Neuer Film von Radu Jude: Jubel für die Hakenkreuze
Radu Judes Film „Mir ist es egal, wenn wir als Barbaren in die Geschichte eingehen“ inszeniert ein dunkles Kapitel in Rumäniens Historie.
Auf dem Monitor des Schneidetischs laufen Bilder des rumänischen Einmarschs in Odessa während des Zweiten Weltkriegs. Rumänische Soldaten entfernen den roten Stern von einem Gebäude und hissen die rumänische Flagge. Die nächste Einstellung etabliert die Prämisse für Radu Judes neusten Film „Mir ist es egal, wenn wir als Barbaren in die Geschichte eingehen“: Die Schauspielerin Ioana Iacob führt vor den Vitrinen des militärhistorischen Museums ihre Rolle ein. Sie spielt die junge Theaterregisseurin Mariana Marin. Sie betont, dass sowohl sie als auch die Figur, die sie spielt, rumänischer Abstammung sind.
Man stutzt kurz über die Ausführlichkeit, in der das geschieht, und lauscht weiter. Während sie die weiteren Mitwirkenden des Films vorstellt, wird sie von einer Mitarbeiterin unterbrochen. Die Statisten sind da.
Radu Judes Film zeigt eine inszenierte Inszenierung. Marin plant eine kritische Reinszenierung des Einmarschs in Odessa. Einer der älteren Herren, die als Statisten mitwirken sollen, plaudert munter drauflos, er habe so etwas Ähnliches schon einmal gemacht im Seniorenclub. Viele der Jüngeren verweisen auf Erfahrungen mit ihren Reinszenierungen von historischen Schlachten.
Der Unterschied: Marin plant, die Massaker zu zeigen, die rumänische Truppen bei der Eroberung Odessas begingen. Auch die rumänische Verwicklung in den industriellen Mord an Jüdinnen und Juden soll in der Inszenierung aufgegriffen werden. Die junge Regisseurin setzt all dies in endlosen Debatten gegen ihre Komparsen durch, die all das für „antirumänisch“ halten, gegen ihren Freund, der findet, sie sei jetzt aber etwas „besessen“ von dem Thema, und gegen einen Angestellten der Stadtverwaltung, der ihr nahelegt, doch lieber was über „roten Terror“ zu machen, das gehe immer.
„Mir ist es egal, wenn wir als Barbaren in die Geschichte eingehen“ spannt ein Panorama der rumänischen Erinnerungspolitik auf, zeigt den Revisionismus der frühen 1990er Jahre und die Geschichtsklitterungen, die für die Menschen längst zu Lebenslügen geworden sind.
Inbegriff eines antisowjetischen Helden
Das Zitat aus dem Titel stammt von Ion Antonescu, einem General, der ab 1940 mit Unterstützung der faschistischen Eisernen Garde Rumänien als Diktator regierte. Antonescu ist einer der Hauptverantwortlichen für die ethnischen Säuberungen und Massaker an Juden und Roma in Rumänien. Zugleich war Antonescu Gegenstand eines Personenkults, der noch zu sozialistischen Zeiten Mitte der 1970er Jahre begann, vor allem aber nach dem Sturz Ceaușescus 1989 um sich griff. Antonescu wurde zum Inbegriff eines antisowjetischen Helden.
Radu Jude bezieht die verschlungenen Pfade der rumänischen Geschichtspolitik in den Film ein, indem er eine Vielzahl von Dokumenten einflicht: Wochenschauaufnahmen der Eroberung Odessas, Fotos der Gräueltaten, Bücher zur Geschichte Rumäniens im Zweiten Weltkrieg und nicht zuletzt Sergiu Nicolaescus filmische Hagiografie Antonescus „Oglinda“ (Der Spiegel) von 1993. Mit „Oglinda“ prägte Nicolaescu auf Jahre hinaus das populäre Verständnis Antonescus als tragische Bezugsfigur. Das Antonescu-Bild aus Nocolaescus Film hat den Wandel der offiziellen Geschichtspolitik in weiten Teilen der Bevölkerung überlebt.
