Kunstwerk zu Kolonialismus: „Der verschwiegene Punkt“
Kang Sunkoo über seine Installation „Statue of Limitations“: Warum eine Hälfte im Humboldt Forum steht und die andere ab diesem Freitag im Wedding.
taz: Herr Kang, an diesem Freitag wird der zweite Teil Ihrer Installation „Statue of Limitations“ auf dem Nachtigalplatz enthüllt. Der erste Teil steht im Humboldt Forum. Können Sie bitte zuerst den Namen erklären?
Kang Sunkoo: „Statue of Limitations“ ist eine Abwandlung des englischen Begriffs „statute of limitations“, der Verjährung im juristischen Sinne bedeutet. Damit möchte ich einen Bezug herstellen zur Frage von Verjährung und Erinnerung und der Gültigkeit von Erinnerung – und ihren Konsequenzen.
Warum hat Ihr Kunstwerk zwei Teile?
Anlass für diese Arbeit war ein Kunst-am-Bau-Wettbewerb im Jahr 2017, der dem Standort Humboldt Forum und dort der sogenannten „Treppenhalle“ galt, die die beiden obersten Geschosse miteinander verbindet, wo sich die Sammlungen des Ethnologischen Museums sowie des Museums für Asiatische Kunst befinden.
Das sind die beiden Sammlungen, über die vor allen Dingen diskutiert wird, wenn man um das Humboldt Forum streitet – weil sie viele Objekte aus kolonialen Kontexten haben.
Genau, wobei ja nicht nur diese Nutzer umstritten sind, sondern auch die Kombination mit der Symbolik dieses Gebäudes. Die Ausschreibung bestand unter anderem aus Texten der Stiftung Humboldt Forum, die, vielleicht im Sinne einer Inspiration für die Teilnehmer, die Verehrung der Humboldt-Brüder als vermeintlicher Vertreter einer zeitgenössischen kosmopolitischen Einstellung ausführlich beschrieben. Kein Wort wurde dagegen verloren über die kolonialgeschichtliche Bedeutung des rekonstruierten Schlosses.
Aber darauf nehmen Sie mit Ihrem Werk Bezug.
ist bildender Künstler und wohnt in Basel. Mit seinem Beitrag „Statue of Limitations“ gewann er 2018 den ersten Preis des Kunst-am-Bau-Wettbewerbs für die Treppenhalle des Humboldt Forums. Derzeit realisiert Kang zwei weitere öffentliche Kunstprojekte in Berlin, im Bundesministerium des Innern und für Heimat und im Bundesamt für Strahlenschutz.
Ja. Deswegen hatte mein Entwurf zwei Teile. Ich wollte diesen Standort, nach dem man gefragt hatte, mit einem Ort verbinden, nach dem überhaupt nicht gefragt worden war. Ich wollte den verschwiegenen Punkt herausstellen.
Der Nachtigalplatz im Afrikanischen Viertel symbolisiert die koloniale Seite des Humboldt Forums?
Dieses Viertel im Wedding ist eine Stadtplanung aus der Zeit des Imperialismus, wo dem Volk die kolonialistischen Aktivitäten durch eine Art städtebaulicher Propaganda nähergebracht werden sollten. Darum tragen die Straßen und Plätze dort Namen ehemaliger deutscher Kolonien und damaliger Akteure, die dort für das Deutsche Reich ihr Unwesen getrieben haben. Dazu kommt, dass die größte umbaute Freifläche dort, der Nachtigalplatz, einen besonderen städtebaulichen Moment enthält: eine achsensymmetrische Platzgestaltung, die – zufällig oder auch nicht zufällig – zumindest verblüffend ähnliche Dimensionen wie der Grundriss des Schlosses hat.
Ach ja?
Er hat fast identische Proportionen. Dieser Platz, benannt nach Gustav Nachtigal, dem Reichskommissar für das sogenannte „Deutschwestafrika“, ist ein für ein Wohnviertel überdimensionierter Platz, der offenkundig eine städtebaulich machtvolle Geste ausdrücken soll. Gekreuzt wird der Platz von zwei Achsen: einmal von der in der Mittelachse liegenden Petersallee, benannt nach einer weiteren kolonialistischen Figur aus dieser Zeit, und diagonal von der Afrikanischen Straße. Genau auf dieser Symmetrieachse ist meine Arbeit platziert, so wie ich auch innerhalb des Humboldt Forums meine Arbeit genau auf dieser Symmetrieachse platziert habe. Dort liegt die Arbeit somit in der gleichen Flucht wie das Kuppelkreuz, über das man ja auch viel gesprochen hat – was auch eine sehr starke Symbolik hat.
Die Arbeit selbst ist eine Fahnenstange auf halbmast – also ein Zeichen der Trauer?
