Kultursenator Lederer über Wahlkampf: „Das wird wieder eine Mietenwahl“
Kultursenator und Linken-Spitzenkandidat Klaus Lederer über Frust unter Wähler*innen, den Klimaentscheid, Hilfen für die Kultur und den Wahlkampf.
taz: Herr Lederer, sind Sie heiß auf den Wahlkampf?
Klaus Lederer: Absolut.
Wirklich?
Die Wiederholungswahl am 12. Februar ist eine Chance für die Berlinerinnen und Berliner, sich zu fragen, was die wirklich wichtigen Fragen in dieser Stadt sind – und dementsprechend zu entscheiden.
Ist die Wiederholung nach nur einem Jahr nicht vielmehr ein Grund für Frust – schließlich hat die Politik darin versagt, eine Wahl korrekt zu organisieren?
Das Gericht hat der Landespolitik – insbesondere der Innenverwaltung und der Landeswahlleitung – ein verheerendes Zeugnis ausgestellt. Jetzt müssen wir als Politiker*innen deutlich machen, dass dieses Signal angekommen ist. Ich kann mir gut vorstellen, dass Menschen der Wahl aus Frust fernbleiben. Wir müssen daher klarmachen: Wer linke Politik will und soziale Anliegen umgesetzt haben möchte, muss die entsprechende Partei dann auch wählen.
Würde der Frust noch größer, wenn der Klimavolksentscheid an einem anderen Tag als dem 12. Februar abgestimmt würde?
48, ist seit Dezember 2016 Kultursenator Berlins und als Bürgermeister einer der beiden Stellvertreter*innen von Regierungschefin Franziska Giffey. Als Linken-Spitzenkandidat wird er erneut seine Partei in den Wahlkampf für die Wiederholungswahl am 12. Februar 2023 führen
Ich fände es gut, beide Termine zusammenzulegen – wenn es uns technisch möglich ist. Das muss uns der Landeswahlleiter hieb- und stichfest darlegen. Am Ende ist es entscheidend, dass sowohl bei der Wahl als auch bei dem Klima-Volksentscheid die Abstimmungsabläufe funktionieren.
Sie sind jetzt zum dritten Mal Spitzenkandidat. Die Ausgangsposition ist, dass sich die drei großen Parteien SPD, Grüne und CDU um die Poleposition balgen, und die Linke guckt von der Seite zu.
Wir gucken überhaupt nicht zu! Wir werden für soziale Mehrheiten in der Stadt kämpfen und die brauchen wir auch dringend. Was unterscheidet denn die Koalitionen im Bund und in Berlin? Die Linke! Wir sind diejenigen, die hier im Senat inzwischen seit Jahrzehnten die Sicherung und die Resilienz öffentlicher Infrastrukturen in den Mittelpunkt gestellt haben, auch das Thema Rekommunalisierung und die Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes. Dabei ging es uns nicht um Effekte, sondern um langfristige Strategien.
Unter Rot-Rot in den Nullerjahren wurden allerdings die öffentlichen Strukturen abgebaut!
Das ist richtig, aber auch nicht ganz fair. Wer hätte denn mit uns tauschen wollen im Jahr 2002, nachdem die große Koalition aus CDU und SPD nur Chaos hinterlassen hatte? Wir haben von Anfang an gegen die Privatisierung im Energiesektor, im Gassektor, in der Wasserversorgung mobil gemacht – zu Zeiten, in denen andere, die sich heute wie die Grünen als Rekommunalisierungs-Freunde feiern, noch Anhänger von Privatisierung waren.
Haben Sie weiterhin den Anspruch, Regierender Bürgermeister werden zu wollen?
Meine Partei steht hinter mir, meine beiden Senatskolleginnen Lena Kreck und Katja Kipping auch. Wir sind ein tolles Team und ich weiß, wir machen eine gute Arbeit. Wir werden unsere Erfolge in dieser rot-grün-roten Koalition zeigen, wo sie noch nicht breit wahrgenommen werden. Wenn sich etwa Katja Kipping großartig um die Belange von sozial benachteiligten Menschen oder von Geflüchteten kümmert – und bisher wenigen auffällt, was da passiert. Und natürlich traue ich mir zu, Regierender Bürgermeister zu werden. Von allen, die da im Angebot sind, bringe ich die meiste Erfahrung mit. Die Leute wissen, woran sie an mir sind.
