piwik no script img

Kulturkampf als rechtes FramingKultur schafft sich selbst ab

Die Kultur geht unter, wenn sie rein marktwirtschaftlich geregelt wird. Besonders bei rechten Akteuren zeigt sich: Es verschwindet alles, was widerspenstig und aufregend ist.

Was ist überhaupt Kultur und er bestimmt, was gezeigt werden darf? Foto: Skata/imago

A uch wenn immer irgendwas los ist, kommt man doch manchmal ins eher fundamentale Grübeln, mitten im Sommer. Zum Beispiel darüber, was eigentlich mit unserer Kultur los ist und was das überhaupt ist: Kultur. Wahrscheinlich gehört „Kultur“ zu den Worten, die nur funktionieren, wenn man akzeptiert, dass damit mehrere verschiedene, aber miteinander verbundene Dinge gemeint sind. Man könnte sich ja mal drei grundsätzliche Bereiche vorstellen, für die das Wort „Kultur“ irgendwie angemessen sein könnte. Das Erste kommt aus dem Feld der materialistischen Gesellschaftsforschung und behauptet: Kultur ist, wie der ganze Mensch lebt.

Das heißt, Kultur ist die Art, wie wir in einer Supermarktkassenschlange anstehen, wie oft wir uns eine neue Zahnbürste leisten oder ganz allgemein, wie wir mit uns selbst und mit den anderen umgehen. Kultur ist, was uns dazu bringt, mit Würde, Respekt und Empathie miteinander zu leben.

Die zweite Vorstellung widerspricht oder ergänzt da, wie man es nimmt: Kultur ist gerade das, was über den Alltag und das Benehmen darin hinausgeht, ein Experimentieren mit dem, was nicht gewöhnlich ist, eine Erfahrung jenseits der Codes und der Riten, kurz gesagt: ein freier Raum der Möglichkeiten für Fantasien, für die Kritik des ­Bestehenden und die Sehnsucht nach dem Anderen.

Und mit der dritten Definition von Kultur wird man speziell. Kultur ist ein gesellschaftliches Subsystem wie die Wissenschaft, die Religion, die Medizin oder der Sport, in dem es professionelle Arbeit ebenso gibt wie öffentliche Debatten. Diese Kultur hat nicht nur eine Funktion, und sie ist nicht nur immer auch mit ihrer eigenen Erforschung beschäftigt, sie hat auch eine politische Ökonomie.

Bild: privat
Georg Seeßlen

ist freier Autor und hat über 20 Bücher zum Thema Film veröffentlicht. Zuletzt erschien von ihm „Corona­kontrolle. Oder nach der Krise ist vor der Katastrophe“ bei bahoe books.

Wie die Luft zum Atmen

Kultur ist etwas, das wie die Luft zum Atmen, das Wasser zum Trinken und das Recht auf Menschlichkeit und Mitmenschlichkeit niemals allein marktwirtschaftlich geregelt werden kann. Eine Gesellschaft, die an Kultur nur hervorbringt, was der Markt hergibt, darf getrost barbarisch genannt werden.

Für die Praxis hat August Everding einst ein schönes Beispiel angeführt: Ich, sagte er, bin in meinem ganzen Leben noch nicht in ein Freibad gegangen. Und trotzdem zahle ich mit Freuden meine Steuern, damit Menschen ins Freibad gehen­ können. Ist es deswegen nicht durchaus gerecht, dass diejenigen, denen ich mit einem Euro zum Besuch des Freibades verhelfe, mir mit fünf Cent ermöglichen, ins Theater zu gehen?

Und wenn jemand, wie der Schreiber dieser Zeilen, sowohl ins Freibad als auch ins Theater gehen möchte, dann muss er es wohl sehr direkt spüren, dass Kultur in jeder Hinsicht eine Frage der sozialen Gerechtigkeit ist. Der Kulturkampf, wie ihn die Rechten wollen, beginnt, wenn die im Freibad glauben, dass die im Theater schuld daran sind, dass das Freibad so heruntergekommen ist, und wenn die im Theater glauben, die im Freibad seien schuld am Niedergang des Theaters.

Eine Gesellschaft kann man nicht nur anhand der versicherungspflichtigen Privatfahrzeuge oder der Anzahl häuslicher Unfälle, sondern auch an ihrer (dreifachen) Kultur messen. Beides ist nun aber auch wieder auf vertrackte Weise dialektisch miteinander verbunden: Kultur erzeugt Gesellschaft, so wie Gesellschaft Kultur erzeugt.

Kräfte der Entkultivierung

Vom harten Kern der Kultur, von den profes­sio­nell geführten Debatten, der demokratisch vermittelten Kunst, der verantwortungsvoll-freien Presse oder den selbstverwalteten Szenen aus, strahlt „Kultivierung“ auf alle anderen Lebensbereiche aus. Dann gibt es eine Kultur der Arbeit, eine Kultur der politischen Auseinandersetzung, eine Kultur der Geschlechterordnungen und der Sprachen des Begehrens, eine Kultur des Straßenverkehrs, eine Kultur des Freizeitverhaltens usw.

