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Kuratorin über Brüste in der Kunst„Verhüllen und Zeigen“

Auch weil die Sexualisierung der Frauenbrust so bald nicht enden wird: Zum Jahresende ein thematisch fokussierter Rundgang durch die Kunstgeschichte.

Damals ein Verkaufsschlager: Lucas Cranach d. Ä., „Quellnymphe“ (nach 1537) Foto: Kunsthalle Bremen © Leihgabe der Bundesrepublik Deutschland
Interview von Jens Fischer

Maler sind auch nur Männer: triebgesteuerte Wesen mit sexualisiertem Blick fürs Weiche, Runde, Schöne der Frauen. Und mit dem Privileg ausgestattet, ihr Begehren ausdrücken zu dürfen – etwa im Nachbilden der weiblichen Brust auf der Leinwand – und das auch noch zum nüchternen Studium der Natur verklären zu können. Wie sich gemalte Haut, der Voyeurismus der Betrachtenden und, ganz konkret, die Darstellung der Brust selbst verändert hat: Das war Thema, als die taz mit der Kunsthistorikerin Dorothee Hansen durch die Bremer Kunsthalle gegangen ist.

taz: Frau Hansen, in Florida wurde eine Schulleiterin entlassen, weil sie ihren Schülern die Abbildung des „David“ von Michelangelo (1501/04) gezeigt hat. Setzt Nacktheit in der Kunst auch in Europa solche Emotionen frei?

Dorothee Hansen: Spätestens seit der sexuellen Revolution in den 1960er-Jahren kann sie kein Problem mehr sein – denkt jemand aus meiner, der damals geborenen Generation. Aber heute schwingt das Pendel wieder ein bisschen zurück. Es gibt viel größere Rücksichtnahmen auf andere kulturelle Hintergründe, in denen Verhüllung noch sehr wichtig ist. Vielleicht gibt es bald Triggerwarnungen „Vorsicht nackt!“ in den Museen, wo schon jetzt immer häufiger Schilder mit dem Hinweis auftauchen: Achtung, hier sind möglicherweise das ästhetische oder ethische Empfinden verletzende Bilder zu sehen. Gerade bei Schülerführungen mit vielen muslimischen Kindern werden Nacktbilder schnell als unsittlich empfunden, die Augen verdreht und es wird viel mehr gekichert als früher.

Und das im Zeitalter praktisch allgegenwärtiger Pornografie?

Das sind zwei Seiten einer Medaille. Gerade ist die Spannung extrem groß zwischen totalem Exhibitionismus in den sozialen Medien und dem Hochlegen der Schamgrenze.

In Sachen erotischer Inszenierung und Kommerzialisierung ist die weibliche Brust ganz vorne mit dabei, ob in der Werbung, im Film oder in der bildenden Kunst.

Das ist im Verhältnis von Mann und Frau so angelegt: die Urinstinkte des Menschen, der Fokus auf die erogenen Zonen. Daher spielen Künstler gern mit Verhüllen und Zeigen. In der Antike gibt es die Venus pudica, die ihren Arm vor die Brust hält, aber so, dass man trotzdem was sehen kann. Das Verhüllen ist ein Aufmerksammachen auf das, was dahinter versteckt ist.

Noch früher war das anders. Nehmen wir die 30.000 Jahre alte „Venus von Willendorf“: gesichtsloser Kopf, gedrungen-rundliche Gestalt und – voluminöse Brüste.

Bild: Christina Kuhaupt
Im Interview: Dorothee Hansen

*1963 in Flensburg, Kunsthistorikerin und Kuratorin, ist stellvertretende Direktorin der Kunsthalle Bremen.

Sie verweisen auf die nährende Mutter. Die Gebärerin, Behüterin wird hier verehrt. Wie auch bei der vorchristlichen Artemis von Ephesos, eine archaische Skulptur, über und über bedeckt mit Brüsten – oder Stierhoden, das weiß man nicht genau. Allein schon aufgrund dieser Doppeldeutigkeit kann man sehen, es geht ursprünglich bei der Brustdarstellung um Fruchtbarkeit. Das ist der keusche Blick auf die weibliche Brust.

Den gibt es auch in der christlichen Kunst.

Da ist es Maria, die hat sonst immer ihr Kleid und ihren Mantel an, aber bei einem bestimmten Ikonentyp, der Maria lactans, ist die Brust zu sehen, an der das Jesuskind saugt. Die lugt meist aus einem Schlitz des Kleides raus und wird eher schematisch dargestellt, stilisiert, geradezu abstrahiert. Nur im biblischen Kontext waren überhaupt Brustandeutungen möglich.

In der Renaissance wurde es dann realistischer?

Etwa auf „Madonna mit Kind umgeben von Engeln“ des französischen Hofmalers Jean Fouquet. Hier kommt erstmals auch eine körperliche Anziehung für den männlichen Betrachter mit ins Spiel: höchst anziehend die Linie des Nackens, das Gesicht, die zarte Haut, das Zurschaustellen einer Brust. Diese Madonna ist Himmelskönigin und Gottesnährerin, aber auch eine verführerische Frau. Das macht das Bild zu einem Starstück der Kunstgeschichte.