Im Wahlkampf 2021 hat Franziska Giffey um Stimmen der Union geworben. Jetzt sagt sie: Alles, was Rot-Grün-Rot macht, ist auch mein Erfolg. Ist das nachvollziehbar?
Also erst mal bin ich froh, dass es gelungen ist, Franziska Giffey davon zu überzeugen, dass eine Koalition mit sozialen Mehrheiten für die Stadt die bessere Option ist. Wir erleben ja gerade, wie die FDP auf Bundesebene die ohnehin schwachen Versuche der Grünen und der SPD, sich von ihrem eigenen Kind – den Hartz-IV-Reformen – zu verabschieden, aufs Brutalste torpediert. Und wir erleben von der CDU einen Wahlkampf, der an Sozialzynismus kaum zu überbieten ist. Was jetzt davon übriggeblieben ist, ist kein Bürgergeld. Es ist nur eine unzureichende Regelsatzerhöhung.
2021 war auch eine Mietenwahl, es gab den Enteignen-Entscheid, den die Linke als einzige Regierungspartei voll unterstützt hat. Das Thema ist inzwischen deutlich weniger präsent.
Diese Wahl wird wieder eine Mietenwahl, weil die grundlegenden Probleme im Mietensektor nach wie vor existieren. Dass wir überhaupt noch über den Volksentscheid Deutsche Wohnen und Co. Enteignen sprechen, dass es eine Expert*innenkommission gibt, in der ernsthaft ausgelotet wird, welche Optionen wir haben, diesen Volksentscheid umzusetzen, ist ausschließlich der Linken zu verdanken. Niemand sonst hat das Thema in den Koalitionsverhandlungen so stark gemacht wie wir.
Sie sagen, in der Kommission werde „ernsthaft“ über die Möglichkeiten gesprochen, Vergesellschaftung umzusetzen. Viele Unterstützer*innen des Entscheids, auch in Ihrer Partei, glauben das nicht.
Die Signale, die ich von Mitarbeitenden aus der Kommission empfange, sind positiv. In Kürze soll ein Zwischenbericht vorgelegt werden, dann wird das Thema noch mal öffentlich diskutiert.
Die Wahlwiederholung Mitte November hat das Landesverfassungsgericht die Wahl vom 26. September 2021 für ungültig erklärt. Am 12. Februar wird sie wiederholt, zusammen mit den Wahlen zu den Bezirksparlamenten und vielleicht dem Klimavolksentscheid.
Die Ausgangslage In der ersten rot-rot-grünen Koalition von 2016 bis 2021 war die Linke noch der zweitstärkste der drei Partner. Doch bei der Wahl am 26. September 2021 rutschte sie leicht auf 14 Prozent ab, während die Grünen deutlich auf fast 19 Prozent zulegten. Angesichts des miserablen Abschneidens der Linkspartei bei der Bundestagswahl wurde das Berliner Ergebnis dennoch als Erfolg verbucht. Laut der am Donnerstag veröffentlichten Erhebung von Infratest dimap würden lediglich 11 Prozent der Berliner*innen bei einer Abgeordnetenhauswahl für die Linke stimmen. Die Grünen kämen auf 22 Prozent, gefolgt von CDU (21) und SPD (19). (taz)
Bisher unterstützt keine Partei den wohl anstehenden Klimavolksentscheid. Wäre das nicht für die Linkspartei eine Möglichkeit, einen Akzent zu setzen?
Erst mal bin sehr froh, dass es den Volksentscheid gibt, weil er auf die Dringlichkeit der Bewahrung unserer Umwelt hinweist. Die Lage ist unfassbar drastisch, weil uns schlicht die Zeit wegrennt. Bei der COP-27-Klimakonferenz sind die Ergebnisse deutlich hinter den Erwartungen zurückgeblieben und die Bundesregierung scheint kein Problem damit zu haben, die Nutzung von Öl und Gas als sogenannte Brückentechnologie jetzt wieder ein paar Jahre zu verlängern.
Also muss die Linke für ein Ja beim Klimaentscheid werben!
Der Klimavolksentscheid geht in die richtige Richtung. Die andere Seite der Medaille ist, dass wir versuchen müssen, politische Ziele anzugehen, die wir auch umsetzen können. Ist es tatsächlich möglich, bis zum Jahr 2030 in Berlin Klimaneutralität herzustellen? Als Politik sind wir nicht ganz so frei wie eine soziale Bewegung, auch Maximalforderungen zu stellen, deren Realisierbarkeit sich im Zweifelsfall als nicht möglich erweist.
