piwik no script img

Kritik am Buch über kritische MännlichkeitDoch nicht so woke

Das Buch „Oh Boy: Männ­lich­kei­t*en heute“ thematisiert einen sexuellen Übergriff. Nun wehrt sich die Betroffene gegen die literarische Verwertung.

Nagelläck an Männern: Symbol reflektierter Maskulinität oder Vorgaukeln von Sanftheit? Foto: Daniel K. Schweitzer/plainpicture

Was wünschen sich Betroffene von sexualisierter Gewalt oder Machtmissbrauch? In der Regel Verbündete, die ihnen glauben und sich an ihre Seite stellen. Geht es um prominente mutmaßliche Täter, kann das für Fans bedeuten: keine Tickets für Rammstein-Konzerte zu kaufen oder Filme von Til Schweiger zu ignorieren. Viel wichtiger wäre es, dass diejenigen in Machtpositionen Verantwortung übernehmen: also dass Konzerte oder Filme gar nicht mehr stattfinden.

Etwas Ähnliches ist jetzt im Fall des Buches „Oh Boy: Männ­lich­kei­t*en heute“ passiert. Vor wenigen Tagen hat das Literaturhaus Rostock eine Lesung auf der Kulturwoche zu dem Sammelband abgesagt. Die Absage begründet das Literaturhaus mit der Solidarität gegenüber Betroffenen sexualisierter Gewalt. Was war passiert?

Vergangenen Monat ist das Buch über gegenwärtige Männlichkeit im Kanon Verlag erschienen. Der Klappentext verspricht „18 mutige Selbstbefragungen von prägenden Au­to­r*in­nen unserer Zeit“. Ganz vorne mit dabei: Mitherausgeber Valentin Moritz, „ein Mann, der sich die eigene Übergriffigkeit eingesteht“. In seinem Kapitel schreibt der Autor, dass er einer Person gegenüber sexuell übergriffig geworden sei, Namen und konkrete Orte nennt er dabei nicht. Jetzt möchte er „Konsequenzen tragen und die Verantwortung übernehmen“. Moritz möchte ein Vorbild sein.

Aber ist er das? Wohl nicht, denn die Betroffene des Übergriffs, die sich trotz allem in der Erzählung wiedererkannt hat, möchte nicht, dass Moritz den Übergriff literarisch verarbeitet. Sie erzählt der taz, dass sie ihm noch in der Planungsphase des Textes geschrieben habe: „Du kannst keinen Profit aus deiner Täterschaft machen und mich zusätzlich auch noch belasten.“ Es ginge ihr dabei nicht nur um den finanziellen Vorteil, sondern auch um die Anerkennung, die er sich durch die Täterschaft erschreiben möchte.

Das Bedürfnis der Betroffenen hintangestellt

Moritz informierte laut Statement des Verlags den Verlag über den Wunsch der Betroffenen. Doch sie übergingen mit der Veröffentlichung seines Textes diesen Wunsch. Daraufhin machte die Betroffene ihrer Wut öffentlich Luft und rief bei Instagram zum Boykott auf. Auf Nachfrage der taz argumentierte Moritz, dass es sich um einen literarischen Text handele, in dem die Privatsphäre „möglicher Betroffener durchgehend gewahrt bleibt“.

Die Betroffene schüttelt derweil über sein Handeln nur den Kopf. „Wie kann er denn Vorbild sein, wenn er sich nicht mit der Kritik auseinandersetzt?“ Denn Moritz stelle „sein Anliegen, dass er als Vorbild dasteht, über mein Anliegen, den Übergriff nicht zu thematisieren“.

Die zweite Herausgeber*in, Donat Blum, sprang Moritz derweil zur Seite: Anstatt sich mit der Kritik auseinanderzusetzen, verteidigte Blum bei Instagram dessen Verhalten.

Warum nicht von Anfang an kritisch auseinandersetzen?

Auch Jahre nach dem Aufkommen von #MeToo und einer weitgehenden Auseinandersetzung mit Machtmissbrauch, sexualisierter Gewalt und kritischer Männlichkeit scheint ein Mann, der sich über den Wunsch einer Betroffenen hinwegsetzt, noch immer der beste Kassenschlager zu sein. Letztlich reproduzieren die Her­aus­ge­be­r*in­nen des Buchs genau die Männlichkeit, mit der sie sich doch eigentlich kritisch auseinandersetzen wollen.

