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Kundus nach Abzug der BundeswehrDeutschland stärkte die Warlords

Die Bundeswehr hat die Machtstrukturen im afghanischen Kundus falsch eingeschätzt. Das ist das Fazit einer Studie des Afghanistan Analysts Network.

Raus aus Kundus. Die Bilanz ist gemischt. Bild: dpa

BERLIN taz | Gut einen Monat nach Übergabe des deutschen Feldlagers Kundus an die afghanische Armee legt das unabhängige Afghanistan Analysts Network (AAN) an diesem Dienstag die bisher umfassendste Bilanz über den Bundeswehreinsatz in den nord-afghanischen Provinzen Kundus und Badachschan vor.

Die der taz vorliegende Studie von Philipp Münch basiert auf Interviews vor Ort. Sie untersucht vor allem, wie sich die deutsche Militärintervention auf die Machtstrukturen vor Ort ausgewirkt hat. Das Fazit: „Im Unterschied zu Vertretern anderer Nationen haben die Deutschen nur selten versucht, die Machtstruktur aktiv zu beeinflussen.“

Die Deutschen hätten sich in den Provinzen unter ihrem Militärkommando „an das legalistische Prinzip der Zusammenarbeit mit den offiziellen Machthabern gehalten und ansonsten versucht, neutral zu bleiben.“

Hatte dieser vorsichtige deutsche Ansatz den Vorteil, keinen direkten Widerstand lokaler Machthaber zu provozieren, so nahm die Bevölkerung das Verhalten der zunächst begrüßten deutschen Soldaten laut der Studie mit der Zeit als bewusste Parteinahme für die nach dem Sturz der Taliban herrschenden Kommandeure wahr. Dieser Ansatz „zementierte die bestehende Machtverteilung“.

Kommandeure waren Verbündete des Westens

Kundus: Daten und Fakten

• Die nordafghanische Stadt Kundus mit geschätzten 125.000 Einwohnern ist Hauptstadt der gleichnamigen Provinz (circa 950.000 Einwohner). Die Stadt war im November 2001 die letzte von den Taliban gehaltene Hochburg im Norden des Landes. Nach tagelangen Verhandlungen ergaben sich die Taliban, während Pakistans Geheimdienst dutzende Kämpfer und Extremisten ausfliegen ließ. Nach der Gefangennahme erstickten hunderte gefangener Taliban in Lkw-Containern.

• Die US-Armee schickte im April 2003 ein sogenanntes bewaffnetes Wiederaufbauteam (PRT) in die Stadt. Das wurde im Dezember 2003 durch ein deutsches PRT ersetzt, das zur Isaf-Truppe gehörte und bis 2010 auf 1.200 Soldaten ausgeweitet wurde. Am 4. September 2009 wurden bei einem von der Bundeswehr angeforderten Luftangriff bis zu 142 Menschen getötet, die meisten davon Zivilisten. Nach dem schrittweisen Abzug der Bundeswehr wurde das deutsche Feldlager am 6. Oktober an afghanische Sicherheitskräfte übergeben. (han)

Die von Münch neutral als Kommandeure bezeichneten lokalen Machthaber sind entlang zweier rivalisierender Gruppen organisiert – und nichts anderes als Warlords. In den 1980er Jahren waren sie örtliche Anführer des bewaffneten Widerstands gegen die sowjetische Besatzung. In den 90er Jahren trugen sie ihre Rivalitäten blutig auf dem Rücken der Bevölkerung aus. Erst die Taliban, mit denen sie teilweise temporär paktierten, beschränkten ihre Macht.

Doch nach dem Sturz der Taliban Ende 2001 gewannen die Kommandeure wieder Einfluss, auch weil sie nach 9/11 Verbündete des Westens in dessen Kampf gegen die Taliban wurden. Sie konnten sich seitdem durch die Übernahme offizieller Ämter als Gouverneure, Polizei- oder Geheimdienstchefs auf Provinz- oder Distriktebene legitimieren. Das gab ihnen ein offizielles Gewaltmonopol, den Zugang zu staatlichen Pfründen und große Korruptionsmöglichkeiten. Der Drogenhandel und Geschäfte mit deutschen Militärs und Hilfsorganisationen boten weitere Bereicherungsmöglichkeiten.

