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Kulturpolitik nach der WahlSonntagsreden reichen nicht

Joe Chialo (CDU) und Carsten Brosda (SPD) gelten als Kandidaten für das Kulturstaatsministerium. Es wird sich stark gegen die AfD positionieren müssen.

Berlins Kultursenator Joe Chialo (CDU) nach der Bundestagswahl am 24. Februar Foto: Christoph Soeder/dpa

Es wäre einigermaßen unrealistisch anzunehmen, dass die Kulturpolitik bei den anstehenden Koalitionsverhandlungen zwischen CDU/CSU und SPD gleich als Erstes besprochen wird. Wahrscheinlicher ist es, dass die Besetzung des Kulturstaatsministeriums zur Verschiebemasse gehört, mit der man am Schluss noch Ungleichgewichte im Proporz ausgleichen kann.

Dabei wird es nach dieser Bundestagswahl auf die Kulturpolitik stark ankommen. Die AfD ist auf diesem Feld überaus aktiv. Sie vertritt einen Kulturbegriff, der eine gegenwärtige kulturelle Identität zentral aus Herkunft und Vergangenheit herleitet – Tradition, Brauchtum, Überlieferung, solche Sachen – und eben nicht von Debatte, Diskurs, Reflexion her.

Der Kulturbegriff der AfD ist reaktionär, und zwar keineswegs nur deshalb, weil in dieser Partei viel von Volk, nationaler Identität und Deutschsein geredet wird, sondern eben auch deshalb, weil Kultur so autoritär gedacht wird. Als sei Kultur etwas, was man „haben“ und ein für allemal definieren kann und nicht immer wieder neu befragen muss.

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Aggressiv und mit politischen Tricks

Diesen Kulturbegriff versucht die AfD sehr aggressiv und mit allen Tricks politisch durchzudrücken, wo es irgend geht, derzeit vor allem kommunal und auf Landesebene, mit dem Wahler­gebnis im Rücken, ganz sicher auch verstärkt im nächsten Bundestag. Auf die Bundeskulturpolitik wird einiges ­zukommen, mit Sonntagsreden ist es da nicht getan, sie wird stabil sein müssen.

Zwei Politiker haben sich in den vergangenen Wochen warmgelaufen, um als Kandidaten fürs Kulturstaatsministerium infrage zu kommen: der Berliner Kultursenator Joe Chialo (CDU) und der Hamburger Kultursenator Carsten Brosda (SPD). Von Carsten Brosda, der schon vor vier Jahren als Kulturstaatsminister gehandelt worden war, liest man immer wieder kluge Entgegensetzungen gegen den Kulturbegriff der AfD.

Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda von der SPD Foto: Marcus Brandt/dpa

In einem Doppelinterview zusammen mit Chialo in der Zeit sagt Brosda: „Richtig problematisch wird es, wenn die AfD eine Re-Essenzialisierung des Kulturbegriffs betreibt, also eine genaue Idee formuliert, wie Kultur zu sein hat.“ Chialo dagegen setzt in dem Gespräch andere Themen. Er redet von dominierenden „linken Milieus“ in Förderjurys, und zum Brauchtum sagt er, „das ist ein Teil der Kultur, der oft verschmäht wird, aber für die Identifikation vieler Menschen wichtig ist“.

Chialos Spardiktat in Berlin

Chialo hat das Pech, in einem Bundesland Senator zu sein, das stark sparen muss, dafür kann er erst einmal nichts, aber die Art und Weise, wie er die Einsparungen kommuniziert und politisch vertreten hat, ist ein Desaster. Und das ist es nicht allein. Auch seine kulturpolitischen Konzepte – Privatisierung zum einen und zum anderen wenigstens ein Liebäugeln mit disruptiven Rezepten der bestehenden Kulturszene gegenüber – sind fragwürdig.

Man hat nicht den Eindruck, dass er einer aggressiven AfD-Politik substanziell etwas entgegensetzen könnte. Zumal es an der Zeit ist, die bestehenden kulturellen Institutionen gegenüber Begehrlichkeit und Übergriffen durch die AfD zu schützen (was keinesfalls ihre Reformierungen ausschließen würde), und keinesfalls, sie neoliberal auszuhöhlen.

Bei Brosda wäre die Frage, wie sehr er sich, vom kleineren Koalitionspartner kommend, innerhalb der Koalition durchsetzen könnte. Die Haushaltsverhandlungen werden nicht einfacher werden; Brosda ist gut vernetzt, aber aus dem Vollen schöpfen können wie zurzeit in Hamburg wird er keineswegs.

Mit Blick auf Chialo fragt man sich Grundsätzlicheres: Hat die CDU denn wirklich keinen anderen Kandidaten? Wo sind eigentlich, wenn es, wie jetzt, drauf ankommt, die bürgerlichen Kulturmenschen mit Sinn für Hochkultur und Avantgarde? Es gibt viel zu verteidigen in unserer Kulturlandschaft. Den Willen dazu darf man nicht nur behaupten. Man muss es auch können.

