Kritik an russischen Angriffen in Syrien: Wer bombt, gewinnt
Moskau erklärt, nun auch den IS angegriffen zu haben – und die USA seien bisher zu zögerlich vorgegangen. Die Türkei kritisiert die Luftschläge gegen die Opposition.
Auch Frankreich, Großbritannien, Katar, Saudi-Arabien und die Türkei stehen nach Angaben des Auswärtigen Amtes hinter der Stellungnahme. „Wir rufen die Russische Föderation auf, ihre Attacken auf die syrische Opposition und Zivilisten sofort einzustellen und ihre Anstrengungen auf den Kampf gegen den IS zu konzentrieren.“ Die Außenminister der an der Erklärung beteiligten Länder hatten sich am Donnerstag am Rande der UN-Vollversammlung in New York getroffen.
Der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoǧlu warf Russland vor, die russischen Luftangriffe hätten sich gegen Stellungen der vom Westen unterstützten Freien Syrischen Armee (FSA) gerichtet. Damit stärke Russland der syrischen Regierung den Rücken. Zudem spiele die russische Taktik dem IS in die Hände. Die Entwicklung sei „besorgniserregend“.
Laut Davutoǧlu ist die Gefahr, dass sich türkische und russische Kampfflugzeuge über Syrien in die Quere kommen könnten, aber sehr gering. „Unsere Kommunikationskanäle sind offen“, sagte er.
Kaum überprüfbare Informationen
Das Moskauer Verteidigungsministerium hingegen erklärte am Freitag, die russische Luftwaffe habe erstmals die syrische Provinz Rakka, Hochburg des IS, angegriffen. Bomber vom Typ Suchoi-34 hätten am Donnerstag unter anderem einen „getarnten Befehlsposten“ in Kasrat Faradsch südwestlich von Rakka bombardiert, teilte das Ministerium am Freitag mit. Weitere Ziele seien in den Provinzen Aleppo und Idlib angegriffen worden.
Bei den russischen Luftangriffen sind nach Angaben von Aktivisten mindestens zwölf Kämpfer der Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) getötet worden. Ziel der Bombardements am Donnerstagabend seien der westliche Rand der Stadt Rakka sowie die Region gewesen, in der sich der Militärflughafen von Tabka befindet, erklärte die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte am Freitag. Sie stützt sich auf ein Netzwerk von Informanten in Syrien, ihre Angaben sind wegen der unübersichtlichen Lage in dem Bürgerkriegsland von unabhängiger Seite kaum überprüfbar.
Russland fliegt seit Mittwoch Luftangriffe gegen Ziele in Syrien. Nach Angaben der Beobachtungsstelle wurden dabei bislang 28 Menschen getötet. Die Aktivisten gaben am Donnerstag an, es seien mindestens sieben Zivilisten getötet worden, darunter zwei Kinder. Bei einem Luftangriff in Dschabal al-Sawija in der nordwestlichen Provinz Idlib am Freitag soll es vier zivile Todesopfer gegeben haben. Bei einem weiteren Luftangriff in Idlib seien in der Ortschaft Habit drei Zivilisten getötet worden.
Die wichtigste syrische Oppositionsgruppe, die Syrische Nationale Koalition, hatte bereits am Mittwoch von 36 zivilen Todesopfern in der Provinz Homs gesprochen. Die Regierung in Moskau wies die Angaben zurück.
Intensives Bombardement nötig
Die Luftangriffe sollen nach Angaben eines einflussreichen Duma-Abgeordneten „drei bis vier Monate“ dauern. Es könne zwar nie ausgeschlossen werden, dass sich der Einsatz noch mehr in die Länge ziehe, sagte der Vorsitzende des Außenausschusses der Duma, Alexej Puschkow, am Freitag im französischen Sender Europe 1. „Aber in Moskau wird derzeit von Einsätzen über eine Dauer von drei bis vier Monate gesprochen.“ Puschkow kündigte zudem an, dass sich die Luftangriffe noch intensivieren würden.
„Ich denke, die Intensität ist wichtig“, sagte der Ausschussvorsitzende. „Die US-Koalition tut seit einem Jahr so, als ob sie den Islamischen Staat bombardiert, aber es gibt keine Ergebnisse. Wenn man es effizienter macht, wird es denke ich Ergebnisse geben.“
Die USA und Russland haben sich zur Vermeidung von Missverständnissen ihrer Streitkräfte in Syrien auf militärischer Ebene abgesprochen. Es habe einen „freundlichen und professionellen Austausch“ gegeben, sagte Pentagonsprecher Peter Cook am Donnerstag. Nach Angaben des Weißen Hauses drehte sich das einstündige Gespräch darum, dass in dem Bürgerkrieg internationale Regeln eingehalten und die üblichen Kommunikationskanäle genutzt würden.
Russland präsentiert UN-Resolution
Der Austausch von Geheimdienst-Informationen sei aber nicht geplant, sagte Cook. Ziel sei, „eine Art von Unfall am Himmel“ zu vermeiden. „Das bedeutet nicht, dass wir dulden, was Russland getan hat.“ Präsident Barack Obamas Sprecher Josh Earnest warnte zugleich vor „willkürlichen“ Angriffen, die den Krieg verlängern und Moskau tiefer in den Konflikt hineinziehen könnten.
Russlands Außenminister Sergej Lawrow präsentierte am Mittwoch im UN-Sicherheitsrat einen fünfseitigen Resolutionsentwurf für den Kampf gegen den IS. Der Text bezeichnet terroristische Aktivitäten als „Bedrohung für Frieden und Stabilität“ und verurteilt das Vorgehen des IS und der mit dem Terrornetzwerk al-Qaida verbundenen al-Nusra-Front. Indirekt verwiesen wird darauf, dass Assad in die Koalition gegen die Dschihadisten einbezogen werden müsse.
Die zentrale Streitfrage bei den Lösungsversuchen zum Syrien-Konflikt und beim Kampf gegen den IS ist die künftige Rolle Assads. Während der Iran und Russland ihrem Verbündeten den Rücken stärken, kann sich der Westen keine Zukunft für den Staatschef an der Spitze Syriens vorstellen.
Einsatz im Irak möglich
Die syrische Opposition und der Westen verdächtigen Moskau, nicht wie behauptet die Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) zu attackieren, sondern islamistische und gemäßigte Rebellengruppen, die Machthaber Baschar al-Assad bekämpfen. Nach Angaben der Beobachtungsstelle trafen die Luftangriffe in Idlib am Donnerstag Gebiete, die von der al-Nusra-Front und anderen Rebellen kontrolliert werden.
Unterdessen erklärte sich Russland bereit, auf Anforderung Bagdads auch im Irak einzugreifen. Aus dem russischen Außenministerium hieß es laut der Nachrichtenagentur Ria Nowosti, Moskau sei unter Umständen auch zu einem militärischen Eingreifen gegen den IS im Irak bereit. Voraussetzung sei aber eine Bitte Bagdads oder ein UN-Mandat.
Iraks Regierungschef Haider al-Abadi zeigte sich im französischen Sender France 24 offen für solche Angriffe. „Wenn wir das Angebot bekommen, werden wir darüber nachdenken“, sagte er.
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