Kulturschaffende in Coronapandemie: Wir sind kein Luxus und kein Hobby
Wir Kultur-Freiberufler sind von den Corona-Maßnahmen hart getroffen. Monat um Monat werden wir vertröstet und hinten angestellt.
Als Drehbuchautorin auch davon leben zu können, ist herausfordernd. Produzenten und Regisseure zu finden, Einreichungen abzuwarten, Projektverschiebungen auszuhalten und finanziell zu überbrücken. In meiner Branche arbeiten wir alle freischaffend; es gibt Verträge spät und Sicherheiten schon gar keine. Diese Realität kennen wir und haben uns trotzdem dafür entschieden. Wir Freiberufler in der Kultur sollten eigentlich also Krisen gewohnt sein. Aber wir hatten eben auch: den Austausch, die Filmfestivals, volle Kinosäle, Vorlesungen und natürlich Dreharbeiten.
Seit Beginn der Pandemie sitzen wir in einem überfüllten Warteraum, und keiner scheint zu kommen, um uns abzuholen. Der Kinostart meines ersten verfilmten Drehbuchs, der Wendepunkt, auf den ich fünf Jahre hingearbeitet habe, ist erst um sechs und jetzt um zwölf Monate verschoben worden. Festivals wurden abgesagt – der Ort, an dem wir Autoren und Filmschaffende sichtbar werden und Kontakte knüpfen können. Die Recherchegelder, die ich für die Erstellung meines nächsten Drehbuchs bekommen hätte: abgesagt. Auf wann: unbestimmt.
Auf einmal stimmen die Gesetzmäßigkeiten nicht mehr: Projekte, die vor der Pandemie spannend waren, sind jetzt auf einmal „zu schwierig“. Wir gehen mit unserer Kreativität in Vorleistung, und Monat um Monat werden wir vertröstet und hinten angestellt. Nicht systemrelevant genug.
Meinen Freund trifft es als Musiker noch härter. Konzerte fanden in diesem Jahr kaum statt, und wenn doch, vor kleinem Publikum. Also versucht er es weiter; ein Theaterprojekt wird gestartet, eine Tour ist aufgestellt, mit Musikern und zwei Schauspielern. Alles mit Abstand. Abgesagt. Von den drei Kindern zu Hause will ich gar nicht anfangen.
Ich wünsche mir von der Regierung, dass wir bedingungslos und nicht im Auswahl- oder Losverfahren unterstützt werden. Dass wir nicht wie ein Luxusbereich, ein Hobby behandelt werden. Wann, wenn nicht in einer Krise, brauchen wir Filme, Musik oder ein gutes Buch mehr?
Leser*innenkommentare
danny schneider
So sehr ich meine Künstler mag.
Selbstständige Unternehmer tragen das unternehmerische Risiko. Punkt. Niemand garantiert Geschäftsmodelle für die Ewigkeit. Und weder Bürger und Staat haben eine Verpflichtung solche Bereiche auf ewig zu stützen.
Muss man halt was anderes machen. Das wird noch Jahre so bleiben!
Natürlich sollten Vermieter die Mieten aussetzen und Banken Kredite einfrieren. Aber wir können nicht Milliardengewinne der Vergangenheit einfach so aus dem Steueraufkommen schenken.
Von Seiten des Staates wäre die Förderung von Lehreinrichtungen sinnvoll. Da könnten einige wenige einen neuen Job finden und Know How bleibt bewahrt. Den Rest wird man großteils abwickeln müssen... zumindest für die nächsten Jahre hat dieser Bereich aus heutiger Sicht halt 75-90% Überkapazität.
Sebas.tian
Kultur ist das Fundament einer Gesellschaft, nicht das Sahnehäubchen.
mensch meier
@Sebas.tian Nö.
Erst Essen und Wohnen, dann alles andere.
02881 (Profil gelöscht)
Gast
@Sebas.tian So ist es.
planb
Im November gibt es ja schon mal 75%, es gab Soforthilfe und Überbrückungsgeld und das alles ohne in die Sozialkassen eingezahlt zu haben.
Die wirklich Gearschten in dieser Krise sind die Menschen in den Frachtzentren, Schlachthöfen, Intensivstationen...
Ob Sie für ihren Film 5 oder 6 Jahre investieren mag ärgerlich sein, aber es ist kein großes Opfer.
02881 (Profil gelöscht)
Gast
@planb "Ob Sie für ihren Film 5 oder 6 Jahre investieren mag ärgerlich sein, aber es ist kein großes Opfer."