Die Studie zeigt, wie einzelne Warlords durch geschickte Kooperation mit den internationalen Militärs die eigenen Interessen und die eigene Klientel verteidigen konnten. Der Autor vermisst eine klare längerfristige Strategie – außer möglichst Konflikte und Opfer zu vermeiden. Münch sieht seit dem Sturz der Taliban die Paschtunen in ihrer nördlichen Hochburg Kundus in offiziellen Positionen unterrepräsentiert. Ab etwa 2005 wandte sich die enttäuschte Bevölkerung wieder verstärkt den Taliban zu. Laut Münch waren sich die Deutschen zu Beginn ihres Kundus-Einsatzes Ende 2003 der lokalen Machtkonstellationen und ihrer Vorgeschichte gar nicht bewusst.

Immerhin sei es der Bundeswehr weitgehend gelungen, Machtkämpfe der rivalisierenden Warlords in friedliche Bahnen zu lenken. Um die Warlords gewogen zu halten, die der Bundeswehr das Leben hätten schwer machen können, boten die Deutschen ihnen kostenlose medizinische Versorgung. Auch profitierten die lokalen Machthaber von Aufträgen der Deutschen, etwa an von ihnen kontrollierte Baufirmen oder an ihre Wachdienste.

Keine klaren Alternativen

„Die Deutschen wurden bewacht von afghanischen Wachen mit unklaren Loyalitäten," schreibt Münch. Dabei seien die Deutschen zu einem gewissen Grad „Geiseln ihrer Gastgeber gewesen". Eine Ironie ist, dass ausgerechnet die Taliban den langjährigen Gouverneur von Kundus, Mohammad Omar, töteten. Den als äußerst korrupt und unzuverlässigen Machthaber hatte die Bundeswehr als einen der wenigen selbst lange vergeblich versucht loszuwerden. Doch hatte er in Kabul mehr Einfluss als die Deutschen.

So ernüchternd die Ergebnisse der Studie sind, so zeigt sie aber auch, dass etwa das massivere Vorgehen des US-Militärs oder auch die sensiblere Einmischung der Niederländer in der Provinz Urusgan nicht unbedingt erfolgreicher waren als das Vorgehen der Deutschen.

Es ist die Schwäche der Studie – oder besser gesagt der enormen Komplexität vor Ort geschuldet –, dass sie als Gesamtbilanz keine klaren Handlungsalternativen zeigt. Es bleibt der Eindruck, dass eine Militärintervention von außen nur sehr begrenzte Möglichkeiten hat, wenn sie lokale Kräfte stützen soll, die nicht entwaffnet sind.

Und diese Möglichkeiten sind umso geringer, je weniger die Interventionsmacht mit den lokalen Verhältnissen vertraut ist.

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12 Kommentare

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  • Wie in jeder Gesellschaft gibt es auch in der afghanischen genug Persönlichkeiten, die sich gegen die Warlordstrukturen zur Wehr setzen. Ich erinnere nur an die Journalisten Sayed Yaqub Ibrahimi, der den Leipziger Medienpreis 2010 bekam und bei dieser Gelegenheit von Thomas de Maiziére in der Preisrede gelobt wurde für seine beispielhaften Artikel über den Machtmissbrauch der Warlords. Jetzt lebt er in Kanada, das ihm als Fluchtland lieber war als Deutschland. Oder an die afghanische Dichterin und Journalistin Mahsa Taee, deren Kommentare über den Zusammenhang zwischen Machtmissbrauch und Korruption in der afghanischen Regierung bei der größten afghanischen Tageszeitung Präsident Karzai veranlassten, ihre Zeitung zu schließen und sie mit Haftbefehl und Anschlägen auf ihre Leben außer Landes zu treiben. Wer die Zusammenarbeit mit den Warlords betreibt, verhindert die Entwicklung einer Gesellschaft ohne Warlords. Das ist der Schluss, den man aus den Ergebnissen dieser Studie ziehen muss! Und in den Asylverfahren z.B. in Deutschland werden zwar die Oberklasseopfer als Asylbewerber meist anerkannt, allerdings dann sich selbst überlassen, in dem fremden Land eine ungewisse Zukunft, die die Verdienste ihrer Vergangenheit nicht anerkennt, zu gestalten. Die armen Bürger, die fliehen, weil Familienmitglieder bedroht oder Töchter zwangsverheiratet werden sollen, werden aber oft abgelehnt, weil man ihnen die sich wie ein Ei dem andern gleichenden Geschichten nicht glaubt ...

  • U
    Ungeschminkt

    Die objektive Realität wird stets noch erfolgreich - politisch und medial - geleugnet:

     

    Die Bundesregierungen, der Bundesnachrichtendienst (BND) und die Bundeswehr, sie haben gemeinsam die Machtstrukturen in Afghanistan für die internationale Drogenkriminalität, - für den Drogenmissbrauch und die Drogensucht von Millionen jungen Menschen - vor allem auch - in Nordamerika und der Europäischen Union -, verstärkt.

