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Kündigungen bei TikTokStreiken gegen die KI-Arbeiter

Die Plattform will Hunderte Content-Moderator:innen durch einen KI-Algorithmus ersetzen. Nun wehren sich die Beschäftigten am Berliner Standort.

Deutsche TikTok-Mitarbeiter protestieren in Berlin gegen den Stellenabbau, am 17.7.2025 Foto: Claudia Doerries/reuters

Berlin taz | Pornografie, Gewalt, Videos aus Kriegsgebieten, in den Menschen tot auf der Straße liegen – manchmal kämen die Inhalte, die Sara Tegge täglich auf der Videoplattform TikTok moderiert, in ihren Träumen wieder. „Die Arbeit ist mental sehr belastend“, sagt Tegge. Doch dankbar ist ihr Arbeitgeber, das chinesische Unternehmen Bytedance nicht: Tegge und ihre rund 150 Kol­le­g:in­nen der Contentmoderations-Abteilung am Deutschen TikTok-Standort in Berlin sollen entlassen werden. Den Job soll in Zukunft eine KI übernehmen.

Am Donnerstag protestierten die Berliner TikTok-Beschäftigten mit einer Kundgebung gegen die angekündigten Entlassungen. Die Gewerkschaft Verdi fordert einen Sozialplan, höhere Abfindungen und länger Kündigungsfristen. Ex­per­t:in­nen fürchten zudem die Auswirkungen auf die Social-Media-Plattform: Ohne menschliche Arbeit drohten Gewalt, Fake News und rechtsextreme Inhalte auf TikTok überhand zu nehmen.

„Im März haben wir eine schlecht geschriebene E-Mail vom Management erhalten, dass die gesamte Trust-and-Safety-Abteilung entlassen werden soll“, berichtet Tegge. Formell ausgesprochen ist die Kündigung allerdings noch nicht. Ersetzt werden soll die für Content-Moderation verantwortliche Abteilung unter anderem durch ein KI-Modell und Auslagerung an Drittanbieter. Dabei haben die Beschäftigten in den vergangenen Jahren den KI-Algorithmus mit ihrer Arbeit selbst gefüttert. „Wir trainieren die Maschinen, bezahlt uns, was wir verdienen“, riefen die Beschäftigten bei der Kundgebung.

„Wir sind in Gesprächen mit dem Betriebsrat über einen Vorschlag zur Konsolidierung unserer Sicherheitsaktivitäten mit weniger Standorten, um die Arbeitsabläufe zu straffen und die Effizienz zu verbessern“, sagte eine Spre­che­r*in des Unternehmens am Freitag. Man werde sich weiterhin voll und ganz für die Sicherheit und Integrität der Plattform einsetzen.

Verdi fordert TikTok auf, die Abfindung auf drei Jahresgehälter zu erhöhen und die Kündigungsfrist auf ein Jahr zu verlängern. Die sei in Anbetracht der herausfordernden Arbeit nötig. „Wir brauchen psychologische Unterstützung, um uns wieder im Jobmarkt zurechtzufinden“, sagt ein Beschäftigter der taz.

Verdi droht mit Streik

Laut Verdi zeigte sich TikTok bislang wenig kompromissbereit. „Alle Optionen liegen auf dem Tisch, inklusive Streik“, sagt Verdi-Aktivist Daniel Gutiérrez.

Bereits im Oktober vergangenen Jahres kündigte TikTok an, weltweit Hunderte Stellen in der Content-Moderation abbauen zu wollen. Kri­ti­ke­r:in­nen sind skeptisch, dass ein Algorithmus dasselbe leisten kann wie Menschen. „Die KI macht ständig Fehler und es wird keine Menschen geben, diese zu korrigieren“, sagt Oliver March von der NGO Algorithmwatch.

Zu erwarten sei, dass mehr Be­nut­ze­r:in­nen aus nicht nachvollziehbaren Gründen gesperrt und mehr problematische Inhalte gar nicht moderiert werden.

Viele Fälle, die Moderation erforderten, seien stark abhängig vom gesellschaftlichen Kontext. Beispielsweise pushten bei den rumänischen Präsidentschaftswahlen Zehntausende Fake-Accounts einen rechtsextremen Kandidaten. „Solche Entscheidungen sind oft viel zu kompliziert für KI“, sagt Marsh.

Verstoß gegen EU-Recht?

Unklar ist, ob Tiktok mit dem Schritt nicht gegen EU-Recht verstößt. Laut dem Digitale-Dienste-Gesetz, dem Digital Services Act (DSA), müssen Social-Media-Plattformen transparente Content-Moderation in lokaler Sprache durchführen.

