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Kürzungen im Jugend- und SozialbereichDie Liste wehrt sich

Ein breites Bündnis protestiert am Donnerstag gegen Sparpläne des Senats. Am Mittwoch hatten Träger in Neukölln ihre Angebote aus Protest geschlossen.

Rund 5.000 Menschen protestierten am Donnerstag vor dem Abgeordnetenhaus, während drinnen die Sparpläne debattiert wurden Foto: Christian Mang

Berlin taz | Der Plan, den Protesten gegen die Kürzungen den Wind aus den Segeln zu nehmen, hat nicht funktioniert. Über 5.000 Leute versammeln sich am Donnerstagmittag vor dem Abgeordnetenhaus (AGH). Mehr, als der Vorplatz überhaupt fasst. „Ihr denkt, nur weil ihr doch unsere Tarife bezahlt, bleiben wir zu Hause!“, ruft der Diakonie-Pressesprecher Sebastian Peters in Richtung des Abgeordnetenhauses. Dort debattiert das Parlament heute wieder über die anstehenden Kürzungen. Die Menge antwortet mit lauten Buh-Rufen.

Am Abend zuvor hat der Senat überraschend verkündet, die 48 Millionen Euro, die im Haushalt für die Tarifanpassungen eingeplant waren, doch nicht kürzen zu wollen. Ohne die lange zugesagte Refinanzierung des Senats wären die freien Träger auf die in den letzten Jahren abgeschlossenen Tarifsteigerungen sitzen geblieben, Angebotskürzungen und Stellenabbau wäre die Folge. Eine einmalige Maßnahme, ab 2026 soll die Tarifanpassung endgültig entfallen.

Das Zugeständnis ist ein erster Erfolg der zahlreichen Proteste, die Beschäftigte im Sozial-, Bildungs- und Jugendhilfebereich seit dem Bekanntwerden der Kürzungspläne vor zwei Wochen organisieren. Doch Grund zu Protest gibt es angesichts der Sparsumme von über 500 Mil­lionen Euro in dem Bereich weiterhin genug.

Aufgerufen zu der Demonstration hatte ein Bündnis der größten Wohlfahrtsverbände: Diakonie, Arbeiterwohlfahrt, Caritas und der Paritätische. Gekommen sind auch viele kleinere Träger. Noch ist ungewiss, wen genau die Einsparungen treffen werden. Die konkreten Kürzungen sollen am 19. Dezember beschlossen und verkündet werden.

Dezentraler Protest in Neukölln

Bereits am Mittwoch hatten Schulstationen, Jugendclubs und Familienzentren in Neukölln demonstrativ geschlossen. Vor die Eingänge oder Türen hatten sie jeweils mit rot-weißem Flatterband ein großes Kreuz geklebt. Be­su­che­r*in­nen konnten die Einrichtungen nicht nutzen. „Ja, klar, ich verstehe das“, sagt etwa eine Frau, die mit ihrem Kleinkind zum FANN in der Hobrechtstraße gekommen ist, ihre Stimme klingt etwas hilflos. Ein Vater mit seinem Eineinhalbjährigen geht ebenfalls wieder nach Hause, nachdem er mit der Mitarbeiterin vor der Tür ein bisschen gequatscht hat. Er komme viermal die Woche ins FANN, es sei wie ihr zweites Wohnzimmer. „Es gibt tolle Spielzeuge und wir können uns mit anderen Eltern austauschen“, sagt er. „Es wäre extrem traurig, wenn das Zentrum schließen müsste.“

Genau das blüht allerdings weiter südlich in Neukölln dem „Haus der Familie“. Nach Informationen aus dem Bündnis „vallah unkürzbar“, das den Protest am Mittwoch koordiniert hatte, hat das Familienzentrum am Mittwoch die Nachricht bekommen, dass es zum 1. April 2025 schließen muss. „Gerade dieser Kiez ist sehr belastet, einer der ärmsten Berlins. Das ist schlecht für die Familien dort und schlecht für Neukölln“, sagt Simone Hermes vom Bündnis.

Vor dem Jugendclub Corner an der High-Deck-Siedlung in Neukölln steht ein Pavillon auf dem Bürgersteig. Die Mitarbeiter schenken Tee aus und informieren über die Sparpläne. Der Jugendclub selbst bleibt zu. „Ich feiere das, dass sie protestieren“, sagt ein 17-Jähriger. „Schön, dass sie auf uns achten. Sie unterstützen uns bei Bewerbungen, Nachhilfe oder einfach, wenn wir jemanden zum Reden brauchen – und machen Ausflüge“, sagt er.

Der Kiez war noch vor knapp drei Jahren bundesweit in den Schlagzeilen, nachdem an Silvester dort ein Bus ausgebrannt war. Bei mehreren Gipfeln gegen Jugendgewalt hatte der Senat insgesamt 70 Millionen Euro für drei Jahre bewilligt, die Berlinweit in der Gewaltprävention verwendet werden sollten. Auch der Jugendclub hier sieht seine Arbeit nun bedroht.

