurdischen Aktivistin Zozan G. droht der Entzug des Sorgerechts für ihre fünf Kinder – offenbar wegen ihres politischen Engagements.
Auslöser des Verfahrens ist ein Schreiben der für politische Straftaten zuständigen Abteilung V der Staatsanwaltschaft Karlsruhe. Die teilte dem Oberhausener Gericht mit Datum vom 10. September 2019 mit, dass Zozan G.s Tochter Lorin an einem „Kurdenmarsch, der von Mannheim nach Karlsruhe führte und dort wegen zahlreicher Auflagenverstöße aufgelöst wurde“, teilgenommen habe. Ein Ermittlungsverfahren sei aber eingestellt worden, da Lorin noch nicht 14 Jahre alt und damit schuldunfähig gewesen sei.
Eingeschaltet wurde auch das Oberhausener Jugendamt – doch das gab Entwarnung: An ihrer Gesamtschule sei die Tochter eine „beliebte unauffällige Schülerin“, die auch „leistungsmäßig sehr stark“ sei. Die zwar getrennt lebenden, sich das Sorgerecht für ihre fünf Kinder aber teilenden Eltern G. kümmerten sich „um die Erziehung und Entwicklung ihrer Kinder gut“. Aus Sicht des Jugendamtes seien „keine familiengerichtlichen Maßnahmen notwendig“. „Spätestens hier hätte das Verfahren enden sollen“, findet der Anwalt von Zozan G., Tim Engels.
Der Düsseldorfer Jurist verweist auf die einschlägige Kommentierung des Paragrafen 1666 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, der „gerichtliche Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls“ regelt. Danach dürfe der Staat eben nicht allein wegen „gesellschaftspolitischen, religiösen oder weltanschaulichen Idealen“ der Eltern in deren „Erziehungsprimat“ eingreifen.
„Politik allein kein Kriterium“
„Fragen von Kindeswohlgefährdung und Erziehungskompetenz sind immer individuell zu beurteilen“, sagt auch die familienpolitische Sprecherin der Grünen im Düsseldorfer Landtag, Josefine Paul. „Die politische Ausrichtung der Eltern allein kann aber kein Kriterium für Kindeswohlgefährdung sein.“
Genau so sieht es auch Anwalt Engels: Die politische Einstellung der Eltern gehe den Staat nichts an, „solange die Kinder nicht vernachlässigt werden“. Und das sei im Fall seiner Mandantin auch nach Einschätzung des Jugendamts doch ganz ausdrücklich nicht der Fall.
Dem Oberhausener Familiengericht aber reichte das nicht. Von einer Richterin befragt wurden auch die vier weiteren Kinder von Zozan G., die 15, 10, 6 und 3 Jahre alt sind. Außerdem finden sich in der Verfahrensakte Stellungnahmen der für politische Straftaten zuständigen Abteilungen der Polizeipräsidien Düsseldorf und Essen – also des Staatsschutzes.
Klar wird daraus, dass Zozan G. und ihre Tochter Lorin seit mindestens 2018 beobachtet wurden. So sei „die Lorin G. hier in einem Fall von Hausfriedensbruch aufgefallen“, schreibt ein Düsseldorfer Kriminaloberkommissar darin: Im März 2019 wollten kurdische Aktivist*innen im Landtag eine Resolution überreichen. Sie schafften es allerdings nicht einmal ins Foyer, blieben vor den vorgeschalteten Sicherheitsschleusen sitzen.
Außerdem sei das Mädchen „wahrscheinlich“ bei einer prokurdischen Demonstration in Düsseldorf anwesend gewesen, schreibt der Kriminalbeamte. Für ihn ist damit klar, dass Zozan G. „die Nähe ihrer Tochter Lorin […] zur PKK-nahen Unterstützerszene gutheißt und sogar fördert“.
Verfassungsschutz schaut zu
Selbst der Verfassungsschutz beobachtet den Fall genau. Laut Akte meldete der Inlandsgeheimdienst dem Essener Staatsschutz schon am 16. Dezember, dass die Linkspartei vor dem Gerichtstermin an diesem Mittwoch eine um 8.30 Uhr beginnende Solidaritätskundgebung für Zozan G. auf dem Oberhausener Friedensplatz unterstütze. Dabei war ein entsprechender Aufruf da noch gar nicht öffentlich.
„So enge Verbindungen zwischen Inlandsgeheimdienst und politischer Polizei wollte man nach dem Nazi-Terror nach 1945 doch nicht mehr“, sagt Anwalt Engels dazu. Offensichtlich werde sein Telefon abgehört – oder das der Linkspartei in Oberhausen. Zozan G. selbst weist dagegen eine Nähe zur PKK, die in Deutschland als terroristische Vereinigung gilt, zurück. „Ich bin keine PKK-Unterstützerin“, sagt sie. Allerdings habe sie immer wieder gegen den Krieg der Türkei im kurdischen Nordsyrien protestiert. „Ich habe nichts Illegales oder Verbotenes getan“, sagt sie.
Alle Demonstrationen, an denen sie teilgenommen habe, seien völlig legal gewesen. „Trotzdem droht man mir jetzt mit Sorgerechtsentzug, um mich mundtot zu machen“, empört sich die Bankkauffrau. „Das ist nicht nur ein gezielter Angriff auf mein politisches Engagement – zu Ende gedacht könnte Ähnliches selbst Eltern treffen, deren Kinder sich bei Fridays for Future engagieren.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel
Ende der scheinheiligen Zeit
Hilfe, es weihnachtete zu sehr