Kritik an Drogenkontrolle: Drogentest ohne Beschämung
Die Hamburger Linke fordert eine Alternative zu den beaufsichtigten Urintests bei Gefangenen. Laut Gericht verletzen sie deren Persönlichkeitsrechte.
Ausgangspunkt für den Vorstoß ist die Klage eines Gefangenen aus Nordrhein-Westfalen, der sich gegen beaufsichtigte Urinkontrollen gewehrt hatte. Für ihn sei eine Probe per Blutentnahme aus dem Finger, so argumentierte er, eine kleinere Verletzung seiner Rechte.
Nachdem er vor zwei Instanzen gescheitert war, hatte ihm das Bundesverfassungsgericht im Juli recht gegeben. Zwar ließen sich Eingriffe in den Intimbereich und das Schamgefühl des Inhaftierten nicht immer vermeiden – er habe aber Anspruch auf besondere Rücksichtnahme. Staatliche Maßnahmen, bei denen sich der Betroffene entkleiden müsse, seien ein schwerwiegender Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht.
Das Bundesverfassungsgericht verwies in seinem Urteil auch darauf, dass es Alternativen zur Urinkontrolle gibt – etwa eine Punktion am Finger, durch die eine geringe Blutmenge entnommen werden kann. Das aber habe die Vorinstanz überhaupt nicht berücksichtigt.
Senat sieht keinen Handlungsbedarf
Ebene jene Alternative möchte die Linke in Hamburg etablieren und hat deshalb eine Anfrage zur Praxis der Drogenkontrollen in den Justizvollzugsanstalten (JVA) an den Senat gestellt. Doch der erklärte gleich in der Vorrede zu seiner Antwort, dass die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts keinen Bezug zur Situation in Hamburg habe: Denn die Kontrollen in den JVAs seien hier immer anlassbezogen, da ein konkreter Verdacht auf Suchtmittelmissbrauch vorliegen müsse.
Außerdem, so der Senat, fehlten ohnehin die rechtlichen Möglichkeiten für das vorgeschlagene Alternativverfahren: „Maßnahmen zur Feststellung von Suchtmittelmissbrauch“ dürften „nicht mit einem körperlichen Eingriff verbunden sein“. Genau das sei aber die Punktion der Fingerbeere zwecks Blutentnahme.
Und schließlich führen Senat und Justizbehörde noch praktische Vorteile des Urintests an: Blut sei nur zum kurzfristigen Nachweis von Suchtmitteln geeignet. „Bereits nach wenigen Stunden ist ein Nachweis eines Suchtmittels im Blut nicht mehr möglich“, schreibt die Pressestelle der Justizbehörde auf taz-Anfrage. „Im Urin hingegen kann das Abbauprodukt eines Suchtmittels noch mehrere Tage nachgewiesen werden.“
Des Weiteren liege das Ergebnis bei einem Urintest wesentlich schneller vor. Das sei gerade bei Ausfallerscheinungen von Gefangenen wichtig.
Carola Ensslen, Linke
Für Carola Ensslen sind das Scheinargumente. Auf der praktischen Ebene verweist sie auf die Praxis in Nordrhein-Westfalen, wo seit 2017 ein Drogenvortest auf Basis von Kapillarblut, also zum Beispiel Blut aus der Fingerkuppe, grundsätzlich möglich ist.
Und was den rechtlichen Rahmen anbelangt, so kann Ensslen nicht erkennen, „dass eine Blutentnahme bei Einwilligung der Gefangenen einer gesetzlichen Grundlage bedarf“. Und sollte das der Fall sein, so sei es Aufgabe der grünen Justizsenatorin Anna Gallina, eine Gesetzesinitiative zu starten.
In ihrer Anfrage hatte die Linke auch nach der Art der Durchführung der Urintests gefragt. Die werden von den Gefangenen unter Sichtkontrolle eines gleichgeschlechtlichen Justizbeamten oder einer -beamtin gemacht, um Manipulationen zu verhindern. Dabei gibt es je nach JVA unterschiedliche Praxen:
In Hahnöfersand etwa wird die inhaftierte Person vor der Abgabe auf unerlaubte Gegenstände durchsucht. Während der Abgabe selbst steht die beaufsichtigende Person schräg hinter der abgebenden Person, ohne direkten Blick auf die Genitalien.
„Mit einer Entkleidung verbunden“
In der JVA Fuhlsbüttel können Gefangene, die angeben, aus Schamgefühl unter Sicht keine Probe abgeben zu können, diese ohne Sichtkontrolle machen – sie müssen sich allerdings vorher „mit einer Entkleidung verbunden“ körperlich durchsuchen lassen.
Die Frage der Linken, ob und wie viele Anträge es von Gefangenen auf alternative Tests gegeben hat, konnte der Senat mangels Daten nicht beantworten. Das gleiche gilt für Klagen, die vor Gericht eingereicht worden sind. Beschwerden, so die Senatsantwort, hat es seit dem 1. Januar 2020 gegen die Urinkontrollen nicht gegeben.
Das ist für Carola Ensslen aber keine Entschuldigung dafür, „dass die Justizsenatorin kein Problembewusstsein an den Tag legt“. Schließlich wisse man nicht, ob sich die Gefangenen schlicht nicht trauten, sich zu beschweren.
Sie besteht darauf, dass es Überprüfungsbedarf in Hamburg gebe: „Die Gerichtsentscheidung ist ein Anlass, die entwürdigende Praxis zu überprüfen.“ Angesichts der Senatsantwort hat sie allerdings wenig Hoffnung, dass die Justizbehörde aktiv werden wird. Von daher bleibt der Linken nur die Möglichkeit, einen Antrag im Parlament zu stellen.
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