Kunst auf Postkarten: Subversives im unscheinbaren Format
Eine Schau im Dresdener Kupferstichkabinett zeigt Postkartenkunst nach 1960. Sie ist Protest gegen Hochkultur und Dialog über Systemgrenzen hinweg.
Als der Konzeptkünstler Walter de Maria 1977 zur documenta 6 einen 1.000 Meter langen Messingstab im Stadtzentrum von Kassel senkrecht in den Boden einließ, gefiel das nicht jedem. Zu aufwendig, teuer und theoretisch mutete so manchem die Idee an, ein unsichtbares Werk unter der Erde zu schaffen, das sein Publikum als reines Gedankenspiel ansprechen sollte.
Auch der Künstler Klaus Staeck störte sich am verkopften Projekt und schuf vor Ort spontan ein zugänglicheres Gegenstück, den „Postkartenkilometer“: „Ich habe ein paar Meter in die entgegengesetzte Richtung gestapelt, denn mir ist es bis heute wichtig, dass die Botschaften meiner Karten wahrgenommen werden und in großer Auflage Verbreitung finden.“
Kunst durch günstige und für alle verfügbare Postkarten zu demokratisieren, war Staecks Anliegen. Als Verleger brachte er daher Sprüche, Zeichnungen oder Fotografien von Beuys oder Christo aufs Papier und damit unter die Leute. Mit seinen Karten war er nicht alleine. Das Dresdener Kupferstichkabinett präsentiert ihn aktuell als einen von gut 200 Künstler:innen, die sich des unscheinbaren Kleinformats in den letzten 60 Jahren angenommen haben – mit denkbar unterschiedlichen Resultaten.
Protest gegen Hochkultur
„Postkartenkilometer. Künstlerkarten in Europa von 1960 bis heute“: Residenzschloss Dresden, noch bis zum 18. Februar 2024.
Noch vor Staeck wurde im Fluxus und der Mail Art – zwei der ersten Strömungen, die sich zeitgleich in den USA und Europa etablierten – die Kommunikation zu einem Hauptanliegen von Künstler:innen. Postkarten boten Raum für den gegenseitigen Austausch mit Konzepten und Projekten – und wurden dabei selbst zum Werk erhoben. Dass aus Protest gegen bürgerliche Hochkultur auf edle Materialien und den Fetisch des Unikats verzichtet wurde, machte die Postkarte zum Medium der Stunde. Jeder konnte, durfte und sollte mitmischen.
Doch während die Karten in den USA und Westeuropa als niedrigschwellige DiY-Kunst existierten, wurde Mail Art unter autoritären Regimen wie in der DDR und der Sowjetunion stärker politisiert. Ansichtskarten hatten subversives Potenzial und boten trotz Zensur Anschluss an internationale Szenen – über Länder- und Systemgrenzen hinweg.
Ausstellungen wie in der Galerie Arkade, in der 1978 über 450 Postsendungen aus aller Welt in Ostberlin präsentiert wurden, waren daher selten und liefen nur unter Kontrolle der Stasi. Dass vonseiten der Politik zwar kritisch, aber dennoch interessiert geschaut wurde, zeigt der damalige Aufkauf aller Karten durch die Staatlichen Kunstsammlungen – eine Grundlage für die aktuelle Dresdener Schau.
Flüchtige Peformances
Auffällig ist, dass sich die Karte nicht einer einzelnen Geisteshaltung oder Strömung zuordnen lässt. Selbst die trockene Konzeptkunst, gegen die sich einst Klaus Staeck mit einem Kartenturm auflehnte, griff bereitwillig auf das Medium zurück. Karten von Richard Long oder Jan Dibbets verdeutlichen, wie sich auch flüchtige Performances festhalten, vermitteln und bewerben ließen.
Mit Einführung des Internets fielen diese Aufgaben erst der E-Mail und später Social Media zu. Die Postkarte war nicht mehr zeitgemäß. Dass dieses Urteil angesichts der inklusiven, günstigen und dialogischen Handhabung gerade für Künstler:innen zu überdenken ist, zeigt die Dresdener Ausstellung eindrücklich.
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