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11 Kommentare

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  • Der Artikel erwähnt mit keinem Wort Antisemitismus, vor allem linken Antisemitismus. Sogenannte Pro-Palästinenser und AfD eint das Bild der Täter-Opfer-Umkehr, siehe Hamas-Israel, siehe Ukraine-Russland.

    Bei Chialo kann man sicher sein, dass er rechts und links keine Scheuklappen hat. Er hat auch reichlich Erfahrungen mit antisemitischen Vorwürfen aus dem postkolonialistisch orientierten Kulturbetrieb und ihm nahestehender Aktivistenszene. Inklusive Schmierereien und Bedrohungen vor seinem Haus, die den sogenannten Querdenkern aus der rechten Verschwörerszene während Corona in nichts nachstehen.

    • @rakader:

      man muss schon vollkommen geschichts- und gegenwartsvergessen sein, wenn man glaubt, dass ausgerechnet ein kulturstaatsminister derjenigen partei, die soeben erst an prominentester stelle mit den geistigen und politischen erben des nationalsozialismus paktiert hat, dem kapmf gegen den antisemitismus einen dienst erweisen wird. das verhältnis der cdu zum antisemitismus und einer bekämpfung ist vor allem instrumenteller natur. es steht zu befürchten, dass ihre politik jüdisches leben in zukunft nicht sicherer sondern unsicherer machen wird.

  • Das Problem an der Kultur ist doch, dass die Kompetenz bei den Ländern liegt. Aus diesem Grund gibt es auf Bundesebene ja keinen Minister, sondern nur einen Beauftragten. Mehr als Sonntagsreden ist da letztlich nicht drin.

    Und weil es sich nur um einen Zählposten handelt, wird die Posittion wohl durch den kleineren Koalitionspartner besetzt, in der Regel auch zur Aufbesserung der Genderquote. Und da bei der SPD auch der Länderproporz eine gewichtige Rolle spielt, würde es mich schon sehr wundern, wenn die Wahl auf Herrn Chialo fallen sollte.

  • @chattivanille:



    Wollen Sie dann auch, dass sich jüdische Küstler schriftlich vor einer deutschen Behörde gegen Antisemitismus bekennen müssen? Hier wird die Bekämpfung des Antisemitismus politisch missbraucht um kritische Stimmen mundtod zu machen. Genau das, was Sie schreiben, ist was ich mit Respektlosigkeit gegenüber Meinungs- und Kunstfreiheit meine. Diese schützt das Grundgesetz aus gutem Grund an prominenter Stelle. Mit dem Straftatsbestand der Volksverhetzung hat der Staat bereits eine scharfe Waffe gegen antisemitische Agitation. Aus guten Grund wurde diese Beschränkung der Meinungsfreiheit geschaffen, ihr aber auch enge Grenzen gesetzt.



    Denken Sie mal weiter, was die AfD daraus machen würde, wenn sie einen Staat übernehmen, in denen die Bürger sich daran gewöhnt hätten, dass Meinungs-, Kunst- und Kulturfreiheit schrittweise übers Budget immer weiter eingeschränkt wurde.



    Die Antisemitismusresulotion des Bundestags mag gut gemeint sein, schadet dem Kampf gegen Antisemitismus aber mehr als sie nutzt, weil sie viel zu weit auslegbar/anfällig für Missbrauch ist. Wer verteidigt denn noch jüdische Mitmenschen gegen Antisemitismus wenn dieser Begriff seine Bedeutung verliert?

    • @Henne Solo:

      Sie wissen nicht was es heißt die "Kulturförderung künftig an ein Bekenntnis gegen Antisemitismus nach der IHRA-Definition zu knüpfen" wie Chialo es formuliert.

      Teile des Kulturbetriebs sehen ihre Lieblingsbeschäftigung bekanntlich darin gegen Israel zu sein. Können sie auch weiterhin. Beachten müssen sie nach der Stockholmer Erklärung der IHRA-Definition jedoch folgendes:

      „Erscheinungsformen von Antisemitismus können sich auch gegen den Staat Israel, der dabei als jüdisches Kollektiv verstanden wird, richten. Allerdings kann Kritik an Israel, die mit der an anderen Ländern vergleichbar ist, nicht als antisemitisch betrachtet werden."

      Man darf also kritisieren, doch ein bisschen Awareness wird verlangt. Kann man schon mal einfordern, bevor man unentwegt die Kohle rüberschiebt, oder?

      Und sorry, checken Sie doch mal nach wer im Hier und Jetzt in Deutschland die Antisemitismus-Nr.-1 und -Nr.-2 sind.

      SPIEGEL: "Antisemitismus erkennen für Anfänger"

      www.spiegel.de/net...-9222-bfcd206040ed

      Was nicht heißt, dass die AfD jederzeit auf diesen Zug aufspringen könnte.

  • Die SPD sollte sich gut überlegen, ob sie mit dieser (quasi Werte-)Union zusammen regieren will. Das betrifft nicht nur den kulturellen Sektor.