Sie arbeiten auch in der Filmbranche? Oder woher stammt diese Gewissheit? Anyway. @PLANB Es ist einfach auch uncool die "Gearschten" in der Krise gegeneinander auszuspielen!
fly
Alles berechtigt und doch zeigt sich im Endeffekt, es ist nicht systemrelevant genug. Der Staat unterstützt Personen, aber anscheinend nicht alle Lebensentwürfe. Daher stimmt eben auch das Schlussstatement
"Wann, wenn nicht in einer Krise, brauchen wir Filme, Musik oder ein gutes Buch mehr?"
nicht. Kinos sind dicht, Musikhallen ebenso. Bücher? Was ist das? Und wieso sollte man genau das in einer Krise brauchen? Als Scheinablenkung? In einer Krise werden handfeste Sachen benötigt. Der Rest kommt nach der Krise.
Sabrina K.
@fly Sie übersehen dabei eventuell den Kern des Menschsein.
Was den Menschen vom Tier unterscheidet ist, dass er eben nicht nur darauf ausgelegt ist, das bloße Überleben sicherzustellen, sondern die Kultur.
Sie ist daher mehr als nur systemrelevant, sie ist das System, nämlich das System Mensch.
Mit dem Verbot der Kultur bzw des Zugangs zur Kultur für die Gesellschaft erstickt man einen wichtigen Teil dessen, was uns ausmacht und übrig bleiben instinktgetriebene, auf stumpfes Überleben getrimmte Raubtiere. Nicht mehr und nicht weniger.
Kultur ist Notwendigkeit, Identität, Menschlichkeit und Basis einer jeden Gesellschaft, Subkultur, Clique, Gemeinschaft usw...
Jim Hawkins
@Sabrina K. "Mit dem Verbot der Kultur bzw des Zugangs zur Kultur für die Gesellschaft erstickt man einen wichtigen Teil dessen, was uns ausmacht und übrig bleiben instinktgetriebene, auf stumpfes Überleben getrimmte Raubtiere. Nicht mehr und nicht weniger."
Verbot, echt jetzt?
Dann habe ich aber jede Menge heiße Ware zu Hause.
Ich dachte, die Betroffenen werden jetzt auch unterstützt, wie die Gastronomie oder andere.
Die für meinen Geschmack deutlich weniger larmoyant sind.
Sabrina K.
@Jim Hawkins Kultur kann dauerhaft nicht existieren, wenn sie ins stille Kämmerlein verbannt ist.
Kunst und Kultur braucht offenen Zugang und Gemeinschaftserfahrung bzw gewinnt sie ihre Bedeutung als solche nicht zuletzt auch daraus.
Und ob und inwiefern die Hilfen ankommen, bezweifelt nach dem bisherigren Hilfsfond-Fiasko wohl jeder, der in diesen Branchen arbeitet
dudeldudel
@fly Bücher, Filme sind nicht Ablenkung, sondern geben tiefere Einblicke. Wer alle Kulturschaffenden absichtlich in die Existenzvernichtung treiben will, nur weil nicht verstanden wird, wozu Kultur gut ist, hat wahrscheinlich zu wenig gute Bücher gelesen ;)
So oder so, niemand sollte sinnlos in den Ruin getrieben werden, solange Milliarden für Megakonze vorhanden sind (TUI hat gerade etliche Steuer-Milliarden für Kreuzfahrtschiffe bekommen die nicht mal benötigt werden, etc.).
Die "Bedingungen" sind darauf ausgelegt, dass wirklich Bedürftige nichts bekommen und wer hohe Umsätze im Vorjahr vorweisen kann richtig viel, obwohl diejenigen gar nicht so viel bräuchten. Das vernichtet sowohl Wirtschaftsvielfalt als auch Kaufkraft.
Wer jetzt nicht für Hilfe für Kleinunternehmen, Selbstständige und Kultur plädiert, der darf sich hinterher nicht beschweren, wenn es nur noch Blackrock und andere Heuschreckenmonopolkonzerne gibt, die die Preise ohne Konkurrenz bestimmen.
02881 (Profil gelöscht)
Gast
@fly Na das möchte ich sehen, wie alle OHNE Netflix (also Filme, Filme, Filme) und geschriebenes Wort (z.B. diese Site hier oder auch sowas, was manche Leute "Bücher" nennen) ohne Musik (sei es Spotify, Tonträger, Radio) oder meinetwegen ohne Games durch die Krise kommen würden...
Nafets Etnep
@fly das ist eben leider andersrum richtig.
1) die krise ist eine chance andere umgansformen miteinander und mit der welt zu denken, zu finden, zu formen. dafür sind kunst und kultur zwingend relevant. wir haben verlernt uns etwas ausserhalb der systeme vorzustellen innerhalb derer wir uns bewegen. dafür braucht es visionen-diskurse und diskussionen. mozart und andere mainstream kolleg_innen können das nicht alleine leisten. (falls sie argumentieren möchten, dass relevante kunst sich selbst trägt und die krise überleben wird.)
2) was wir in welcher krise auch immer absterben lassen, ist nach der krise weg.
wenn kunst und kultur für Sie allerdings 'nur' ablenkung sind, dann sprechen wir von unterschiedlicher kunst und kultur.