Kritik am Kreml: Russischer Diplomat schämt sich
Aus Protest gegen den Angriffskrieg Russlands ist ein russischer Diplomat zurückgetreten. 20 Jahre war Boris Bondarew im Dienst für das Putin-Regime.
Besser später als nie“, schreiben Russinnen und Russen in den Kommentaren unter der Meldung, der russische UN-Diplomat Boris Bondarew habe seinen Posten in Genf aufgegeben – aus „Scham“ vor seinem Land. Sie, die an eben diesem Land leiden, weil sein Präsident beschlossen hat, die Ukraine zu überfallen, die an diesem Land verzweifeln, weil die Mehrheit diesen Überfall wenn schon nicht verurteilt, so doch still erträgt, sie fragen sich seit drei Monaten, wie es sein kann, dass so viele ihrer Mitbürger*innen schweigen. Dass die Wirtschaftselite den Mund hält, der Beamtenapparat, die Diplomatie. Dass die Menschen das Offensichtlichste als „nicht eindeutig“ weit von sich weisen, dass sie mit den Schultern zucken und sagen: „Naja, ist halt so.“
Bondarew ist der dienstälteste, also ranghöchste russische Diplomat, der seinen Mund nun aufgemacht hat. Der mit deutlichen Worten „Heimat und Familie“, wie er das russische Außenministerium nennt, für die „Kriegshetze, Lügen und Hass“ kritisiert hat. Sein Land sei isoliert und degradiert, und er wolle nicht mehr länger Teil der „blutigen, sinnlosen und völlig unnötigen Schande“ sein. Für einen, der knapp 20 Jahre lang Teil der sich immer weiter verhärtenden russischen Politik war, sind solche Aussagen beachtlich. Mögen sie auch ein spätes Erwachen sein.
Solch ein Erwachen erleben derzeit einige Menschen in Russland. Es sind Top-Manager staatlicher Gesellschaften und Journalist*innen staatlicher Medien. Sie haben das System, das Menschenrechte seit Jahren mit Füßen tritt, getragen, sie haben von ihm profitiert. Und sie stehen nun an der roten Linie, die sie nicht zu überqueren bereit sind. Krieg nennen sie Krieg und verlieren bewusst alle Privilegien.
Bondarews Name ist im russischen Außenministerium gelöscht, für die Machtelite ist er ein Verräter, nach Russland kann er wohl kaum zurückkehren. Für ihn selbst sind seine harschen Worte ein mutiger Schritt. In der Gesellschaft, die in diesen Kriegstagen den imperialen Traum ihrer Führung zu leben verdammt ist, kommen sie verhalten daher – zeigen aber den noch Leisen im Land, dass sie nicht allein sind.
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