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Kulturrevolution im FreistaatBayern sind anders, sowieso

Wer den Freistaat kennt, wundert sich nicht über das Wahlergebnis: In Bayern hat über die Jahrzehnte eine leise Revolution stattgefunden.

Zeichen der Zeit erkannt: Markus Söder bei der „Fastnacht in Franken“ Veitshöchheim, 2012 Foto: reuters

Es war an einem Nachmittag im August, als mir ein Pfarrer eine Geschichte erzählte, die als typisch gelten kann für diesen bayerischen Vorwahlsommer. Er hatte einem Mann die Beichte abgenommen und ihn entlassen: „Geh hin in Frieden.“ Die Beichte war vorbei. Da sagte der Mann, er habe noch eine Frage. Seit Jahrzehnten sei er CSU-Wähler. Jetzt wisse er aber nicht mehr, wen er wählen solle. Der Pfarrer antwortete, da hätten sie ja was gemein.

Bis Sonntag konnte die CSU unangefochten behaupten, sie und Bayern seien quasi synonym. Dem war noch nie so, aber jetzt bestätigt ein amtliches Endergebnis, dass dem nicht so ist. In Bayern hat über die Jahre eine leise Revolution stattgefunden.

Viele Nichtbayern haben ein skurriles Bayern­bild. Man weiß vielleicht, dass Bayern nicht wegen seiner Landwirtschaft, sondern wegen seines Portfolios an vielen mittelständischen und einigen großen Unternehmen ein reiches Land ist. Will aber trotzdem glauben, die Bayern seien ein traditionsbewusstes, mehr­heitlich katholisches und konservatives Völkchen.

Das stimmt auch. Traditionsbewusstsein, Katholizismus und ein konservatives Weltbild sind in Bayern aber mit einer Eigen­sinnigkeit verbandelt, weswegen es nicht verwundert, dass sich viele Bayern selbst einen anarchistischen, freisinnigen Charakter attestieren. Selbst eine CSU-Karrierefrau wie Dorothee Bär erzählt gern, als junge Frau sei sie Punk gewesen.

Als die Provinz noch Provinz war

Der Bayer ist traditionsbewusst und liebt die moderne Welt. Er ist katholisch, lässt den Papst aber einen guten Mann sein. Die Bayerin ist konservativ und wählt grün: Weil die CSU die Partei der EU-Subventionen für Industrielandwirtschaft und der Dobrindt viel zu nachsichtig mit den Dieselbetrügern gewesen ist.

Als die bayerische Provinz noch Provinz war – heute ähneln viele Kleinstädte und Dörfer eher Vorstädten mit Autobahnanschluss –, entwickelte sich auch hier eine Gegenkultur, die über die Jahre in die Gesellschaft ausgestrahlt und sie verändert hat. Manche haben sich gewundert, dass auf der Münchner „Ausgehetzt“-Demo Nonnen mitliefen. Sie haben keine Ahnung vom heutigen Bayern.

Wer verstehen will, was sich verändert hat, sollte die hervorragende TV-Serie „Irgendwie und sowieso“ von Franz Xaver Bogner anschauen. In einer Schlüsselszene sitzt Ottfried Fischer als „Sir Quickly“ nachts im Glockenturm einer Kirche. Es sind die Sechziger. Der junge Mann hat genug von seinem Nazivater und beschallt den Ort mit einem Stones-Song: „I can’t get no satisfaction.“ Die lauten Echos dieser Szene konnte man am Sonntag hören.

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6 Kommentare

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  • 9G
    90634 (Profil gelöscht)

    Wie charmant scheint doch der Gedanke, dass in Wahrheit alles anders sei. Weil in Bayern ein paar Anarchisten eine kurzfristige Räterepublik ins Leben gerufen haben sind jetzt also alle Bayern klammheimliche Anarchisten.