Ganz genau. Das Maß des Fahnenmasts wird bestimmt durch die gegebene lichte Raumhöhe von 11 Metern im Humboldt Forum: Das ist die untere Hälfte des Fahnenmasts, oben sieht man die Hälfte der Flagge in der Decke verschwinden. Die obere Hälfte des Fahnenmasts, die identisch lang ist, befindet sich auf dem Nachtigalplatz. Dort kommt die Flagge aus dem Boden heraus und man sieht die Spitze der Fahnenstange.
Steht etwas auf der Fahne?
Nein, die gesamte Arbeit hat die gleiche Textur, Materialität und Farbigkeit: Alles ist gegossene Bronze, im Sandgussverfahren hergestellt und schwarz patiniert.
Ist es nicht schön, dass so eine kritische Arbeit den Wettbewerb gewonnen hat, dessen Thema eher affirmativ gedacht war? Offenbar haben Sie die Auftraggeber überzeugt.
Nicht alle. Als mir mitgeteilt wurde, dass ich diesen Wettbewerb gewonnen habe, wurde im selben Satz gesagt, ich solle mich bitte nicht zu früh freuen, es gebe enormen Widerstand. Und ich solle auch damit rechnen, dass diese Arbeit nicht realisiert wird.
Wie kam es dann doch dazu?
Zum einen hat sich das Humboldt Forum durch die Ausschreibung über öffentlich rechtliche Verfahren verpflichtet, das zu machen. Es hat aber sehr lange gebraucht, bis es zu einer Beauftragung kam und zu einem formalen Commitment des Humboldt Forums, dass man diese Arbeit ausführen wird. Noch später war es, ungefähr zu der Zeit, als die erste Hälfte meiner Arbeit 2020 realisiert wurde, dass man in einem anderen, zustimmenden Ton über meine Arbeit zu sprechen begann.
Der 2. Teil der Installation „Statue of limitations“ wird am Freitag, 25. März 2022, um 11 Uhr auf dem Nachtigalplatz in Berlin-Wedding offiziell aufgestellt. Als Redner sind neben dem Künstler Kang Sunkoo auch Kultursenator Klaus Lederer (Linke), Georg Imdahl, Professor für Kunst und Öffentlichkeit an der Kunstakademie Münster, der Bezirksbürgermeister von Mitte, Stephan von Dassel (Grüne) sowie Hartmut Dorgerloh, Generalintendant und Vorstandsvorsitzender der Stiftung Humboldt Forum im Berliner Schloss angekündigt.
Die Statue wird für 6 Monate auf dem Platz bleiben, eine dauerhafte Aufstellung hat der Bezirk nicht genehmigt. (sum)
Was war da geschehen?
Es war in der Zeit, als die Kuppel fertiggestellt wurde, über die es wegen ihrer Symbolik viel Ärger gab. Da hat man bei der Öffentlichkeitsarbeit des Humboldt Forums gedacht, dass meine Arbeit hilfreich sein kann, wo man gerade so stark unter Beschuss steht.
Haben Sie sich nicht instrumentalisiert gefühlt?
Ja. Ich habe darum gebeten, bestimmte Aussagen von Seiten des Humboldt Forums zu unterlassen, die den Eindruck erweckten, dass meine Arbeit von ihnen in kuratorischer Absicht, in einer inhaltlichen Zusammenarbeit zwischen uns entstanden sei. Das ist nicht der Fall.
War Ihnen eigentlich bewusst, dass der Nachtigalplatz umbenannt werden soll? Und hängt damit zusammen, dass das Kunstwerk nur temporär dort stehen soll?
Ja, das wusste ich – aber einen Zusammenhang hat das für mich nicht. Mein Vorschlag war, dass diese Arbeit permanent bleibt. Aber dieser Vorschlag wurde vonseiten des Bezirks nicht angenommen, er hat nur eine temporäre Aufstellung von sechs Monaten genehmigt. Leider war ich bei der Vereinbarung zwischen dem Humboldt Forum und dem Bezirksamt Mitte nicht dabei. Ich wollte selbst mit dem Bezirk verhandeln, aber dort wurde mir erklärt, sie wollen nur mit dem Humboldt Forum sprechen. Mit dem Ergebnis, dass nur diese sechsmonatige Aufstellung möglich sein soll.
Das ist aber schade!
Ich würde den permanenten Verbleib der Arbeit auf dem Nachtigalplatz nach wie vor begrüßen. Aber ich sehe die jetzige Situation nicht unbedingt als Nachteil. Diese Gegebenheit bildet die Realität ab, in die diese Arbeit hineinkommt. Die Arbeit hat durch diese politischen Prozesse und diese Sequenzialität auch einen performativen Aspekt bekommen. So befasse ich mich schon lange mit der Frage, was nach diesen sechs Monaten mit der Hälfte passieren wird.
Und?
Es gibt verschiedene Szenarien, die ich noch nicht konkret öffentlich machen kann. Es geht in die Richtung, dass die Arbeit zum Beispiel wandert. Denkbar wäre aber auch eine Vervielfältigung.