Kunstausstellung in Hannover: Bilder im Zwiegespräch
Lange war Herbstausstellung des Kunstvereins Hannover nur eine Art Mitgliedertreueprämie. Nun bewährt sie sich als entdeckungsfreudige Schau.
Ein gar nicht so kleines Jubiläum: Zum 90. Mal findet die Herbstausstellung niedersächsischer und bremischer Künstler:innen in Hannover statt, im Kunstverein. Der richtet sie seit 1907 aus. Die ursprünglich jährliche Verkaufsschau hat sich im Laufe der Jahrzehnte zu einem nicht ganz stringent durchgehaltenen Zweijahresereignis ohne vorrangig kommerzielle Absichten gemausert. Dem letzten, anno 2021 veranstalteten, war dann leider eine nur begrenzte Öffentlichkeit beschert, wegen Corona.
Ehemalige Organisator:innen, etwa Manfred de la Motte (1935–2005), Direktor im Kunstverein zwischen 1969 und 1972, hegten durchaus Zweifel am Charakter solch eines Querschnittformats: Ist es die „dokumentierte Treueprämie“ für eine immerwährend präsente, regionale Kunstprominenz, oder doch eine „Novitätenschau“ für künstlerische Entdeckungen, zu denen einst ein Kaliber wie Kurt Schwitters gehört hatte?
Nachfolgende Direktor:innen versuchten ihr Heil in einer bewussten Ausweitung der Ausstellungen, bezogen etwa im „Kulturdreieck“ Oper und Schauspielhaus ein, gingen mit „Satelliten“ bis hinaus in den Kunstverein Langenhagen, gar den Flughafen, oder realisierten Interventionen an urbanen Unorten Hannovers. Solch Gebaren scheint nicht Sache des aktuellen Direktors Christoph Platz-Gallus.
Auch hat er weise auf ein thematisches Motto verzichtet, das oft entweder zu belanglos oder an den Haaren herbeigezogen erschien. Stattdessen inszenierte er nun, gemeinsam mit Kuratorin Carlotta Gómez, eine konzentrierte Ausstellung ausschließlich in den Räumen des Kunstvereins. Sie mag mit 45 Positionen etwas kleiner ausfallen, auch war das Teilnahmeinteresse wohl bescheidener als üblich.
Novitäten und Kuriositäten
Wie stets entschied eine, diesmal siebenköpfige, Jury, wählte einen qualitativ repräsentativen Querschnitt aus durch Malerei, Grafik, Objekt, Installation, Video und weitere Medien, auch durch Generationen, Geschlecht und Herkunft norddeutscher Kreativproduzent:innen. Das Altersspektrum reicht von Jahrgang 1931 – Siegfried Neuenhausen, mit einer seiner „Pandemischen Collagen“ – bis zu mehreren im Jahr 1999 Geborenen. Und ganz auf Außenwirksamkeit wird dann auch nicht verzichtet: Eine Serie von Performances wird in den öffentlichen Raum ziehen, mit der „Sophienlandschaft“ von Anja Gerecke und Stefan Rummel bringt sich zudem ein erdgeschosshoher Holzkörper mit Soundinstallation bereits am Fuße der Kunstvereins-Adresse in Stellung.
Zur Kategorie Treueprämie zählt sicherlich Altmeister Timm Ullrichs, gefühlt ja immer mit von der Partie. Für seine „Ukrainische Landschaft“ hat er aus aktuellem weltpolitischem Anlass eine Wort- und Farbexegese zu Blau, Gelb (und Grün) überarbeitet. Wiederholungstäter ist auch Hans Karl, Jahrgang 1935. Sein Stillleben „Flächen und Figuren II“, eine abstrahierte Straßenszene mit ein paar isolierten Menschen, tritt in den Dialog mit der Videoperformance von Meike Redeker, 1983 in Wolfenbüttel geboren. Sie zeigt sich neben dem Fahrrad liegend: War es ein Unfall, etwa in einem Karl’schen Environment? Zumindest gelingt ihr Anliegen, eine sicher geglaubte Balance in Frage zu stellen.
Schnell registriert man: solch dialogische Setzungen sind Prinzip. Natur, Landschaft, Licht, Chaos, Dystopie: alles Subthemen im Parcours. Sehr dicht gerät etwa das Arrangement aus einem Film von Jonas Brinker, einer Plastik von Manuel Cornelius und einem flachen Textil von Edson Colón Aguirre. Brinker begleitete mehrmals ein Rudel streunender Hund in der Wüste Sinai, touristische Investitionsruinen sind dort ihr selbstverständlicher Lebensraum. Cornelius’ organische Form beschwört in ihrem Titel den Staub, während Colón Aguirre sein schwarzes Tuch in einem genau definierten Prozess extremem Sonnenlicht aussetzte, das kalkulierte Spuren hinterließ.
Stichwort Tuch, eine neue Liebe zum Textil: damit könnte die diesjährige Novitätenschau aufmachen. Da wären etwa noch Gilta Jansen, die mehrfarbige Stoffbahnen von der Decke herabstürzen lässt, Julia Schmid, die Quallenpopulationen auf schwerem asiatischem Brokat verewigt, oder Katja Windau mit archaischem Filzwerk im Flecktarn-Kolorit der Bundeswehr: „Zeitenwende“. Die Brasilianerin Jac Lisboa steuert eine komplette blütenweiße Textilszenerie bei, die Basis für ein performativ zu vollziehendes Reinigungsritual.
Und natürlich lässt sich der diesjährige Preisträger der Sparkasse Hannover nicht übersehen: Sebastian Neubauer. Seit 1984 würdigt diese Auszeichnung nicht mehr ganz junge Künstler:innen mit schon respektablem Werk. Neubauer, 1980 in Hameln geboren, ist Absolvent der Freien Kunst, Schwerpunkt Video und Film, der HBK Braunschweig und lebt glücklich in Hannover.
90. Herbstausstellung: bis 22. 10., Kunstverein Hannover, Sophienstr. 2
Er hat ein Kuriositätenkabinett geschaffen, zeigt Expertisen seiner maximalistisch freien Kombinatorik: zusammengesetzte Tiere, eine lebensgroß menschliche Figur mit Staubsaugerkopf, Rückgriffe auf vorherige Ausstellungen. Denn auch er ist kein Unbekannter der Herbstausstellungen – wenngleich noch ohne Status Treueprämie.
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