Schon bei den Griechen gab es erotische Venus-Figuren, die Darstellung der Brüste strebte nach universeller Schönheit.

Aber mit der Antike endet auch erst mal ihre Darstellung als sinnliches Motiv.

Gab es danach keine Ausnahmen?

Doch, an der Schwelle zur deutschen Renaissance zum Beispiel die „Quellnymphe“ nach 1531 von Lukas Cranach dem Älteren: Da sehen wir ein Burgfräulein, das sich in einem paradiesischen Gärtchen nackt zur Mittagsruhe gelegt hat, die Brust wird deutlich präsentiert, als Semiverdeckung fungiert ein durchsichtiger Schleier. Da ist wieder das Changieren von Verhüllen und Zeigen.

Aber es geht nicht einfach um eine Onaniervorlage – der Künstler prunkt mit Bildungshintergrund.

Zu sehen ist ja noch eine Quelle, um das Bild mythologisch als Darstellung einer Quellnymphe zu verbrämen, weil man zu dieser Zeit niemals eine nackte Burgfräuleinbrust hätte malen dürfen. Absolut unmöglich!

Auch so lässt sich die christliche Nächstenliebe darstellen: Antonio Bellucci, „Cimon und Pero“ („Caritas Romana“, um 1685) Foto: Kunsthalle Bremen

Die Quellnymphen hingegen …

… waren für die humanistisch gebildeten Zeitgenossen hocherotisch, weil sie von lüsternen Satyrn verfolgt und begehrt werden und sich ständig verwandeln müssen, um nicht vergewaltigt zu werden. So ist die Figur auch ein sexuelles Objekt. Die Darstellung von Pfeil, Bogen und Rebhühnern deuten zudem an: Ist sie vielleicht eine Diana? Wer die nackt sah, wurde in einen Hirsch verwandelt, den die Hunde der Göttin dann zerrissen haben. Es stirbt also, wer sie nackt sieht. Die erregende Gefahr des Verfolgtseins schwingt hier mit. Über all das konnten Gelehrte am Hof diskutieren beim Betrachten der weiblichen Brüste. Es ist eines der ersten Bilder nördlich der Alpen, auf dem ein weiblicher Körper nackt dargestellt ist. Es gibt 17 Varianten davon und es gab sicherlich noch mehr, das Gemälde hat also einen Nerv getroffen, war ein Verkaufsschlager der Cranach-Werkstatt. Malerei für Männer, die endlich einmal einen schönen weiblichen Körper entblößt sehen wollen.

Sind diese Brüste authentische Abbilder?

Der Künstler hat sie wohl etwas idealisiert, geglättet. Im 16. Jahrhundert waren diese kleinen, kugeligen Brüste das Schönheitsideal der Zeit.

Verträumt, verschlafen wirkt der Blick der Quellnymphe durch die nicht ganz geschlossenen Augen.

Das heißt: Vorsicht! Wenn sie ganz fest schlafen würde, könnte der Betrachter ja einfach Voyeur sein. Hier muss er sich beim Anstarren ertappt fühlen.

Kommen wir zum Barock, da wird die Brust wieder üppiger und konkreter, oder?

Wie bei Antonio Belucci, „Cimon und Pero“ (um 1685). Schon an der Hand, die die Brust hält, spürt man die Weichheit des schwellenden Fleisches, aber die Brust ist das Wichtigste in diesem Bild. Auch wenn sie nicht in voller Rundung zu sehen ist, wirkte und wirkt das Gemälde extrem anzüglich.

Die gezeigte Frau biegt ihre Brust als Lebensspenderin wie einen Strohhalm in den saugenden Mund eines Mannes.

Der zum Hungertod im Gefängnis verurteilte Cimon wird von seiner Tochter Pero besucht, die ihn mit ihrer Brust nährt, so dass er überlebt.

Herrlich komponierte Farbe, nicht Erotik: Ernst Ludwig Kirchner, „Liegender Akt mit Fächer“ (1909) Foto: Kunsthalle Bremen

Und wenn die Kirchenoberen schimpfen, kann der Künstler immer noch sagen, er stelle eine christliche Kardinaltugend dar: die Caritas, Nächstenliebe.

Aber es geht eindeutig um die Darstellung des Sinnlichen, enorm betont wird das auch durch die Modellierung des Busens. Auch das Geschlechtsmerkmal des Babys, der Penis, ist deutlich ins Bild gerückt.

