Kulturhauptstadt Europas 2023: Ehrung für Faschisten

Im rumänischen Temeswar sind immer noch Straßen nach Rechtsradikalen und Antisemiten benannt. Beschwerden darüber ignoriert die Stadt bisher.

Luftbild von Temeswar

Der zentrale Unionsplatz im westrumänischen Temeswar Foto: Flavius Neamciuc/Kulturhaupt Temeswar/dpa

Die westrumänische Stadt Temeswar/Timi­şoara ist eine der Kulturhauptstädte Europas 2023. In der multiethnischen Metropole, die sich gerne mit dem Beinamen „Klein-Wien“ schmückt, begann 1989 die rumänische Revolution, die bald auf das ganze Land übergriff und zum Sturz des Diktators Nicolae Ceauşescu führte.

All dies las man in den letzten Wochen immer wieder in den Berichten westlicher Medien, in denen die anspruchsvollen Projekte der europäischen Kulturhauptstadt hervorgehoben wurden: Ausstellungen, Theaterinszenierungen, Konzerte, Lesungen und Diskussionsrunden mit prominenten internationalen Gästen wie dem türkischen Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk oder dem deutschen Philosophen Peter Sloterdijk.

Die Schandflecke der Stadt, auf die Ende Januar der Dozent und Soziologe Mihai S. Rusu von der rumänischen Universität Sibiu bei Face­book hingewiesen hatte, blieben all den Verfassern überschwänglicher Berichte verborgen. Schockiert war Rusu darüber, dass mehrere Straßen die Namen berüchtigter Faschisten und Antisemiten tragen. Temeswar, schrieb der Soziologe empört, riskiere damit, „Europäische Kulturhauptstadt des Faschismus“ zu werden. Doch die für den öffentlichen Raum verantwortlichen Stadtverwalter ignorierten Rusus Stellungnahme.

Faschistische Dichter und Politiker

In dieser hatte er – pars pro toto – nur drei der zahlreichen, politisch kompromittierte Persönlichkeiten erwähnt, deren Namen sich auf Straßenschildern der Kulturhauptstadt finden: Nicolae Paulescu (1869–1931), Octavian Goga (1881–1938) und Petre Ţuţea (1902–1991).

Paulescu war ein Theoretiker des biologischen Rassismus und hatte mit seinen antisemitischen Schriften maßgeblich zur Radikalisierung der faschistischen Bewegung in der Zwischenkriegszeit beigetragen. Der Gründer der drittstärksten Faschistenorganisation Europas, der sogenannten Legion des Erzengels Michael, würdigte Paulescu als ideologischen Ahnherrn seiner Bewegung. Mitglieder der Legion verübten 1938 unter anderem ein Bombenattentat auf eine jüdische Veranstaltung im Temeswarer Stadttheater mit vier Toten und etwa 70 Verletzten.

Octavian Goga, nationalistischer Dichter und Chef einer antijüdischen Partei, war 1937/38 Ministerpräsident einer faschistischen Regierung. Die während seiner Amtszeit erlassenen antisemitischen Gesetze wurden später verschärft und dienten dem Hitlerverbündeten Ion Antonescu bei der Durchführung des rumänischen Holocaust. Über 300.000 rumänische und ukrai­nische Juden starben in den von rumänischen Behörden errichteten Lagern Transnistriens, einer zwischen 1941 und 1944 von Rumänien verwalteten Region in der heutigen Republik Moldau.

Zu dieser Zeit arbeitete Petre Ţuţea als Direktor im Wirtschaftsministerium, das maßgeblich an der Umsetzung der Arisierungsbestimmungen beteiligt war. Nach der Wende 1989 betonte Ţuţea immer wieder seine Mitgliedschaft in der faschistischen Legion und rühmte Hitler und Mussolini, die sich dem Kommunismus widersetzt hätten.

Forderungen nach Straßenumbenennung erfolglos

Bereits 2014 hatte das Landesinstitut für das Studium des rumänischen Holocaust „Elie Wiesel“ vergeblich eine Umbenennung der Ţuţeastraße gefordert.

Eine Anfrage der taz an den aus Deutschland stammenden Temeswarer Bürgermeister Dominic Fritz zu diesen im öffentlichen Raum geehrten, politisch kompromittierten Personen blieb unbeantwortet. In einer Mail vom 28. März hieß es schließlich, die für die Namensgebungen zuständige Behörde werde sich mit der Sache beschäftigen. Auch mit dem in der taz-Anfrage erwähnten Legionärsdichter Radu Gyr, dessen Verse ein Temeswarer Mahnmal für ehemalige politische Häftlinge zieren.

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