  • H
    Honk

    auf Russia Today lief die Tage ein 20 Minuten langer Bericht, dass die offizielle Geschichte vom 11. September, der uns diesen Krieg beschert hat, wenig Wahrheit beinhaltet.

  • G
    Gastomat

    "Hatte dieser vorsichtige deutsche Ansatz den Vorteil, keinen direkten Widerstand lokaler Machthaber zu provozieren, so nahm die Bevölkerung das Verhalten der zunächst begrüßten deutschen Soldaten laut der Studie mit der Zeit als bewusste Parteinahme für die nach dem Sturz der Taliban herrschenden Kommandeure wahr."

     

    FAZIT: Es gibt sowas wie Neutralität nicht!

  • R
    reblek

    "Die der taz vorliegende Studie von Philipp Münch basiert auf Interviews vor Ort. Sie untersucht vor allem..." - Eine Studie untersucht gar nichts, denn sie ist ein Objekt und gibt wieder, was Menschen untersucht und herausgefunden haben.

  • B
    Bastler4711

    "unabhängige Afghanistan Analysts Network (AAN)"

     

    Wer ist denn das überhaupt?

    Wer hat von denen vorher schon mal gehört?

    Woher haben die denn ihre Informationen?

    Und wer gibt denen das Recht, den moralischen Zeigefinger zu heben?

    Komisch, dass das niemandem auffällt!

    • L
      Lex
      @Bastler4711:

      vielleicht einfach mal deren homepage besuchen? das könnte die ein oder andere frage beantworten.

    • G
      Gast
      @Bastler4711:

      The Afghanistan Analysts Network (AAN) is an independent non-profit policy research organisation. It aims to bring together the knowledge, experience and drive of a large number of experts to better inform policy and to increase the understanding of Afghan realities. It is driven by engagement and curiosity and is committed to producing analysis on Afghanistan and its region, which is independent, of high quality and research-based. Our aim is to be bi-taraf but not bi-tafawut – impartial, but not indifferent.

  • 6G
    688 (Profil gelöscht)

    Als wenn wir mit "Entwicklungshilfe" je etwas anderes als systemrationale Intrigen im Sinn gehabt hätten, für das "Recht des Stärkeren", im "gesunden" Konkurrenzdenken, des nun "freiheitlichen" Wettbewerbs um die Begehrlich- und Abhängigkeiten, des geistigen Stillstandes und seiner symptomatischen Konfusion in Überproduktion von bewußtseinsbetäubenden KOMMUNIKATIONSMÜLL???

  • KW
    Klaus W

    Sven Hansen bezeichnet den durch die Rot-Grüne Koalition und den Bundestag mandatierten Bundeswehreinsatz als "Militärintervention". Ist das noch zeitgemäss, oder nur Schablonendenken? Speziell in Kunduz waren noch dutzende von deutschen NGO´s tätig. Über deren Erfolge / Misserfolge erfährt man leider nichts in diesem Artikel. Die Bundeswehr ist für das Scheitern des Westens in Afghanistan nicht alleine verantwortlich...leider

    Klaus W.

  • G
    Gast

    Afghanistan braucht die Monarchie.

    Ganz ehrlich, nie ging es diesem Land besser als unter dem König.

    Die sollten den König zurück ins Land bringen.

     

    In einer so kaputten Gesellschaft kann nur ein gerechter Monarch das Volk versöhnen.

     

    Eine Republik in einer kaputten Gesellschaft ist zu schwierig.

    • M
      Mephisto
      @Gast:

      Der König kehrte aus dem Exil zurück.Er ist tot,starb 2007.Ich hab ihn mal getroffen (im Wartezimmer des San-Zentrums bei Kabul)und ein Schwätzchen gehalten.Er schien sehr der Zeit nachzutrauern, als Afghanistan noch anständige Universitäten hatte, die Medizin,Mathematik etc. lehrten.Der König hatte zwar einen sehr guten Ruf in der Bevölkerung und ihm wurde mit viel Respekt begegnet,aber die Machtstrukturen haben sich so krass verändert...da wird keine Monarchie mehr kommen.Vielleicht schafft es der Sohn von Masoud (oder der Bruder Masouds), wenn er mal alt genug ist und nicht korrumpiert wurde (und dann noch lebt) das Erbe (die Visionen)seines Vaters in ein politisches Programm umzumünzen.DAS würde tatsächlich eine Veränderung bewirken.Der "Löwe von Panjshir" ist bis heute DER Nationalheld schlechthin.