Kunst über Coding und Feminismus: Holzschuhe ins Getriebe werfen
Coding, Weben und Feminismus – das bringt der Kunstverein München mit der Ausstellung „Key Operators“ in poetische Zusammenhänge.
Computertechnologien bestimmen unser Leben. Und manchmal vergessen wir, dass die Geräte unseres Alltags eigentlich von mathematischen Codes bestimmt sind. Und noch mehr rückt in den Hintergrund, ob Coding nicht auch jenseits seiner rein technologischen Bedeutung künstlerisch und kulturhistorisch interessant sein könnte. Eine Ausstellung im Kunstverein München liefert dazu derzeit eine Fülle subversiver Ideen. Das erwartet man zunächst gar nicht bei ihrem sachlichen Titel: „Key Operators – Weben und Coding als Mittel feministischer Geschichtsschreibung“.
Dabei handelt es sich um eine hochgradig poetische Schau, bei der selbst das Licht, die Schlagschatten der Fensterkreuze an den Wänden und auf dem Boden, eine Rolle spielen. Die Schattenlinien erscheinen als Pendants zu den Rechenlinien des neuzeitlichen Rechenmeisters Adam Ries, die Künstlerin Katrin Mayer (geboren 1974) an anderer Stelle auf die Wand gezeichnet hat. Auch die Netzstrukturen der großformatigen Luminogramme der Kanadierin Lotus L. Kang (geboren 1985) werden Teil der natürlichen Intervention. Auch sie sind Lichtzeichnungen, die durch die Belichtung von Gegenständen auf Fotopapier zustande kommen.
Dennoch ist der Geist der Technik permanent anwesend. Ein penetrantes Rattern durchbricht die Stille der hohen Räume. Es stammt von dem Nadeldrucker, der im Foyer permanent Vierzeiler wie diesen ausspuckt: „House of plastic, in southern France, using candles, inhabited by various birds and fish.“
Die 1967 entstandene Gedichtpartitur „The House of Dust“ von Alison Knowles (geboren 1933) basiert auf vier Kategorien, zu denen die Künstlerin vorab alternative Satzfragmente formulierte. Die Magie dieser Gedichte basiert auf einer Regel. Aneinandergereiht werden: eine Art von Haus oder von Baumaterialvorgabe, ein Ort oder eine Situation, eine Lichtquelle und eine Kategorie von Bewohnern.
„Key Operators. Weben und Coding als Mittel feministischer Geschichtsschreibung“. Kunstverein München, bis 24. November
Die Pionierin des Codes, Ada Lovelace
„Obwohl das Gedicht im Algorithmus angelegt ist, ist die Sprache mehr als ungewiss; obwohl ihr Träger ein Sinnbild für den Verwaltungsapparat ist, wird sie wie eine Notation einer Musikpartitur gelesen, offen für Interpretationen und daher unberechenbar“, kommentierte Knowles ihre Arbeit. Die Pionierin des Codes, Ada Lovelace (1815–1852), hätte sich gefreut. Sie hielt es im Gegensatz zu dem offiziellen Vater der Informatik, Charles Babbage (1791–1871), für denkbar, dass eine Maschine, die Berechnungen durchführen kann, auch Musikstücke und Gedichte schreiben könnte.
Für die Britin Lovelace musste Mathematik noch Privatsache bleiben; sogar der Zugang zu Bibliotheken war ihr verwehrt. Ihre Geschichte setzte sich dann hundert Jahre später in anderer Weise fort. Angestellt als Rechnerinnen, sogenannte Computer, führten Frauen als Dienstleistung Berechnungen durch, die Voraussetzung für technische Innovationen waren.
„Es ist genau dieser Widerspruch, dieses Nichtanerkennen von essenzieller weiblicher Arbeit, die aber die Strukturen herstellt, in der technologische Entwicklungen erst passieren“, sagt Gloria Hasnay, Leiterin des Kunstvereins München. Es sei ein großes Anliegen der Ausstellung, an diese vermeintlichen Ränder zu schauen, die die Infrastruktur schaffen für das, was dann als offizielle Geschichtsschreibung gelte.
Für die US-amerikanische Videokünstlerin Beryl Korot (geboren 1945) sind die Technologien der Informationskodierung eng mit der alten Kulturtechnik des Webens verbunden. In „Babel 2“, einer Malerei auf handgewebtem Leinen, entwickelte sie eine Codesprache, die auf der Gitterstruktur des gewebten Stoffs basierte. Marilou Schultz (geboren 1954) hingegen webte einen Teppich, der einen integrierten Schaltkreis zeigt und daran erinnert, dass zwischen 1965 und 1975 Navajo-Weberinnen auf Grund ihrer Fingerfertigkeit in einem Montagewerk des US-Chip-Herstellers Fairchild Industries beschäftigt waren.
Weberei war lange Männerarbeit
Technik und Textilien scheinen auf ersten Blick nicht viel miteinander zu tun zu haben. Für das eine sind die Frauen zuständig, für das andere die Männer. Dabei war die Weberei lange harte Männerarbeit. Als um 1800 die Jacquard-Webstühle aufkamen, deren Metall-Lochkarten-Ketten nichts anderes waren als gestanzte Programme, wurden viele Weber und Weberinnen arbeitslos. Aus Protest warfen sie ihre Holzschuhe, ihre Sabots in die Mechanik ihrer fehlerfrei arbeitenden Konkurrenten und brachten sie damit zum Stillstand. An dieses Moment der Selbstermächtigung erinnert die Intervention „Sabotage or Trophy“ von Bea Schlingelhoff (geboren 1971). Sie platzierte Holzschuhe auf den Wänden des Kunstvereins, so dass der Eindruck entsteht, als sei auch im Kunstverein ein Akt der Sabotage im Gange.
Webkunst war nie mehr als eine Randnotiz der Kunstgeschichte. Wenn in der Münchner Schau mehrere Bildwirkereien von Johanna Schütz-Wolff (1896–1965) zu sehen sind, ist dies als Hommage an all die vergessenen Textilkünstlerinnen zu verstehen. Schütz-Wolff war 1967 posthum eine Retrospektive im Kunstverein München zuteilgeworden. Auch daran wird erinnert. Und es mag zu denken geben, dass in denselben Räumen 1970 die Schau „Impulse Computerkunst. Graphik, Plastik, Musik, Film“ stattfand – und zwar ohne Beteiligung einer einzigen Künstlerin. Auch an den Zusammenhang von Webtechnik und Coding dachte noch niemand.
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