KünstlerInnen in Zeiten der Pandemie: 25 Zuschauer sind erlaubt
Falko Hennig, Schriftsteller und Touristenguide, freut sich mit seiner Lesebühne wieder live vor echten Menschen auftreten zu können.
taz: Herr Hennig, Was würden Sie in einer Welt ohne Covid 19 gerade machen?
Falko Hennig: Ich hätte jeden Tag als Fahrrad-Guide Touren durch Berlin mit Schülern und Touristen und würde Geld verdienen, um Januar und Februar in Südamerika zu überwintern.
Was war die letzte Kulturveranstaltung, an der Sie – persönlich oder im Stream – teilgenommen haben?
Am letzten Sonntag haben wir unsere Lesebühne, die Reformbühne Heim & Welt, zum letzten mal gestreamt. An der habe ich also auch persönlich in der Baiz teilgenommen. Seit Beginn des Lockdowns haben wir zwölf Wochen lang nur gestreamt, seit Juni aber auch mit echtem Publikum in der Baiz und ab jetzt ohne Stream. 25 Zuschauer können wir nach den Corona-Regeln einlassen, sie sollten sich vorab per Mail unter reservierung-reformbuehne@web.de anmelden.
Falko Hennig, geb. 1969 in Berlin, ist Schriftsteller und Touristenguide. Seit 1995 ist er Mitglied bei der Reformbühne Heim & Welt und schreibt Kurzgeschichten, Hörspiele, Essays sowie Bücher. Zuletzt erschien sein Roman „Rikscha Blues“ 2018 im Omnino Verlag. Seit 2014 ist Hennig Spaziergänger und Touristenführer in Berlin. falko-hennig.blogspot.de
Was halten Sie vom (oft kostenlosen) Streaming von Theateraufführungen, Konzerten, DJ-Sets oder Lesungen?
Bei den ersten Streams der Reformbühne waren die Reaktionen euphorisch, sowohl für uns als auch für unsere Zuschauer war es sehr wohltuend, eine Art Normalität beibehalten zu können. Auch war der Stream der einzige Ort, um unsere vielen Toilettenpapierwitze unterzubringen. Anfangs bekamen wir viele Spenden als Ersatz für die fehlenden Einnahmen durch Eintritt. Doch wie alle wurden auch unsere Zuschauer Stream-müde und wir sind sehr froh, wieder live vor echten Menschen auftreten zu können.
Große Erfolge hatte ich im Lockdown mit Tanzpartys per Zoom als Dis-Tanz. Die Hoffnung überwiegt, dass wir nicht mehr streamen müssen und wir haben sogar die Überzeugung, uns inzwischen ökonomisch zu schaden, da Zuschauer den Gratis-Stream gegenüber den 4,- Eintritt bevorzugen.
Welchen Ort in Berlin vermissen Sie gerade am meisten?
Den Schokoladen in der Ackerstraße.
Da die Kulturbeilage taz Plan in unserer Printausgabe derzeit pausiert, erscheinen Texte nun vermehrt an dieser Stelle. Mehr Empfehlungen vom taz plan: www.taz.de/tazplan.
In der Interviewreihe „Berliner KünstlerInnen in Zeiten der Pandemie“ stellt der taz plan Berliner Kulturschaffenden Fragen zu Kultur, Alltag und Stadtleben.
Womit vertreiben Sie sich aktuell am liebsten die Zeit? Welche Routinen haben Sie seit dem Virus-Ausbruch entwickelt?
Ich spiele sehr viel auf meiner Zigarrenkistengitarre und skype mit Freunden in Argentinien, Spanien und Griechenland, um mein Spanisch und Griechisch zu verbessern. Ich konnte trotz Virus weiterhin exzessiv Fußball spielen, da ich die Variante des Quarantäne-Balls entwickelt habe: Nur gegen einen anderen Spieler mit zwei Meter Quarantäne-Streifen Abstand. Auch Fußball-Tennis spiele ich und kann sein, dass ich das nach Corona beibehalten werde.
Wie sieht Ihre persönliche berufliche Situation derzeit aus?
Der Tourismus, durch den ich seit einigen Jahren gut gelebt habe, hat mir in diesem Jahr bisher keinen Cent eingebracht, und ich glaube nicht an eine Normalisierung in den nächsten Monaten. Ich hoffe nun darauf, als Deutschlehrer Geld verdienen zu können. Derzeit habe ich keine Einnahmen, der Corona-Zuschuss von 5.000 EUR ist aufgebraucht, weshalb ich ALG II beantragt habe. Immerhin kann ich in der Reformbühne meine Geschichten vorlesen, Lieder zur Zigarrenkiste singen und in Berliner Zeitungen publizieren.
Ist die Pandemie nur Krise oder auch Chance?
Die Pandemie hat viele Chancen eröffnet, leider nicht so viele ökonomische. Wie es unser Reformbühnen-Technik-Gott Frank Sorge geschafft hat, innerhalb von wenigen Tagen zu einem Streaming-Experten zu werden, ist beeindruckend und bei der befreundeten Lesebühne LSD war es ähnlich. Meine Freundin ist Leiterin von drei Berliner Chören. Sie hat während des Lockdowns ihre Chöre per Zoom geleitet und damit alle widerlegt, die behaupten, das ginge nicht.
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