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Kunstperformance über das ZusammenlebenDie eigene Partikelhaftigkeit

Der Künstler Koki Tanaki ließ in einem dreitägigen Kollektivprozess in Berlin über unser Zusammenleben nachdenken.

Herumlaufen, zuhören, Suppe essen, reden und die Trophäe eines Risikoversicherers fotografieren Foto: Katy Otto/HKW

In diesem Sommer wurde angesichts der documenta fifteen viel über Sinn und Form des kollektiven Arbeitens in der Kunst diskutiert. Darüber, was horizontale Entscheidungsprozesse vermitteln können, wenn es das klassische Kunstobjekt nicht mehr gibt. Der Kunstkritiker Bazon Brock polemisierte schon über die Rückkehr des Schafblökens ob so viel Kollektivität in Kassel. Wie vergeistigt und fein subversiv kollektives Arbeiten jedoch sein kann, zeigte an diesem Wochenende in Berlin der japanische Künstler Koki Tanaka.

Tanaka, der 2013 den japanischen Pavillon in Venedig bespielte oder 2017 an den Skulptur-Projekten in Münster teilnahm, lud rund 20 internationale Wis­sen­schaft­le­r:in­nen und Künst­le­r:in­nen in das Haus der Kulturen der Welt. Mit ihnen diskutierte er eine einfache wie komplexe Frage, die er schon lange mit seinen Projekten verfolgt: Wie können wir zusammenleben?

Das räumliche Setting, das er dafür in diesem extravaganten Bau der Moderne eingerichtet hat, erinnerte an die Universität, an ihre emanzipatorischen Zeiten infolge von 1968. Wie Koki Tanaka die elegante, aber dann in den 1950ern doch eher einer autoritären Wissensvermittlung geschuldete Kongresshalle fein zersetzt, wie er aus demselben Holz gefertigte bequeme Liegebänke über die ordentlichen Stuhlreihen platziert oder aus dem Depot des HKW Rollen von Teppichboden, Podeste oder Küchengeräte auf der Bühne zu einer innenarchitektonischen Ruinenlandschaft drapierte, all das unterwanderte jegliche Form von Hierarchie.

Schon mit seinem Materialarrangement machte er deutlich, was hier an drei Tagen besprochen wurde: Alles hängt mit allem zusammen – Objekte, Wesen, Gesellschaft, Planet.

In kleinen Gruppen platzierte Koki ­Tanaka die Geladenen in seinen Installationen, trug ihnen Aufgaben auf – es galt, aus einem Ursud drei Suppen zu kochen oder aus den Teppichbodenrollen einen Unterschlupf zu bauen – und ließ sie sich dabei in ein lockeres Gespräch vertiefen. Mehrere Kameras filmten, alles wurde auf Screens wiedergegeben. Die Zuschauer:innen, ausgestattet mit Kopfhörern, konnten durch die Halle laufen, sich auf einen Liegestuhl legen, Suppe essen, zuschauen und zuhören.

„Interspezies-Behördenopfer“

Den Ausführungen des Wissenschaftstheoretikers Gary Zhexi Zhang etwa. Er beobachtet, wie der Klimawandel zu einer Größe in der Risikoberechnung von Versicherungen geworden ist und somit eine sich anbahnende Katastrophe zum Profitfaktor auf dem Kapitalmarkt wird. Die Anthropologin Nikiwe Solomon brachte den ungewöhnlichen Gedanken von „Interspezies-Behördenopfern“ ein. Bei ihren Forschungen in Kapstadt erfuhr sie, dass Tiere, Pflanzen, Menschen und Industrie gleichsam unter der Verseuchung eines Flusses und dem Missmanagement der dortigen Umweltbehörde leiden.

Der syrische Theaterregisseur Mohammad Al Attar wiederholt die These, dass auch der Klimawandel Anlass für den Arabischen Frühling und den Krieg in seinem Land gegeben hätte. „Den Menschen ging es bei den Protesten um ihre Würde“, sagt er. „Erderwärmung und Nahrungsmangel hatten sie ihnen schon genommen.“

Wie schwere Partikel fielen die ausgetauschten Gedanken der Red­ne­r:in­nen quasi über den Kopfhörer in die Suppe, über die Bildschirme neben den Liegestuhl. Koki ­Tanaka, der in der Vergangenheit mit seinen sozialen Settings vor allem feine psychologische Momente hervorkommen lassen konnte, vermittelte die planetarische Dimension seiner Themensetzung nur recht zerstückelt.

Doch gerade weil an diesen drei Tagen die Inhalte von einem Punkt zum anderen auf dem Planeten holperten, konnte man sich seiner eigenen Partikelhaftigkeit in diesem ganzen Geschehen gut bewusst werden.

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