    Gut, die meiste Zeit präferieren sie zwar die jahrzehntelange, unangefochtene Vorherrschaft einer Partei, ebenso wie sie sich nicht an Seilschaften und Vetternwirtschaft in Politik und Wirtschaft, insbesondere auf dem Land, scheren - siehe den Fleischskandal der Großmetzgerei Sieber. Aber eigentlich ist das alles Ausdruck eines urbayrischen Anarchismus - immerhin war Dorothee Bär früher Punk, Markus Söder sogar beim letzten Fasching und Ottfried Fischer spielt nen Antifa in den 1960ern, während die Beliebtheit der Antifa im Bayern der 2018er irgendwo zwischen Rocker-Gang und Drogendealern rangiert.

    Aber hey, mia san mia, und alle anderen "haben keine Ahnung vom heutigen Bayern." Baßt scho.

  • Womöglich macht es ja heutzutage doch einen Unterschied, ob einer an der Basis Katholik ist oder an einer Parteispitze. Ich meine: Mit Blick auf die Ziele, die der Mensch anstrebt, und die Prioritäten, die er setzt - von Strategie und Taktik mal noch ganz zu schweigen.

  • Bayern ist letzten Sonntag mitnichten linker geworden. Zwar haben die Grünen hinzugewonnen, dies aber vor allem auf Kosten der SPD. Gleichzeitig hat die CSU erheblich Stimmen an FW und AfD abgegeben und in weitaus geringerem Umfang auch an die Grünen. Unterm Strich hat das linke Lager aus SPD, Grünen und Linken Stimmen verloren. Die Sitze im neugewählten Landtag gingen zu 70,7 Prozent an Parteien, welche Merkels Migrationspolitik ablehnen. Was will uns der Autor also sagen?

    • 6G
      68514 (Profil gelöscht)
      @Minga:

      Woher wollen Sie wissen, daß 70% die derzeitige Migrationspolitik ablehnen? Das aus dem Wahlverhalten herauszulesen, ist ziemliche Schwarz-Weiß-Seherei. Bei der Wahl war garantiert nicht nur die Migrationspolitik ausschlaggebend, sondern auch strukturpolitische Entscheidungen der Vergangenheit. So sind viele Menschen absolut nicht einverstanden mit der Abschiebepolitik, vor allem was bestens integrierte Migranten angeht. Desweiteren sind viele nicht einverstanden mit einer zersiedelung der landschaft mit immer mehr Gewerbegieten und damit mit der Zementierung des Autowahns. Das sind nur mal zwei beispiele. Die AfD hat aus meiner Sicht für diese beiden Probleme keine lösung, die Freien Wähler durchaus, die Grünen auf alle Fälle, bei der SPD bin ich mir leider nicht sicher und die CSU muß wohl erstmal christliche und soziale Werte finden, trägt sie ja bereits im Namen.

      • 6G
        65572 (Profil gelöscht)
        @68514 (Profil gelöscht):

        Der/die Minga schreibt doch nicht, daß 70% der Wähler die derzeitige Migrationspolitik ablehnen.



        Sondern:



        "Die Sitze im neugewählten Landtag gingen zu 70,7 Prozent an Parteien, welche Merkels Migrationspolitik ablehnen. "



        Das sehe ich auch so.

    • @Minga:

      Zentraler Punkt der Migrationspolitik der CSU sind die Ankerzentren, die von den Freien Wählern abgelehnt werden. Da mag auch mancher liberale oder christlich orientierte Wähler von der CSU zu den Freien Wählern oder zu der FDP gewechselt sein, dem die hysterisch-dramatisierende Behandlung der Asylpolitik und die Anbiederung an die AFD gegen den Strich ging. Abgesehen davon sind ungefähr gleich viele Wähler von der CSU zu den Grünen abgewandert, wie jeweils zu den Freien Wählern oder zu der AFD gegangen sind. Bei Nachwahlumfragen lobten 56 % der bayrischen Wähler die humane Flüchtlingspolitik der Grünen.