Kurden in Syrien und dem Irak: Erdoğan droht mit Mehrfrontenkrieg
Nach der Eroberung Afrins will Ankara den Krieg gegen die Kurden notfalls nach Ostsyrien und Nordirak tragen. In Afrin soll es zu Plünderungen gekommen sein.
![schwer bewaffnete Soldaten schwer bewaffnete Soldaten](https://taz.de/picture/2620690/14/20298382.jpeg)
Man wolle gegen weitere von der Kurdenmiliz YPG kontrollierte Gebiete bis hin nach Kamischli vorrücken, sagte Erdogan am Montag in Ankara. Zudem werde man die „Terrorcamps“ der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK im Nordirak „wenn nötig anhaltend unter Kontrolle bringen“.
Ankara sieht die YPG als syrischen Ableger der PKK und betrachtet beide als Terrororganisationen. Die PKK hat in den nordirakischen Kandil-Bergen ihr Hauptquartier und auch im nordirakischen Sindschar Stellungen.
Am Sonnntag hatten türkische Truppen und verbündete syrische Milizen die nordwestsyrische Stadt Afrin eingenommen. Nach Angaben von Aktivisten und Kurden kam es dort im Anschluss zu Plünderungen. Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte meldete am Montag, die Kämpfer hätten in großem Ausmaße Geschäfte, Häuser und Regierungsgebäude ausgeraubt. Ein Reporter der Nachrichtenagentur AFP berichtete, dass es bereits am Sonntag zu Plünderungen von Wohnhäusern und Läden gekommen sei.
Protürkische Kämpfer sprühten die Namen ihrer Gruppen auf Geschäfte und Häuser. Die meisten gehören Gruppen an, die gegen Machthaber Baschar al-Assad kämpften, bevor sie sich der türkischen Offensive anschlossen. Der YPG-Sprecher Brossik al-Hassaka sagte, die Eroberer hätten Gebäude angezündet und religiöse Statuen zerstört.
Der türkische Regierungssprecher Bekir Bozdag sagte am Montag, die Türkei habe keine Absicht, langfristig in Afrin zu bleiben. „Wir bleiben nicht dauerhaft in Afrin. Wir sind keine Besatzer“, so Bozdag. Ihr Ziel sei es, die Region „vom Terror zu säubern, Frieden, Vertrauen und Sicherheit wiederherzustellen und die Region ihren rechtmäßigen Besitzern zurückzugeben“.
Bericht über getötete britische Kämpferin
Unterdessen verschärft sich die humanitäre Lage Zehntausender Flüchtlinge. Das UN-Nothilfebüro Ocha hatte am Sonntag erklärt, fast 100.000 Menschen aus Afrin seien in benachbarten Gebieten als Vertriebene registriert worden. „Zehntausende Menschen leiden in Afrin“, twitterte das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK). „Verzweifelt und verängstigt fliehen täglich Tausende Menschen, die keinen Platz zum Übernachten, wenig Essen, Wasser und medizinische Versorgung haben.“ Das IKRK arbeitet mit dem Syrischen Roten Halbmond zusammen, um Decken und Mahlzeiten zur Verfügung zu stellen.
Rund 250.000 Zivilisten flohen laut der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte aus der Stadt, bevor sich der Belagerungsring schloss. Am Wochenende zogen sich auch die YPG-Kämpfer kampflos zurück.
Nach Zählung der Beobachtungsstelle wurden bei der Offensive mehr als 1.500 YPG-Kämpfer sowie 400 protürkische Rebellen getötet. Die türkische Armee verlor ihrerseits 46 Soldaten. Laut der oppositionsnahen Beobachtungsstelle, die ihre Informationen von Ärzten und Aktivisten vor Ort bezieht, gab es zudem 280 Tote unter den Zivilisten.
Die Türkei bestreitet diese Angaben und betont, alles zum Schutz der Zivilisten getan zu haben. Für Medien sind die Angaben der Beobachtungsstelle kaum zu überprüfen. Eine Sprecherin der kurdischen Frauenverteidigungseinheiten (YPJ) sagte am Montag, vergangene Woche sei auch eine britische Kämpferin namens Anna Campbell getötet worden.
Die Kurdische Gemeinde in Deutschland warf der Bundesregierung Untätigkeit vor. Sie lasse seit Jahren „all unsere Aufrufe im Hinblick auf ihre Türkei- und Kurdenpolitik unbeantwortet“, kritisierte die Gemeinde in Gießen. „In Afrin ist Europa gefallen.“
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