    Im Grunde kann sie doch auf keine der Rolle-rückwärts-Themen der Union eingehen... das sind alle derart zukunftsfeindliche Themen (Bürgergeld weg, Aus zum Verbrenner-Aus, schärfste Migrationregelungen, Sozialkürzungen wo es nur geht, Schuldenbremse als heilige Kuh durchs Land treiben), dass man da kaum mitmachen kann, solange da noch etwas "Linkes" übrig bleiben soll...



    Dazu noch die bayrischen Gorillas...



    Was soll das denn für ein Dasein der SPD sein... staatspolitische Verantwortung hin oder her... Neuwahlen, oder die Union schielt doch wieder nach rechts, die AfD jedenfalls würde mit sehr vielen Punkten dieses Unions-Programmes übereinstimmenen...

  • Gut qualifiziert sind sicher sowohl Brosda als auch Chialo.

    Nach der völlig desolaten documenta 15 von Claudia Roth setzen wir selbstverständlich auf jemanden, dem das auf keinen Fall passieren würde. Und fragen Wiki:

    "Im Januar 2024 kündigte Chialo als Reaktion auf die antisemitischen Vorfälle während des Krieges in Israel und Gaza 2023 an, Kulturförderung künftig an ein Bekenntnis gegen Antisemitismus nach der IHRA-Definition knüpfen zu wollen. Chialo begründete dies damit, dass er eine Sensibilisierung für jede Form der Diskriminierung erreichen wolle; „das dröhnende Schweigen der Kulturszene“ nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel 2023 sei für ihn eine Zäsur gewesen."

    10 Points for Chialo!

    "Als Präsident des Deutschen Bühnenvereins hat Brosda im Dezember 2020 einen Aufruf der Initiative GG 5.3 Weltoffenheit unterschrieben, der sich gegen den BDS-Beschluss des Deutschen Bundestages vom 17. Mai 2019 mit dem Titel „Der BDS-Bewegung entschlossen entgegentreten – Antisemitismus bekämpfen“ richtet. " So wie Roth.

    0 Points for Brosda.

    de.wikipedia.org/wiki/Joe_Chialo



    de.wikipedia.org/wiki/Carsten_Brosda

    • @shantivanille:

      „Das dröhnende Schweigen der Kulturszene“ nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel 2023 sei für ihn (Chialo) eine Zäsur gewesen."

      Diese "dröhnende Schweigen der Kulturszene" hat Herr Chialo im Gegensatz zu Herrn Brosda perfekt wahrgenommen.

      Was ist dieses "dröhnende Schweigen"? Sehr gut dazu ein taz-Artikel:



      "Mainstream der Avantgarde"



      taz.de/Ueber-Philo...alestine/!5969264/

      Eine wahrhaft traurige "Avantgarde"!

      Hervorragend auch:



      taz: "Vom Pogrom zur „Poetic Justice“



      taz.de/Abwege-des-...er-Kunst/!5971023/

      Wenn der "Avantgarde" nichts mehr einfällt, muss man halt den Aktivisten mimen.

      Antisemitismus funkioniert in dem Fall schon seit dem Jahre 150 nach Christus.

      Muss man ja nun echt nicht noch in irgendwelche Kulturförderungen einbauen.

  • Die CDU und leider auch Herr Chialo haben wenig Respekt vor Kunst-, Wissenschafts- und Meinigungsfreiheit, zumindest wenn diese im Dissenz zu ihrem konservativem bzw. reaktionären Weltbild steht. Eine Einflussnahme auf die Kultur, die nun einmal auf Förderung angewiesen ist, im Sinne einer Gesinnungsprüfung ist einer Demokratie unwürdig und entspricht eher einem absolutistischen Ideal des Hofkünstlers. Auch die FDP hat schon geprobt, wie weit sie die Wissenschaftsfreiheit einschränken kann. Nachdem zunächst relativ geräuschlos unbequeme Forschungsprojekte, wie zum zur Langzeitforschung zu den Folgen des Klimawandels abgebrochen wurden, ist man dann erst beim Versuch unliebsamen Forschenden direkt den Geldhahn zuzudrehen am politischen Wiederstand gescheitert. Von Herrn Chialo ist im Bereich der Kultur leider nichts besseres zu erwarten.



    Einen Sparzwang zu nutzen, um Kulturschaffende auf Linie zu bringen ist nicht hinnehmbar. Hoffentlich bleibt es uns erspart.

    • @Henne Solo:

      Können Sie bitte kurz begründen warum Kultur generell auf staatliche Förderung angewiesen sein soll?



      Wer frei sein will als Künstler soll eben einfach auf Steuergelder verzichten. Dann kann auch weiter relativ ungestört Hamas-Propaganda gemacht werden. Ansonsten gilt ein Satz den jeder Musiker kennt. "Wer zahlt, bestimmt die Musik."

      • @Šarru-kīnu:

        Das ist aber ein recht krudes Verständnis von staatlicher Hilfe. Diese Hilfe hat an sich neutral zu sein. Es kann nicht sein, dass irgendwelche Hilfe nur unter politischen Bedingungen gewährt wird. Da sind allein sachliche Kriterien zu bewerten. Hier ist das Motto des Musik -bezahlens krass fehl am Platz.