Angriff auf die Substanz

„Ich finde es falsch, dass der Staat das macht. Wir wollen mit der Corner etwas erleben, etwas über die Welt kennenlernen. Donnerstags kochen wir und essen immer zusammen. Das macht viel Spaß“, sagt ein Zwölfjähriger. „Mein Vater war mit seinen Freunden auch schon hier“, erzählt er. „Es wäre schlimm, wenn es schließen müsste.“ In Neukölln blieben am Mittwoch nicht nur die Zentren in freier Trägerschaft geschlossen, auch die kommunalen Jugendzentren hatten zu – um ihre Solidarität zu zeigen.

Schon am Vormittag hatten die Mit­ar­bei­te­r*in­nen der Schulsozialarbeit Schü­le­r*in­nen über die Sparpläne informiert und ihnen erklärt, dass sie ihre Arbeit wohl nicht wie bisher weiterführen könnten. „Die Kinder hatten viele Fragen: Warum machen die Politiker das, wer hat das bestimmt? Sie sind richtig betroffen, sie wollen protestieren“, sagt eine Sozialarbeiterin.

Sie befürchtet, dass sie ihre präventive Arbeit gegen Gewalt, Mobbing und Schuldistanz einstellen werden müssen und dass auch Partizipation unter den Tisch fällt. „Wir werden nur noch feuerlöschermäßig reagieren können“, befürchtet sie. Es sei „unfassbar“. „Wir haben jetzt schon Schließtage in Jungendclubs“, sagt Bündnis-Sprecherin Hermes. „Die Kürzungen sind ein Angriff auf die Substanz.“

Bei „vallah unkürzbar“ fordern sie daher: Die Zuwendungen in der Sozialarbeit, Bildung und Jugendhilfe müssten ab 2025 erhöht werden, weil gleichbleibende Budgets reale Kürzungen bedeuteten. Sie fordern, dass die Vorgaben aus dem Kinder- und Jugendfördergesetz und dem Familienfördergesetz nicht nur formal, sondern auch finanziell und praktisch umgesetzt werden – mit bedarfsgerechter Finanzierung und der Garantie, dass Maßnahmen und Projekte den Standards dieser Gesetze entsprechen. Bezirke und Senat sollten Angebote daher regelhaft finanzieren und nicht wie bisher zum großen Teil über Projekte.

Auch GEW streikt

Widerstand gegen die Kürzungen formiert sich nicht nur bei den Beschäftigten der freien Träger, sondern auch bei der Bildungsgewerkschaft GEW. Rund 2.000 Teil­neh­me­r:in­nen ziehen am Mittag vom Potsdamer Platz zum AGH.

Offiziell ist der Ausstand die Fortsetzung des seit 2021 andauernden Kampfes für einen Tarifvertrag Gesundheitsschutz. Mit deutlich kleineren Klassengrößen will die GEW Arbeitsbedingungen der Leh­re­r:in­nen verbessern. Doch auch hier sind die Sparpläne das bestimmende Thema.

„Der Gesundheitsschutz ist egal, und jetzt legt der Senat auch noch die Axt an!“, kritisiert eine Gewerkschaftssekretärin. Die Kürzungen treffen auch den Bildungsbereich: Die Brennpunktzulage fällt weg, Jugendsozialarbeit wird eingestaucht und Klassenfahrten werden nicht mehr bezuschusst. Die Folgen sind weniger Geld und mehr Belastung, fürchten die Lehrer:innen. „Die Kürzungen betreffen die Arbeitsbedingungen indirekt“, erklärt Oliver Heinbockel von der GEW Bezirksleitung Treptow-Köpenick. Insofern sei es ein Anlass, den seit Mai ruhenden Arbeitskampf wieder aufzunehmen.

Vor dem AGH angelangt, löst sich das rote Fahnenmeer der GEW-Flaggen in der Großkundgebung der Wohlfahrtsverbände auf. Auch in den kommenden Wochen wird es noch genug zu protestieren geben.

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1 Kommentar

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  • Die Berliner sollten sich daran gewöhnen, dass man auf Dauer nur Geld ausgeben kann, was man auch einnimmt. Ein opulentes Kulturleben hier, ein breites Förderangebot dort - das muss man sich leisten können. 'Arm, aber sexy' hört sich nett an, Armut bedeutet aber auch, dass sozial Benachteiligte und Förderungsnötige benachteiligt und ungefördert bleiben werden.

    Wenn man beschließt, einen Stellvertreter-Krieg gegen die benachbarte Ex-Großmacht zu führen, oder das Energiekonzept der letzten eineinhalb Jahrhunderte umzustellen, oder alle Armen dieser Welt einlädt, dann fehlt das Geld halt woanders.

    Man kann es auch vom abstrakten Geld lösen und Human-Ressourcen direkt nehmen: Wenn ich jedes Jahr Hundertausenden Deutsch- und Integrationskurse geben will, fehlen die Pädagogen halt für andere Aufgaben. Man kann sie sich nicht backen, insbesondere, wenn eine ganze Generation von ihnen jetzt in Pension gehen wird und neue nicht nachkommen, weil man keine geboren oder von anderen Geborene ausgebildet hat.