Künstliche Intelligenz und Musik: Der Geist ist aus der Flasche

Künstliche Intelligenz beschränkt sich nicht auf Waffensysteme und selbstfahrende Autos. Nun beschäftigt sich die Politik auch mit KI in der Musik.

Ein Junge tanzt mit Kopfhörern vor neutralem Hintergrund.

KI oder K.I.Z? Dem Jungen gefällts! Foto: imago

Wer im Internet nach dem Musiker Charles Bolt sucht, wird bei Spotify fündig. Bei diesem Streamingdienst hat Bolts rührselige Piano Muzak Hunderttausende HörerInnen. Allerdings ist Bolt genauso wenig lebendig wie sein Kollege Heinz Goldblatt. Hinter diesen beiden Phantomen stecken keine Künstler, ihre Songs wurden von einer Künstlichen Intelligenz (KI) komponiert.

Juckt das die HörerInnen überhaupt? Und wer hat Bolt und Goldblatt programmiert? Klar ist nur, dass sich das Modell rentiert, zumal Spotify keinerlei Tantiemen an Urheberrechtsgesellschaften wie die Gema abführen muss. Nur rückt Spotify weder Erlöszahlen raus noch sonstige Informationen.

Die fehlende Transparenz monierte der Frankfurter Autor Holger Volland bei einem Hearing am Mittwoch in Berlin. Er und andere Technikexperten waren von der Grünen-Bundestagsfraktion zum Thema „(Un)kreative KI – Künstliche Intelligenz in Musik und Kunst“ geladen. Ob selbstfahrende Autos, autonome Waffensysteme oder Patientendaten, auf vielen Feldern wird KI-Technologie erprobt oder kommt bereits zum Einsatz.

Seit Längerem herrscht Goldgräberstimmung in der Computerbranche. Mit der raschen Folge technischer Innovationen kann der Gesetzgeber kaum Schritt halten. Dabei wirft Big Data nicht nur regulatorische, sondern auch jede Menge ethische Fragen auf: Wie weit sind Risiken überhaupt abschätzbar? Wird die Gesellschaft durch den Einfluss von KI entmenschlicht? Haben Maschinen ein Gewissen?

Ein Comicstrip zum Theme Künstliche Intelligenz

Aus dem Comic: „KI, wir müssen reden“ von Julia Schneider und Lena Kadriye Ziyal Foto: weneedtotalk.ai

Fragen zu Wissenschaft, Ökonomie und Rechtsprechung versucht im Bundestag seit 2018 eine Enquetekommission zu klären. Kultur wird dabei eher vernachlässigt, wie Anna Christmann, Sprecherin für Innovations- und Technologiepolitik der grünen Bundestagsfraktion und Obfrau in der Enquete-Kommission KI, am Mittwoch einleitend erklärte. Zusammen mit ihrem Kollegen Erhard Grundl, dem kulturpolitischen Sprecher der Bundestagsfraktion, wolle sie das ändern. Vor seiner Zeit als Abgeordneter arbeitete Grundl als Vertreter der (unabhängigen) Musikindustrie. Er sei von der Nachricht alarmiert, dass der Branchenmulti Warner kürzlich eine KI für Ambientmusik entwickelt habe, sagte Grundl.

Wenigstens bringt KI auf dem Gebiet der Kultur keine Menschenleben beim Einsatz in Gefahr. Und doch klingt die Automatisierung von Kreativität zu verlockend, als dass man von ihr lassen könnte. Während Holger Volland das undurchsichtige Geschäftsmodell bei algorithmisch kreierter Gebrauchsmusik kritisierte, romantisierten das Berliner Künstlerduo Florian Dohmann und Roman Lipski „die unendlichen Möglichkeiten von KI“: Lipski setzt beim Malen eine von Dohmann entworfene KI namens digital muse ein, die seine Gemälde um Linien, Farben und Schraffuren enhanced (erweitert). KI habe ihm bei der Abstraktion geholfen, erklärte Lipski, klang aber eher treuherzig als bilderstürmerisch. Er wolle mit KI seine Angst vor der weißen Leinwand überwinden, gestand er ein und bat die Anwesenden, sich dem Thema KI als Tool im kreativen Prozess stärker zu öffnen.

Verteufeln bringt ja nichts, der KI-Geist ist längst aus der Flasche. Demgegenüber trat der Softwareentwickler Matthias Strobel (Bundesverband Musiktechnologie) für eine Kennzeichnungspflicht ein und sprach davon, dass wer Technik nutzbringend einsetzen will, die Materialien an einem KI-Prozess auflisten solle. Er mahnte an, dass die Politik Innovationen am Musikstandort Deutschland stärker würdigen müsse, sonst passiert es wie mit dem digitalen Musikformat MP3, das zwar am Fraunhofer-Institut erfunden wurde, aber von ausländischen Akteuren auf dem Markt durchgesetzt wurde.

All das war der Schriftstellerin und Grafikerin Kathrin Passig zu einseitig. Sie kritisierte den Männerüberhang des Panels („ausgerechnet bei den Grünen“) und sprach davon, dass dafür gesorgt werden müsse, Frauen als Programmiererinnen stärker zu fördern. Pauschal ordnete sie Creative Commons, also urheberfreie Kunstwerke, als Werkzeuge ein, die die Welt zu einem besseren Ort machen würden. Zustimmung beim Thema Frauen bekam sie übrigens von der Gema, deren Mitarbeiterin Annette Jäger bekannt gab, dass gerade mal 14 Prozent ihrer Mitglieder weiblich seien.

Zu kurz kamen am Mittwoch ästhetische Prämissen, die mit dem Einsatz von KI in der Musik verbunden sind: Die angekündigte Referentin Holly Herndon fehlte. Das letzte mit einer KI entstandene Album „Proto“ der US-Musikerin ächzt unter dem konzeptionellen Ansatz. Der Gesprächsbedarf ist groß, ein Anfang wurde am Mittwoch gemacht.

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