Wechseln wir in Ihr Kernressort, die Kultur: Die Pandemie hatten Sie schon erwähnt. Das waren zwei harte Jahre. Was ist Ihr Resümee aus dieser Krise, jetzt bezogen auf Ihre Arbeit als Bürgermeister, als Kultursenator?
Es ist uns gelungen zu verhindern, dass Kultureinrichtungen an der Pandemie zugrunde gehen – dank unserer Hilfen, Beratungsangebote und Unterstützung auch in praktischer Hinsicht. Allerdings sind wir bei den Bühnen immer noch mit einer starken Zurückhaltung des Publikums konfrontiert, während wir bei Museen und Gedenkstätten zum Teil über den Zahlen vor der Pandemie liegen. Das Riesenproblem ist: Insbesondere Solo-Selbstständige haben sich beruflich anders orientiert. In den privaten Kulturbetrieben, etwa in der Musikszene, fehlt nun massiv Personal.
Im Nachtragshaushalt gibt es jetzt Geld für sehr viele Hilfen im Kulturbereich. Sind die ganzen Programme aus der Coronapandemie die Blaupause für diesen Winter?
Ein Stück weit ja. Wir haben in der Pandemie Liquiditätssicherung betrieben, um insbesondere den privaten Kulturbetrieben über die Zeit zu helfen. Das hat gut funktioniert. Und wir sind mit den jetzt im Nachtragshaushalt veranschlagten Mitteln gerüstet, um neu entstehende Härten abzufedern. Und wir sind einfach mal wieder deutlich schneller als der Bund: Dessen Hilfen starten erst 2023.
Das ist nun der dritte Winter mit massiven Hilfsprogrammen für die Kultur und auch die Wirtschaft. Wie kommt man denn aus diesem Modus wieder raus?
Ich bin über die drei Jahre zurückhaltend geworden mit Einschätzungen. Die Situation ist so vielschichtig, dass es vermessen wäre zu behaupten, man könnte da jetzt eine klare Zukunftsperspektive abgeben. Aber natürlich ist unser Ziel, dass private Kulturbetriebe wieder so arbeiten können wie vor der Pandemie. Das ist auch eine Frage von Kaufkraft, von den sozialen Möglichkeiten der Leute – was wiederum nicht von uns allein abhängt. Zwei konkrete Projekte werden wir aber in jedem Fall umsetzen.
Welche?
Das Konzept für das Jugendkulturticket ist fast fertig, das werden wir im Dezember vorstellen. Es wird ein Angebot für junge Leute, Kultur kostenfrei in Anspruch nehmen zu können. Und wir haben mit dem Kultursommer in diesem Jahr etwas Neues versucht, mit dem Ziel, Leuten mit schmalen Geldbeutel die Möglichkeit zu geben, niedrigschwellig die ganze Breite des Kulturangebots wahrzunehmen. Die Resonanz war enorm. Deshalb wird es im kommenden Sommer einen Nachfolger geben, auch das ist durch den Nachtragshaushalt möglich.
Neben allen Förderungen, was müssen die Einrichtungen selbst tun?
Die Kultureinrichtungen müssen natürlich auch selbst schauen, wo es Möglichkeiten gibt, Kosten und Energieverbrauch zu reduzieren. Das ist verbunden mit einem Nachhaltigkeitsanspruch, den wir nicht erst seit der Pandemie haben: Da geht es um die Frage der Wiederverwendbarkeit von Baustoffen etwa bei Bühnenbildern, die Frage von Sammlungsstrategien, die Frage von Aufbewahrung der Kulturgüter – und natürlich die Frage: Wie müssen wir technisch ausgestattet sein, um möglichst energiesparend zu arbeiten? Da ist schon viel passiert in den letzten Jahren.
Müssen die Ticketpreise angesichts von 10 Prozent Inflation steigen?
Kulturpolitik ist für mich Teilhabepolitik: Der Zugang zu Künsten, zu kulturellen Angeboten sollte allen möglich sein, egal mit welchem Geldbeutel. Etwa durch den kostenlosen Museumssonntag oder günstige Angebote der kulturellen Bildung, bei den Kinder- und Jugendtheatern oder den Musikschulen. Trotz allem müssen die Einrichtungen schauen, ob man bei teuren Karten nicht auch fünf oder sieben Prozent Inflation draufschlagen kann. Es kommt darauf an, passgerechte Angebote zu entwickeln. Es wird kein „One size fits all“ geben.