Oder es gibt sie eben nicht, denn so wie es die Anstrengungen der Kultivierung gibt, gibt es die Kräfte der Entkultivierung. Wer jetzt und hier die größte Kraft der Entkultivierung bildet, ist nicht zu übersehen: Es ist die Idee der radikalen Vermarktung und Selbstvermarktung, der wir den Namen „Neoliberalismus“ gegeben haben, und es ist der Rechtspopulismus, der ganz offen bereits einen „Kulturkampf“ ausgerufen hat, der für erstaunlich viele Menschen attraktiv scheint. Auch hier geht es um drei „Schlachtfelder“: die Eroberung kultureller Institutionen und Instanzen, die semantische und ideologische Hegemonie in den öffentlichen Medien und die Vernichtung des widerständigen, utopischen und queeren Geistes in der Kultur.

Es nutzt nichts, es zu leugnen: Der Kulturkampf der Rechten zeigt seine ersten gravierenden Folgen. Die Rechte drängt in Entscheidungsgremien. Sie entfaltet Drohpotenzial gegen unliebsame Institutionen und Personen. Sie bringt nicht nur eigene Medien auf den Kulturmarkt, sondern findet Komplizen im Entertainment. Das Bild eines „Layla“ grölenden „Christdemokraten“ brennt sich als Signal ein: Zum Teufel mit Geschmack und Anstand!

Wir befinden uns in einem Prozess der Entkultivierung. Und nicht zuletzt einige der einstigen Vorzeigemedien der Demokratie, einschließlich der öffentlich-rechtlichen, wiederholen den Fehler der „bürgerlichen“ Parteien in der Politik: Statt eine Widerstandslinie der demokratischen Kultur zu bilden, folgt man einer Anpassungstaktik an den Populismus. Wenn der Herr Merz nach einem Wahlsieg der AfD die Grünen als Hauptfeind definiert, folgt er dem Bild des Herrn Biedermann: Wenn der Mörder ums Haus schleicht, geht er hin und verprügelt seine Kinder.

Wenn die Kulturkämpfer vom marktradikalen und rechtspopulistischen Lager um die Häuser der Kultur schleichen, schmeißen die alles raus, was widerspenstig und aufregend ist, was unter die Oberfläche und übers Alltägliche hinausgeht. Wie aber steht es um eine Kultur, die sich aus lauter Angst vor ihren Mördern selbst abschafft?

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • "Wenn der Herr Merz nach einem Wahlsieg der AfD die Grünen als Hauptfeind definiert, folgt er dem Bild des Herrn Biedermann: Wenn der Mörder ums Haus schleicht, geht er hin und verprügelt seine Kinder."

    Merz - und Wagenknecht - wissen doch ganz genau, dass die Grünen der inhaltliche Gegenpol zur AfD sind. Dass sie die Partei sind, deren Mitglieder am wenigsten Affinität zu den Inhalten der AfD haben. Dass sie die Partei sind, die bei Wahlen am wenigsten WechslerInnen zur AfD haben, und umgekehrt.

    Wer die AfD als Hauptgegner benennt, der rückt seine Partei näher an die Grünen. Wer die Grünen als Hauptgegner benennt, der rückt seine Partei näher an die AfD. Das ist alles bekannt, und das ist alles so gewollt. Und was auch immer in Merzens Covid-Hirn vorgeht; die Linkspartei hat ebenfalls einen klaren inhaltlichen Gegenpol: die FDP. Aber die hat Wagenknecht ja zum kleineren Übel erklärt.

  • Danke für den energischen Denkanstoß!



    //



    "Beides ist nun aber auch wieder auf vertrackte Weise dialektisch miteinander verbunden: Kultur erzeugt Gesellschaft, so wie Gesellschaft Kultur erzeugt."



    //



    Aus Rote Ruhr Uni:



    "(Horkheimer/Adorno 1947:144) Schon die ersten Sätze des Kapitels über Kulturindustrie stehen quer zu ungefähr allem, was während der letzten zwanzig Jahre über Kultur geschrieben worden ist. Während Kultur heute vor allem als Patchwork verstanden wird, worin ganz verschiedene Kulturen koexistieren und kommunizieren, beschreiben Horkheimer und Adorno sie als System. Der Ausdruck erinnert nicht zufällig an das ökonomische. Daß aber nicht die Ökonomie etwa hinter der Kultur als deren Strippenzieher zu enttarnen wäre, sondern die Kultur selber System ist in dem Sinne, daß sich das ökonomische in der Kultur als seinem Gegenteil realisiert, gehört zu den dialektischen Einsichten, die sich vielleicht gerade den rigorosen Übertreibungen des Kapitels über Kulturindustrie verdanken. Die Kultur als System löst erst ein, was die Rede von Kultur im Singular im Grunde schon vorgezeichnet hat. War diese selbst „immer schon wider die Kultur“, ist „die industrialisierte, die konsequente Subsumtion (...) diesem Begriff von Kultur ganz angemessen.“ (ebd. 156)



    Damit verhält sich die Kritik der Kulturindustrie zur empirischen Massenkultur durchaus ähnlich, wie man Marx‘ allgemeinen Begriff des Kapitals im Verhältnis zur Oberfläche der kapitalistischen Wirtschaft und zur bürgerlichen Gesellschaft insgesamt zu verstehen hat. Das „begriffliche Gerippe“ (ebd. 145), das sich für Horkheimer und Adorno als Skelett der Massenkultur abzuzeichnen beginnt, ist auch als Hinweis auf das eigene theoretische Vorgehen zu nehmen: die Darstellung der Kulturindustrie als eines gesellschaftlichen Produktionsprozesses, der in seinem idealen (oder besser: katastrophalen) Durchschnitt gefaßt wird."



    Quelle:



    www.rote-ruhr-uni....ge/Kulturindustrie