Es guckt seine Mama empört an, so als wolle es sagen: „Hey, da klaut jemand mein Mittagsessen!“

Schauen wir auf Jean Baptiste Deshays „Schlafende Frau“ (um 1757/58): Ein Oberschenkel ist den Blicken preisgegeben, die Hände liegen direkt im Schoß. Eine sehr realistisch ins Bild gerückte, plastisch gestaltete Brust, entsprechend dem Schönheitsideal eher mädchenhaft klein, ist frei von allen Verpackungen zu sehen. Bei der anderen schimmert die Brustwarze rosa durch ein dünnes Baumwolltuch.

Was hat sich da getan?

Der Maler versteckt sich nicht mehr hinter einer antiken oder biblischen Geschichte, sondern inszeniert hochgradig aufreizend eine elegante Dame der Pariser Gesellschaft.

Die Brust als Inbegriff der Weiblichkeit scheint Lustobjekt zu werden. Immerhin ist die nackte Brust bedeutungsvoll in der Bildmitte platziert. In heutigen sozialen Medien könnte Deshays Bild kaum gezeigt werden – wegen der Nippel würde es gelöscht.

Der weibliche Akt war durchgängig ein wichtiges Thema, aber ab Mitte des 19. Jahrhunderts erscheinen sinnliche Brüste wieder verstärkt auf der Leinwand. Eindrückliches Beispiel ist der „Liegende weibliche Akt“ (1899) von Lovis Corinth, ein Impressionist mit barocken Neigungen. Diese fetten Striche, diese wilde Gestaltung passen zur haptischen Lust, die das Bild auslöst. Das ist wirklich Pin-up: Die Frau hat nur noch schwarze Strümpfe an, räkelt sich auf einem Bett, ist vollbusig, hat üppige Schenkel – und das Gesicht spielt eigentlich keine Rolle. Die Brüste sind ein erotischer Appell, stehen für sinnliche Lust und werden offensiv präsentiert.

Schamlos?

Die Frau sieht nicht aus, als hätte sie sich gerade privat ins Bett gelegt, sondern gibt sich lasziv.

Eine Fetischisierung?

So kommt es bei mir an. Künstlerinnen malen Frauen in ähnlichen Situationen häufig viel stiller. Schon bei Paula Modersohn-Beckers „Selbstbildnis am 6. Hochzeitstag“ (1906), der erste gemalte Akt einer schwangeren Frau, sind die Brüste ein gleichwertiges Detail unter vielen.

Der Expressionismus geht dann nochmal ganz anders um mit dem Blick auf den Körper.

Ernst Ludwig Kirchner beginnt in „Liegender Akt mit Fächer“ (1909) eine neue Art von Malerei. Das Künstlerische rückt ganz klar in den Vordergrund. Hier denke ich nicht an Erotik, Sex, Fleisch, sondern an herrlich komponierte Farbe. Provokant sind die Vereinfachungen, die weichen Konturen, nicht die nackten Brüste. Selbst wenn die Brustwarzen leuchtend rot dargestellt sind, geht es nicht um sie, sondern sie sind Teil einer leuchtenden Farbpolyphonie. Wie auch auf der Rückseite des Gemäldes, wo die „Schlafende Milly“ (1909/11) zu sehen ist: ein dunkleres Bild, eckigere Konturierungen, kantig zugespitzt die Darstellung der Brust eines Schwarzen Modells.

Da geht es nicht mehr um die Darstellung eines klassischen Ideal-Körperteils und seiner Verführungskraft. Nacktheit könnte ein Zeichen lebensfreudiger Freiheit von bürgerlichen Moralvorstellungen sein. Wann wird die gezeigte Brust zum politischen Statement?

Mir fällt die Wiener Aktionskünstlerin Valie Export ein, sie hatte sich Ende der 1960er-Jahre einen Karton um ihren nackten Oberkörper gebastelt, ein Loch hineingeschnitten, einen Vorhang davor gehängt und in Fußgängerzonen so eine Art Tastkino angeboten, das zum Kopfkino werden konnte. Jedenfalls lud sie ein, dort hinein-, also ihre unsichtbare Brust tatsächlich anzufassen. Das ist super provokativ gewesen, weil sie die Objekthaftigkeit, die Opferrolle der Frau thematisiert.

Dass die Brust mal nicht prachtvolle Projektionsfläche, formschönes Lockmittel, Symbol erotischer Potenz ist, sondern wie in der Realität auch mal runzelig, schief, ausgezehrt oder als Last daherkommt: Das ist bis heute kaum Thema in der Kunst. Zeitgenössisch wird vielmehr wieder ihre Renaissance-Erscheinung gefeiert: harmonisch gerundet, knubbelklein. Aber nicht mehr so reizvoll-glamourös in Szene gesetzt.

Schauen wir auf Wolfgang Tillmans Foto „Corinne on Gloucester Place“ (1993): Da steht eine rauchende Frau, gelangweilt und stolz, mitten auf einer Straße in London ohne Oberteil. Was völlig selbstverständlich wirkt, die Brust ist natürlich schön, sie ist einfach da. Nichts Besonderes mehr. Das ist schon eine Präsentation von selbstbewusster Emanzipation.

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