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Künstler mit Nähe zu PutinOh Kunst, ach Freiheit!

Kommentar von Barbara Oertel

Opernstar Anna Netrebko singt in Berlin unter Protest, Waleri Gergijew dirigiert nach Protesten nicht in Italien. Darüber zu streiten, ist ein schönes Privileg.

Fehlt nur ein wenig Blau: Anna Netrebko singt in Berlin, 22. Juli 25 Foto: Berlinfoto/imago

S tellen Sie sich vor, es ist Krieg, und viele gehen hin – wie zum Beispiel in dieser Woche auf den Gendarmenmarkt im Herzen Berlins. Die einen, weil sie sich beim Classic Open Air an den Arien der russisch-österreichischen Opernsängerin Anna Netrebko ergötzen wollen. Die anderen, oft die blau-gelbe Flagge der Ukrai­ne über den Schultern, um gegen diese „Schande“ zu protestieren: ausgerechnet einer Frau in Berlin eine Bühne zu geben, die, um es vorsichtig zu formulieren, einer gewissen Nähe zu Kremlchef Wladimir Putin nicht unverdächtig ist.

Das gilt in noch weitaus krasserem Ausmaß für den Stardirigenten Waleri Gergijew. Der Putin-Freund, als Leiter des Moskauer Bolschoi-Theaters und Intendant am Petersburger Mariinsky Theater ohnehin gut im Geschäft, hätte sich in dieser Woche im süditalienischen Caserta die Ehre geben sollen. Das Event wurde jedoch nach lautstarken, auch internationalen Protesten abgesagt. Interessanterweise gaben die Veranstalter die Sorge vor Unmutsbekundungen ukrainischer Organisationen vor Ort als einen Grund für ihre Entscheidung an.

Die Frage, ob russische Künst­le­r*in­nen derzeit im Westen die Gelegenheit bekommen sollten aufzutreten, führt immer wieder zu kontroversen Debatten, vor allem seit dem Beginn von Putins groß angelegtem Angriffskrieg gegen die Ukrai­ne am 24. Februar 2022. Diejenigen, die sie mit Ja beantworten, führen Argumente an, die nicht so einfach vom Tisch zu wischen sind. So ist die Freiheit der Kunst ein kostbares Gut. Auch unterschiedslos alle russischen Kulturschaffenden für die verbrecherische Politik von Putins Regime in Kollektivhaftung zu nehmen, schießt, um im Bild zu bleiben, über das Ziel hinaus.

Sollen Musiker*innen, Li­te­ra­t*in­nen und bildende Künst­le­r*in­nen künftig einem Gesinnungscheck unterzogen werden oder eine Erklärung abgeben müssen, dass sie gegen Putin seien? Zudem soll es ja auch Menschen geben, die im Laufe ihres Lebens wirklich zu neuen Ein- und Ansichten gelangen. Einmal Putin-Unterstützer, immer Putin-Unterstützer? Nun ja.

Moskaus kulturelle Aufrüstung

Wer jedoch in diesem Zusammenhang darüber schwadroniert, dass doch gerade Kultur Brücken bauen und Möglichkeiten für einen Dialog schaffen könne, hängt einem Irrglauben an. Denn auch an dieser Front hat Moskau massiv aufgerüstet, und das nicht erst seit gestern. Dass über russische Kultureinrichtungen im Ausland Kremlpropaganda verbreitet wird, auch mit dem Ziel, bestimmte Territorien auf ihre „Be­freiung“ vorzubereiten, ist ein offenes Geheimnis.

Was die Ukraine angeht, tobt bereits ein veritabler Kulturkrieg, um die Auslöschungsfan­tasien des Kreml in die Tat umsetzen. Die ukrainische Sprache, russischer Lesart zufolge inexistent und in Wahrheit nichts anderes als „fehlerhaftes Russisch“, wird, wo immer möglich, getilgt. Das zeigt das Beispiel ukrai­ni­scher Kinder, die zu Zigtausenden gegen ihren Willen in die Russische Föderation verschleppt und dort „umerzogen“ wurden und werden. Vor Bauwerken des Unesco-Weltkulturerbes in der Ukraine machen russische Bomben ebenso wenig Halt wie vor Theatern: Bretter, die die Welt bedeuten, aber nur dann, wenn es die russische ist.

