Kunsttipps für Berlin: Unstillbare Sehnsucht nach Dingen
Ben Dabush und Alexej Meschtschanow lassen Objekte für sich sprechen; im Silent Green wird Derek Jarmans Garten umgegraben.
I m Jahr 1965 veröffentlichte Georges Perec seinen Debütroman „Die Dinge. Eine Geschichte der Sechziger Jahre“. Die Handlung folgt dem jungen Paar Sylvie und Jérôme, die sich als Freiberufler durchschlagen. Was sie verdienen, investieren sie in Design- und Vintageobjekte, ohne jedoch jemals ihre Konsumbedürfnisse auch nur annähernd stillen zu können. Die beiden steigen aus, verbringen eine Zeit in Tunesien, kehren schließlich nach Frankreich zurück und beginnen dort, ein beständiges, gut situiertes Leben zu führen, erlangen aber doch keine Zufriedenheit.
Für Barbara Buchmaier, die die neuen nichtkommerziellen Ausstellungsräume RL16 leitet, bildet das Buch die lose Klammer um die ersten drei Ausstellungen dort, in der Rosa-Luxemburg-Straße 16. Den Anfang macht über den Sommer Ben Dabush, dessen Arbeiten man tatsächlich für elegante Designobjekte halten könnte. „The Water Doesn’t Break and the Sun Doesn’t Get Wet“ etwa ist ein Paravant mit dunklem Holzrahmen, in dem gewelltes Plexiglas steckt, das mit einem Triptychon von Meeresbildern bedruckt ist – Wellen auf Wellen sozusagen.
Wie Fenster in meditativ wirkende Landschaften erscheinen auch die an Sanddünen erinnernden drapierten Vorhänge von „Land(e)scapes“ und die mit Wolken bedruckten Jalousie-Ständer „Blind Skies“. Eskapismus, die Sehnsucht, aus dem Hier und Jetzt abzutauchen, schwingt in all dem mit, die Dabush jedoch gleichsam als eine Illusion markiert.
Auch die Objekte von Alexej Meschtschanow weisen Elemente aus, die an nutzbare Dinge aus dem Interieur erinnern. In seiner Ausstellung „Jacksonkill“ bei Klemm’s fügt er unter anderem Werbe- und andere Fotografien mit Rohren zusammen, wie man sie etwa aus dem Sanitärbereich oder dem Möbelbau kennt, die bei ihm aber nirgendwo hinführen.
Der taz plan erscheint auf taz.de/tazplan und immer Mittwochs und Freitags in der Printausgabe der taz.
RL16, bis 19. September, Do.+Fr. 14–18, Sa. 12–18 Uhr und nach Vereinbarung, Rosa-Luxemburg-Str. 16
Klemm’s, bis 28. August, Di.–Sa. 11–18 Uhr, Prinzessinnenstr. 29
Silent Green, Betonhalle, bis 22. August, Di.–Fr. 14–20, Sa.+So 11–20 Uhr, Gerichtstr. 35
Das Glas, das sich dazwischen befindet, weist Sprünge auf, als handle es sich um das Display eines Smartphone mit „Spider-App“. Auf die Selbstoptimierungsmaschinerie der digitalisierten Konsumgesellschaft scheinen die Arbeiten abzuzielen: „Lebensziele werden gedankenlos von KonsumentInnen aus einem Angebot ausgesucht, das in Massen- und Social-Media beworben wird“, so wird Meschtschanow im Pressetext zitiert. Ob er auch Perec gelesen hat?
Derek Jarman, elementar
Unbedingt sehenswert – auch ohne Fokus auf den Dingen – ist die Ausstellung „The Garden. Kinematografien der Erde“ in der Betonhalle des Silent Greens. Dreh- und Angelpunkt ist darin der gleichnamige Experimentalfilm des Künstlers und Aktivisten Derek Jarman, der 1994 an Aids verstarb. Jarman verwirkt in „The Garden“ die Romanze eines schwulen Paares mit der Passionsgeschichte zu einer surrealen Abhandlung über den ewigen Kreislauf der Natur, über Leben und Sterben, Widerstandskraft und die homophoben Strukturen im Großbritannien der Thatcher-Ära sowie christlicher Religionen.
Bettina Ellerkamp, Jörg Heitmann und Stefanie Schulte Strathaus haben den 95-minütigen Film für die Schau in seine Elemente zerlegt. Er wandert über zwölf riesige Leinwände, wird auf diese Weise zur raumgreifenden Installation, was tatsächlich überraschend gut funktioniert. Arbeiten weiterer Künstler*innen, die auf Jarman mehr oder weniger direkt Bezug nehmen, sowie ein umfangreiches Begleitprogramm ergänzen sich zu einem Parcours, der die Themen, auf die dieser in „The Garden“ anspielt, noch einmal über Bande miteinander verknüpft.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!