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Kritik am Humboldt ForumStorchennest statt Christenkreuz

60 Millionen Euro sollen pro Jahr für den Betrieb des Berliner Schlosses anfallen. Die Initiative „Defund the Humboldt Forum!“ fordert eine Umverteilung.

Gründe, nicht mitzumachen, haben sie viele: die Plakate der Künst­le­r:in­nen Foto: Nina Wiesnagrotzki

Birken hätten sich zwischen Rohbeton und Ziegel versät, ihr schräg aus der Fassade ragendes Wachstum überwucherte das blaue Kuppelband und zersetzte den goldenen „Beug das Knie vor Jesus“-Spruch schon auf natürliche Weise. Über den Engeln der Kuppellaterne thronte nun ein Storchennest an der Stelle des eisernen Christenkreuzes, das längst abmontiert und recycelt geworden wäre, und innen, in den oberen Stockwerken des an diesem Dienstag eröffnenden Humboldt Forums, wo das Ethnologische Museum angesiedelt ist, da gäbe es zwar all die vielen Objekte, die Jahrzehnte trotz ihres unrechtmäßigen Besitzes in den Sammlungen waren – die „Idia“, die Mutter des Oba Esigie aus dem 16. Jahrhundert des Königreichs Benin, die 16 Meter langen Südseeschiffe der Eremiteninsel Luf.

Doch sie wären alle nur eine Projektion. Die 10.500 Quadratmeter Museumsfläche hinter der künstlichen Hülle eines Preußenschlosses wären einfach leer, alleinig das Lichtspiel von den Objekten füllte sie, übertragen aus den vielen anderen Museen, Kultur- und Kulthäusern einst kolonialisierter Gesellschaften, die sie sich nun wieder zurückgeholt hätten.

Hätten. Wären. Das ist nur ein spekulatives Szenario, ein ganz schönes sogar, aber so könnte es einmal am nun eröffnenden Humboldt Forum zugehen, würden die 60 Millionen Euro, die jetzt jährlich für seinen Betrieb im rekonstruiertem Schloss anfallen sollen, umverteilt. „Defund the Humboldt Forum!“, das ist die Forderung eines Zusammenschlusses der Coalition of Cultural Workers against the Humboldt Forum, kurz CCWAH, und Barazani Berlin.

Jetzt zur Eröffnung des Humboldt Forums wird die Initiative, der mit unter anderem Alice Creischer und Natascha Sadr Haghighian bekannte Stimmen der zeitgenössischen Kunst in Deutschland angehören, noch einmal laut. Es gibt Projektionen rund ums Schloss, Plakate im Stadtraum, eine Demonstration am Dienstagmittag (ab 13 Uhr).

Entsammeln und umverteilen

Dabei trifft die Initiative einen empfindlichen Nerv. Die Institution des Museums selbst mit seiner kanonischen Formel „Sammeln, Bewahren, Forschen“ ist durch die Restitutions­debatte rissig geworden. „Entsammeln“ ist gar der Aufruf der Kunsthistorikerin Julia Pelta Feldmann. Warum also nicht zur Eröffnung noch einmal alles umwerfen – und umverteilen, in Form von Objekten, Wissen und Geld?, fragt CCWAH.

„Wie können wir die Kolonialgeschichte, die christliche Missionsarbeit, das ethnografische Sammeln und die soziale Rolle der ethnografischen Museen heute aufdröseln?“, zitiert die Initiative auf ihre Website ccwah.info den in Südafrika lehrenden Duane Jethro. „Es geht um konkretes Handeln, das eine radikale, echte Aufarbeitung der materiellen Beziehungen zur Vergangenheit erfordert.“

60 Millionen Euro jährlich für die Aufrechterhaltung des Betriebs im wiedererrichteten Hohenzollern-Schloss – Barazani stellen diese auf ihrer Website ins Verhältnis: 36,6 Millionen an Entwicklungshilfe verspricht das Außenministerium jährlich für Namibia, für eine ganze, durch die Gräuel der deutschen Kolonialzeit traumatisierte Gesellschaft.

Für das Humboldt Forum ist das wiederaufgebaute Schloss ein Fluch. So sehr sich die komplexe Institution mit ihren vielen Museen auch für Kritik öffnet, jetzt sogar tatsächlich eine Rückgabe seiner unrechtmäßigen Bestände in Aussicht stellt, steht ihr die geschichtsklitternde Symbolik des rekonstruierten Preußenschlosses im Weg. Von „Betonbarock“ spricht das Humboldt Forum selber, die Schizophrenie seines eigenen Gebäudes anerkennend, für CCWAH verliert aber die ganze Institution durch eben diesen Betonbarock seine Glaubwürdigkeit: „Imperialismus verlernen mit dir, geht einfach nicht!“

3 Millionen private Spenden

In ihrem subversiven Souvenirladen am Spreeufer, gegenüber vom Schloss, arbeitet CCWAH in einer Ausstellung mit Postkarten, Filmen und Plakaten – sehr zu empfehlen das Video „PsychoBoddin – Volksbegierden Totale Rekonstruktion“ von J. P. Raether – noch einmal auf, wie es überhaupt zu diesem Schlossbau kommen konnte. Mit etwas Bauchkrämpfen muss man dabei anerkennen, dass es ein demokratischer Prozess war. Mit dem Schloss wurde ein Bür­ge­r:in­nen­wil­le sichtbar. Dafür zeugen heute die 3 Millionen privat gespendeten Ziegel an seiner Fassade.

Der Wille finanzstarker Bür­ge­r:in­nen zudem, deren Namen und Stiftungen nun an den Portalen aufgelistet sind. Am Kuppelkreuz aber gerät dieser demokratische Prozess ins Wanken, denn hier ist es der ganz individuelle Wille der Millionenspenderin Inga Maren Otto, die mit dem eisernen Christensymbol ihre persönliche Gesinnung für erst einmal sehr lange Zeit im öffentlichen Raum platziert. „An dieser Stelle war für uns Schluss“, sagt Ina Wudtke von CCWAH, so „weltoffen sich das Humboldt Forum auch zeigt, beim Kreuz hört es auf.“

Dem geballten, geldunterfütterten Bür­ge­r:in­nen­wil­len des Schlossneubaus stellt Defund the Humboldtforum nun einen anderen, ebenfalls öffentlichen Willen gegenüber. 40 Künst­le­r:in­nen gestalteten Plakate für den Stadtraum. „Ich mache da nicht mit, weil mir bei der Verharmlosung deutscher Kolonialverbrechen und dem Abfeiern auf das Christentum und Preußen-Schick die Fantasie durchgeht“, heißt es dann.

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1 Kommentar

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  • "Mit etwas Bauchkrämpfen muss man dabei anerkennen, dass es ein demokratischer Prozess war."

    Klar, eine Aktiengesellschaft ist ja auch hochdemokratisch.