Kritik an Umgang mit Flüchtlingskrise: „Öffnet eure Herzen“
Großbritannien, Kanada und Ungarn werden für ihre Asylpolitik kritisiert. Und EU-Kommissar Oettinger möchte die Leistungen für Flüchtlinge senken.
Eine Priorität räumen die Ärzte vor Ort schwangeren Frauen ein, die oft wochenlang aus Krisengebieten im Nahen Osten zu Fuß unterwegs waren. „Wir haben viele schwangere Frauen, die einfach erschöpft sind und nicht mehr können“, sagte Sarah Schober, 28-jährige Medizinstudentin und freiwillige Helferin aus Österreich. „Wir können ihnen aber nur Magnesium und kleine Dosen Schnaps gegen ihre Krämpfe geben“, fügte sie hinzu. Da es an Toiletten fehle, verrichteten die Menschen ihre Notdurft nahezu überall. „Bei dem warmen Wetter droht rasch eine Epidemie“, warnte Schober.
In Röszke trifft ein Großteil der Flüchtlinge von der sogenannten Balkanroute ein, die Westeuropa erreichen wollen. Die Lage an dem Grenzübergang ist seit Tagen angespannt. Die überwiegende Mehrheit der Flüchtlinge will weiter Richtung Deutschland oder Skandinavien reisen.
Ungarns Asylpolitik mit Holocaust verglichen
Der österreichische Bundeskanzler Werner Faymann hat das Vorgehen des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán in der Flüchtlingskrise mit der NS-Rassenpolitik verglichen. „Menschenrechte nach Religionen zu unterteilen ist unerträglich“, sagte der Sozialdemokrat dem Hamburger Nachrichtenmagazin Der Spiegel. „Flüchtlinge in Züge zu stecken in dem Glauben, sie würden ganz woandershin fahren, weckt Erinnerungen an die dunkelste Zeit unseres Kontinents.“
Faymann brachte finanzielle Sanktionen für EU-Staaten wie Ungarn ins Gespräch, die sich einer Quotenregelung für die Aufteilung der Flüchtlinge in der EU verweigern. „Zur Bewältigung der Flüchtlingsbewegung brauchen wir Strafen gegen Solidaritätssünder“, sagte der SPÖ-Chef. Als Beispiel nannte er die Kürzung der Mittel aus den Strukturfonds, von denen vor allem die östlichen EU-Staaten profitierten. Die Quotenregelung könne in der EU auch mit qualifizierter Mehrheit durchgesetzt werden.
Ungarns Außenminister Peter Szijjarto hat am Samstag scharf auf Kritik des österreichischen Bundeskanzlers Werner Faymann reagiert. „Dies weisen wir entschieden zurück und verbitten es uns“, übermittelte Szijjarto der staatlichen ungarischen Nachrichtenagentur MTI.
Faymanns Worte seien „eines führenden Politikers im 21. Jahrhundert unwürdig“. Österreichs Regierungschef betreibe seit Wochen eine „Lügenkampagne“ gegen Ungarn, obwohl das Land alle EU-Regeln beachte und eine effiziente gemeinsame europäische Lösung für die Flüchtlingskrise suche. Erschwert werde dies dadurch, dass Politiker wie Faymann mit verantwortungslosen Äußerungen bei „Wirtschaftsflüchtlingen“ Illusionen und „Träume ohne Grundlage“ weckten. Faymanns „Amoklauf“ sei unerträglich und offenbare seine Unfähigkeit.
Oettinger für Angleichung der Leistungen
EU-Kommissar Günther Oettinger (CDU) hat eine Angleichung der Leistungen für Asylbewerber innerhalb Europas gefordert. Natürlich könnten die Geld- und Sachleistungen nicht bis auf den letzten Cent in der EU identisch sein, sagte Oettinger der Welt am Sonntag. Die Leistungen für Asylbewerber in Deutschland müssten aber so angepasst werden, dass es eine „gewisse Annäherung an die Leistungen in anderen EU-Staaten gibt“.
Der EU-Kommissar sagte weiter, die Leistungen sollten an die Lebenshaltungskosten im jeweiligen Aufnahmeland angepasst sein. „Wir benötigen aber eine gewisse Harmonisierung der materiellen Leistungen für Asylbewerber in Europa, denn ein zu starkes Gefälle innerhalb der EU könnte die falschen Anreize setzen und die Aufteilung nach einer festen Quote auf alle EU-Länder ad absurdum führen.“
Oettinger forderte zudem weitere Änderungen im Grundgesetz: „Das Grundgesetz könnte so geändert werden, dass Asylverfahren künftig viel schneller als bisher zum Abschluss gebracht werden“. Außerdem sollten Flüchtlinge aus sicheren Herkunftsstaaten durch eine Grundgesetzänderung bei einer Ablehnung schnell zurückgeführt werden können.
Demo in London gegen britische Asylpolitik
Zehntausende Menschen haben am Samstag in London für Solidarität mit Flüchtlingen und gegen die Asylpolitik der britischen Regierung demonstriert. Den Protestmarsch durch die Innenstadt vor das Parlament hatten Bürgerrechtler organisiert. Ganz vorne in dem Demonstrationszug in Richtung Parlament gingen Flüchtlinge.
Die Veranstalter schätzten, dass „mehr als 100.000“ Demonstranten teilnahmen. „Wir sind fast ein bisschen schockiert, das hätten wir nicht erwartet“, sagte Mitorganisator Abdulaziz Almashi von der Gruppe Syria Solidarity. Ein Polizeisprecher sagte, es gebe keine offizielle Teilnehmerzahl.
Vor dem Westminister-Parlament sprach am Nachmittag auch der gerade gewählte Labour-Vorsitzende Jeremy Corbyn zu den jubelnden Demonstranten. „Öffnet eure Herzen, und seid aufgeschlossen, und ändert eure Haltung dazu, Menschen zu helfen, die verzweifelt sind, die einen sicheren Ort zum Leben brauchen, die zu unserer Gesellschaft beitragen wollen, und die Menschen wie wir alle sind“, appellierte er an die konservative Regierung. Großbritannien will bis 2020 lediglich 20.000 Syrer aufnehmen, die in Flüchtlingslagern um die syrische Grenze leben.
Kanadischer Premierminister in Kritik
Auch Kanada nimmt verhältnismäßig wenige Flüchtlinge auf: Die Regierung hat mehr humanitäre Hilfe für Flüchtlingslager angekündigt, lehnt die Aufnahme weiterer Syrer jedoch vorerst ab. Wie die Regierung von Premierminister Stephen Harper am Samstag bekanntgab, sollen 100 Millionen Dollar (rund 66 Millionen Euro) in die Unterstützung der Camps fließen.
Seit Beginn des Syrien-Konflikts im Jahr 2011 sind mehr als vier Millionen Menschen aus dem Land geflohen. Weil Kanada seit Januar 2014 nur 2.500 Flüchtlinge aus dem Bürgerkriegsland aufnahm, steht die Harper-Regierung massiv in der Kritik. Im Januar hatte seine Regierung jedoch angekündigt, über drei Jahre hinweg 10.000 Syrer aufnehmen zu wollen. Anfang August erklärte sich die Führung um Harper dann bereit, in einem Zeitraum von vier Jahren weiteren 10.000 Flüchtlingen Zuflucht zu gewähren.
In internationalen Krisen früherer Jahrzehnte war Kanada mit einer vergleichsweise großzügigen Asylpolitik aufgefallen. Die Zahl der aufgenommenen Flüchtlinge ist seit dem Amtsantritt Harpers vor fast zehn Jahren jedoch stark zurückgegangen.
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