Auch mit der Datenschutz-Grundverordnung scheint es TikTok nicht so genau zu nehmen. Der digital politische Verein Nyob reichte ebenfalls am Donnerstag Beschwerde gegen das chinesische Unternehmen ein. Entgegen den Vorgaben des Gesetzes sei es unmöglich, Auskunft über die von TikTok gesammelten Daten vom Unternehmen zu bekommen, so Nyob.

Der Artikel wurde um ein Statement TikToks aktualisiert

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7 Kommentare

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  • Das ist erst der Beginn der KI-Arbeitslosenwelle. Alle Menschen die Geld vor dem Bildschirm verdienen sind in 2-5 Jahren zu 80% weg. Einfach mal informieren und am besten umschulen auf einen Handwerksberuf. Da kann man auch glücklich werden.

  • Die ganze Diskussion ähnelt doch sehr der über die "Schlecker-Frauen". Bevor das Unternehmen in die Pleite geht oder massenahft Mitarbeiter entläßt, ist es Ziel von Anwürfen (bei Schlecker hinsichtlich der Arbeitsbedingungen; Bei TT kommen noch die Inhalte=Ware dazu). Nach den. o.g. Ereignissen sind das dann alles plötzlich wertvolle Arbeitsplätze; die Entlassung stürzt tausende ins Unglück und die deutsche Volkswirtschaft, wenn nicht die Demokratie ist in höchster Gefahr. Wahrscheinlich sehen die Menschen, deren Karriere auf Kapitalismuskritik, Verteidigung der Arbeitnehmerrechte und natürlich der Demokratie, die Grundlage ihrer wirtschaftlichen Existenz gefährdet. Und das Getöse in allen medialen Verbreitungsweg verlangt nach immer schrilleren Tönen, warum nicht gleich eine lebenslange Rente fordern, da wird man wenigstens für eine Viertelstunde statt nur für fünf Minuten wahrgenommen.

    • @mumba:

      häh?

  • so "bescheuert" es auch klingen machen, den Kampf haben wir verloren! Wir können die KI vielleicht noch ein wenig aufhalten, aber dann wird Sie uns massiv in die Arbeitslosigkeit drängen! Das ist wie die Heizer bei der Eisenbahn, ein paar Jahre waren Sie noch auf der Diesellok und dann weg! Wir müssen jetzt über eine Besteuerung solcher digitalen Dienste nachdenken. Sie kosten uns Arbeitsplätze und werden unsere Umwelt durch Ihren grossen Energiebedarf schädigen! Keine Berufsgruppe in Industrie und Verwaltung bleibt verschont! Man kann den Fortschritt nicht aufhalten aber vielleicht mit einer Steuer sozialverträglich in seine Bahnen lenken.

  • „Pornografie, Gewalt, Videos aus Kriegsgebieten, … „Die Arbeit ist mental sehr belastend“, sagt Tegge.“

    Warum arbeitet sie dann dort?

    „Ohne menschliche Arbeit drohten Gewalt, Fake News und rechtsextreme Inhalte auf TikTok überhand zu nehmen.“

    Wirklich… was wäre anders als jetzt?

    „Die KI macht ständig Fehler und es wird keine Menschen geben, diese zu korrigieren“

    Soll sie, laß das Ding so richtig entarten auf das es EU, meinethalben weltweit gesperrt werden muss. Wer braucht den Dreck?

  • Was hat man erwartet? Es war doch vorhersehbar und wird noch viel mehr passieren. Die KI zerstört mehr als sie nutzt. Und wie eine der Betroffenen so richtig sagt: sie haben das, was sie jetzt ersetzt, selbst gefüttert.

  • Drei (!) Jahresgehälter und ein Jahr Kündigungsfrist fordert Verdi für die Berliner TikTok-Moderatoren – ernsthaft? Ich bin ehrenamtlich im Rettungsdienst tätig und habe Dinge erlebt, die man weder wegklicken noch „mental ausblenden“ kann: Wasserleichen, deren Hautfetzen das Boot bedecken, abgerissene Gliedmaßen, schreiende Angehörige. Wer diese Arbeit macht, wird weder mit drei Jahresgehältern (ist ja Ehrenamt) abgefunden noch mit einem Jahr Kündigungsfrist bedacht.

    Natürlich ist Content-Moderation belastend, keine Frage - aber man sollte die Kirche im Dorf lassen. Psychologische Betreuung ja, faire Abfindung ja. Aber solche Maximalforderungen wirken angesichts der Realität vieler anderer Berufe, in denen Menschen ebenfalls regelmäßig mit Tod, Gewalt und Traumata konfrontiert sind, reichlich abgehoben.