Wie heikel das Themenfeld ist, das Radu Jude in seinem Film aufgreift, zeigt nicht nur die ausführliche Verortung seiner Protagonistin zu Beginn des Films, die als präventive Abwehr antisemitischer Topoi zu verstehen ist, sondern auch, dass er Adrian Cioflâncă als historischen Berater einbezog. Cioflâncă war Mitglied der internationalen Kommission, die Anfang der 2000er Jahre die Rolle Rumäniens im Holocaust erforschte, und ist seitdem Mitglied der Internationalen Allianz zum Holocaustgedenken.
Rumänische Neue Welle
Seit 2015 setzt sich Radu Jude wie kein zweiter Regisseur der rumänischen Neuen Welle mit der rumänischen Geschichte auseinander. In seinem epischen Walachei-Western „Aferim“ zeichnete er die sklavenartigen Lebensbedingungen der Roma in Rumänien nach. Im Jahr darauf nahm er sich einer autobiografischen Erzählung des jüdisch-rumänischen Schriftstellers Max Blecher aus dessen Zeit in einem Sanatorium an. „Scarred Hearts“ erzählt in teils absurden, teils bedrückenden Bildern aus dem Leben des Protagonisten, der immer mehr Gewissheit bekommt, das Sanatorium nicht mehr lebend zu verlassen.
Radu Jude beharrtin seinem Film auf der befreienden Wirkung, die es hat, sich den eigenen Mythen zu stellen
„Scarred Hearts“ ist einer der schönsten, beeindruckendsten und formvollendetsten Filme, die im europäischen Kino der letzten 20 Jahre entstanden sind. Bevor er der Geschichte Rumäniens im Zweiten Weltkrieg mit „Mir ist es egal, wenn wir als Barbaren in die Geschichte eingehen“ einen Spielfilm widmete, erarbeitete sich Radu Jude die Zusammenhänge in einem Dokumentarfilm: „Tara Moarta“ („The Dead Nation“) kombiniert zeitgenössische Fotografien mit Auszügen aus dem Tagebuch des rumänisch-jüdischen Arztes Emil Dorian zu einer Geschichte des Aufstiegs des rumänischen Faschismus und Antisemitismus in den 1930er und 1940er Jahren.
Auf „Mir ist es egal, wenn wir als Barbaren in die Geschichte eingehen“ folgte kurz darauf der Kurzfilm „Die zwei Hinrichtungen des Marschalls“, der sich mit der Hinrichtung des rumänischen Diktators Ion Antonescu 1946 befasst.
Umgang mit Geschichte in Rumänien
Wie komplex der öffentliche Umgang mit Geschichte in Rumänien in der Praxis ist, zeigt sich, als die Reinszenierung in „Mir ist es egal …“ schließlich stattfindet: die stellvertretende Bürgermeisterin darf als Vertreterin einer formal geläuterten Geschichtspolitik von einer Ehrung der Toten schwadronieren. Als jedoch die Darsteller der Wehrmacht mit Tschingderassabumm unter der Hakenkreuzfahne aufmarschieren, bekommen sie beinahe genauso viel Applaus wie die rumänische Armee. Ausgebuht werden nur die Darsteller_innen der sowjetischen Armee.
Auch bei den Massakern zeigt sich eine Macht der Bilder, die kaum einzufangen ist. Als eine Handvoll Puppen symbolisch an einem Galgen erhängt wird, auf dem die Aufschrift „Die Herrschaft der Juden und Ausländer ist vorbei“ steht, jubelt die Menge begeistert, die kritische Intention der Reinszenierung droht angesichts der Macht des Ressentiments zu verpuffen. Indem Radu Jude seine Protagonistin beobachtet, wie sie an einer unverstellten Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte festhält, beharrt er auf der befreienden Wirkung, die es hat, sich den eigenen Mythen zu stellen.
Ioana Iacobs quirlige Verkörperung der Theaterregisseurin, die sich den Fallstricken der Reinszenierung aussetzt und es auf wundersame Weise schafft, die bunt zusammengewürfelte Darstellertruppe bis zum Schluss beisammenzuhalten, geben dem Film eine beeindruckende Lebendigkeit, ohne die er zum Essayfilm geraten wäre. So aber belebt das Wechselspiel zwischen Spielfilm, dokumentarischen Elementen und Collage den Film immer wieder aufs Neue. „Mir ist es egal …“ ist eine beeindruckend vielschichtige Momentaufnahme des Umgangs mit Vergangenheit in Rumänien, mit der sich Radu Jude erneut als ein zentraler Akteur eines smarten politischen Kinos in Europa zeigt.