Kri­ti­ke­r*in­nen der Ukraine wenden ein, dass dort russische Literatur aus Buchhandlungen verschwindet, russische Filme in Kinos nicht mehr gezeigt und Denkmäler von Alexander Puschkin geschliffen werden. Wohl wahr und leider ein klares Indiz dafür, dass Kultur vor allem für die Ukrai­ne­r*in­nen als etwas, das Grenzen überwinden und Menschen verbinden kann, ausgedient hat. Und das auf unabsehbare Zeit und vielleicht auch noch viele Jahre nach dem Ende dieses schrecklichen Kriegs.

Diesen Umstand sollten sich vielleicht all diejenigen vergegenwärtigen, die Kulturveranstaltungen organisieren. Einladungspraxis heißt hier das Zauberwort. Vielleicht ist es vielen einfach egal, solange der Euro rollt und lohnende Einnahmen zu erwarten sind. Überhaupt: Warum sollte es ausgerechnet in der Kultur, noch dazu vielfach chronisch unterfinanziert, anders laufen als in Politik und Wirtschaft. Fest an der Seite der Ukraine, heißt es doch immer so schön. Bekanntlich war das aber noch nie ein Hindernis, um lukrative Geschäfte mit Russland zu machen.

Andere, die die neuen Realitäten sehr wohl zur Kenntnis nehmen, sollten sich genauer ansehen, wen sie sich da ins Haus holen. Wenn es, warum auch immer, partout Anna Netrebko sein soll – bitte sehr. Der Kreml wird Auftritte wie diesen zu schätzen und für seine Zwecke zu instrumentalisieren wissen. Eine weitere Begleiterscheinung, die viele eher weniger goutieren: Der Vortrag der Diva könnten durch Buhrufe gestört und die Kon­zert­be­su­che­r*in­nen um ihr Stimm- und Klangerlebnis gebracht werden. Doch das gilt es dann auszuhalten.

Die Kunstfreiheit ist schützenswert, keine Frage. Das Recht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit in einer Demokratie und damit im Gegensatz zu Russland, ist es nicht minder.

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Ressortleiterin Ausland
Geboren 1964, ist seit 1995 Osteuropa-Redakteurin der taz und seit 2011 eine der beiden Chefs der Auslandsredaktion. Sie hat Slawistik und Politikwissenschaft in Hamburg, Paris und St. Petersburg sowie Medien und interkulturelle Kommunikation in Frankfurt/Oder und Sofia studiert. Sie schreibt hin und wieder für das Journal von amnesty international. Bislang meidet sie Facebook und Twitter und weiß auch warum.
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3 Kommentare

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  • Netrebko ist geradezu zu einem Symbol für Putin-Nähe und Unterstützung seiner Politik geworden. Jeder Auftritt wird von der russischen Propaganda dankbar aufgegriffen und instrumentalisiert. Sie sollte deshalb genauso sanktioniert und mit einem Einreiseverbot belegt werden wie russische Politiker. Sie hätte es verdient!

    • @Peter Wenzel:

      Ihnen ist anscheinend entgangen, dass Anna Netrebko in Russland Auftrittverbot hat, da sie sich aus Sicht des Kremls zu kritisch gegenüber dem Krieg geäußert hatte. Passt aber wohl nicht ins Narrativ. Pauschale Boykottaufrufe gegen alles Russische entspricht doch so wunderbar dem Zeitgeist.

  • Die Diskussion über einen Kulturboykott gegenüber russischen Künstlern, die sich zwar nicht für den Krieg gegen die Ukraine ausgesprochen haben, sondern lediglich nicht plakativ dagegen, ist genauso abstrus wie der amerikanische und teilweise westliche Boykott gegenüber Künstlern, die sich damals gegen den amerikanischen Überfall auf den Irak kritisch dagegen äußerten.