Im Rahmen des Netzwerks der Wärme machen jetzt Bibliotheken länger auf.
Bibliotheken sind die meistbesuchten Kultureinrichtungen unserer Stadt und längst weit mehr als Ausleihstationen, sie sind Treffpunkte, Veranstaltungsorte, Konferenzräume, in denen sich Kiezinitiativen treffen. Wir haben tolle Kolleg*innen in den bezirklichen Bibliotheken und auch in der Zentral- und Landesbibliothek, die notgedrungen in den vergangenen Jahren mehr als Bibliotheksarbeit geleistet, sich auch um das eine oder andere Problem gekümmert haben. Und was das Netzwerk der Wärme angeht: Ich hoffe, dass wir bald weitere Akteurinnen und Akteure zur Beteiligung gewinnen. Das ist ja ein Netzwerk in Bewegung.
Viele Bibliotheken beklagen, dass sie längst am Rande ihrer Kapazitäten sind.
Wir haben 2021 den ersten Bibliotheksentwicklungsplan seit 25 Jahren verabschiedet. Und wir haben in den vergangenen sechs Jahren die personelle und materielle Ausstattung deutlich verbessert. Das müssen wir weiter tun.
Wie kann es dann sein, dass ein Projekt wie der Neubau für die ZLB plötzlich wieder ins Wanken gerät?
Ich sehe das Projekt nicht im Wanken. Ich sehe nur irritierende Signale aus der Stadtentwicklungsverwaltung …
… von SPD-Senator Andreas Geisel…
… übrigens nicht zum ersten Mal. Seit einem Jahr wurde dort nichts gemacht, und jetzt sucht man nach Gründen, das zu erklären. Ich war schon überrascht, dass ausgerechnet die ökologische Dimension, die dort sonst nicht von höchstem Interesse ist, wenn es darum geht, neue Wohnquartiere zu bebauen, jetzt dafür herhalten muss, um diesen 2018 per Senatsbeschluss an diesem Standort vorgesehene Investition wieder infrage stellen zu können. Die Bauverwaltung muss einfach ihre Arbeit machen. Ich erwarte von allen Beteiligten, dass sie sich an die Verabredung halten, so wie wir das auch tun.
War es ein Fehler, das Stadtentwicklungsressort 2021 an die SPD zurückzugeben?
Es ist kein Geheimnis, dass ich mir gewünscht hätte, dass wir als Linke die von uns im Stadtentwicklungsressort gesetzten Akzente fortsetzen können. Nun muss ich hoffen, dass die Berlinerinnen und Berliner die Chance nutzen, sich vielleicht im Wissen und mit der Erfahrung aus diesem Jahr am 12. Februar 2023 anders, zu entscheiden. Klar ist aber auch: Unsere Koalition ist die einzige Garantie dafür, dass wir hier in Berlin soziale Politik machen können. Das wird auch nach der Wahl so sein. Wobei ich natürlich hoffe, dass wir dann schnell ins Arbeiten kommen und nicht noch mal über zwei oder drei Monate hinweg Schattenboxen spielen.
Aber wenn Sie die Wahl gewinnen …
(lacht) Ja, dann müsste man über Ressortverteilung noch mal neu reden. Und die eine oder andere Thematik anfassen, die dringend aktualisierungsbedürftig ist. Aber wir haben im Herbst 2021 eine Koalitionsvereinbarung miteinander beschlossen, die auf fünf Jahre angelegt ist. Diese fünf Jahre sind noch nicht vorbei.
Sicher werden auch die anderen Parteien den Wunsch anmelden, noch etwas nachzujustieren.
Wir müssen aber deswegen nicht ein Koalitionsprogramm von 120 Seiten von A bis Z komplett neu verhandeln; wir können uns auf Schwerpunkte konzentrieren.
Was also wird sein nach dem 12. Februar?
Wenn wir – also die Koalition – die Wahl hinter uns haben, dann müssen wir uns tief in die Augen schauen. Wir werden im Frühjahr nicht in einer Situation sein, in der sich eine Landesregierung in Berlin für drei Monate aus dem täglichen Hören von drängenden Problemen verabschieden kann. Dafür hätte niemand Verständnis.
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