Wäre dem Verlag und den Her­aus­ge­be­r*in­nen wirklich etwas an Aufklärungsarbeit gelegen, hätten sie sich von Anfang an mit den Wünschen und Forderungen der Betroffenen auseinandersetzen müssen. Denn für eine gerechtere Gesellschaft sorgen wir erst, wenn wir ihnen zur Seite stehen und sie nicht mundtot machen.

Die Absage des Literaturhauses Rostock zeigt nun Wirkungen. Die meisten Mit­au­to­r*in­nen distanzieren sich von Moritz – jedoch nicht alle. Buchpreis-Gewinner*in Kim de l’Horizon etwa schweigt, Stand Sonntag. Der Verlag und der Autor haben sich öffentlich geäußert und versuchen sich zu entschuldigen. Moritz kündigt an, sich aus allen geplanten Lesungen zurückzuziehen. Als Konsequenz stoppt der Verlag die Auslieferung des Buches und will in allen Nachauflagen Moritz’ Kapitel rausnehmen. Ärgerlich, dass er für diese Erkenntnis erst die öffentliche Kritik brauchte, denn der Schaden bei der Betroffenen ist bereits angerichtet.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

7 Kommentare

 / 
  • "Mutige Selbstbefragungen", "er möchte Verantwortung übernehmen". Da schlage ich eine Selbstanzeige vor oder als Anfang 100 Sozialstunden.

    Klingt die mich genauso, wie die Frau schreibt. Erst verhält er sich mies und dann will er daraus Profit und womöglich noch Selbstbestätigung ziehen. Der war vorher ein mieser Typ und ist es jetzt immer noch.

    • @moonwatcher:

      Exakt.

  • Ich finde die ganze Geschichte höchst verwirrend und irritierend.



    Grundsätzlich finde ich da nix bei, dass man aus dokumentarischer Absicht und unter Wahrung der Anonymität aller Beteiligten jeden Sachverhalt beschreiben dürfen sollte.



    Denn was würde aus der Gegenposition folgen? Dass niemals mehr über Ereignisse geschrieben werden darf, die so oder so ähnlich jemanden traumatisiert haben? Das wäre absurd.

    Dass der Autor hingegen dem Verlag mitteilte, dass das Opfer seines Übergriffs nicht einverstanden mit der Veröflentlichung ist, legt nahe, dass er es vorher informiert und um sein Einverständnis gebeten hat, sich dann aber, aus welchen Gründen auch immer, darüber hinweggesetzt hat. Das wäre wahrlich schäbig.

    • @swordeli:

      Sorry, aber die Situation stellt sich dann doch etwas anders dar:

      Hier hat ein Typ, der selbst zugibt, gegenüber einer bestimmten Person sexuell übergriffig geworden zu sein, zum zweiten Mal quasi einen Übergriff vollzogen, indem er ihr Nein zur Verarbeitung ignoriert hat, um seinem Bedürfnis nach einer Verarbeitung bzw. reinen Weste, nach Anerkennung und Geld nachzukommen. Der Verlag hat das mitgetragen und rudert erst jetzt zurück, nachdem sich ein Imageschaden abzeichnet und die Kasse nicht mehr klingelt.

      Es braucht auch keine Gegenposition, sondern den ernsthaften Respekt gegenüber - hier - dem Opfer. Moritz reporudziert im Grunde das gleiche Muster, nur in einem anderen Feld. Deshalb trifft die Kritik des Artikels mMn. auch zu.

      "Dass der Autor hingegen dem Verlag mitteilte, dass das Opfer seines Übergriffs nicht einverstanden mit der Veröflentlichung ist, legt nahe, dass er es vorher informiert und um sein Einverständnis gebeten hat, sich dann aber, aus welchen Gründen auch immer, darüber hinweggesetzt hat. Das wäre wahrlich schäbig."

      Das WÄRE nicht schäbig, das IST schäbig, denn genau so war es ja. Vielleicht den Artikel nochmal lesen.

      • @White_Chocobo:

        Nein heißt nein. Es dann trotzdem zu tun ist ein Übergriff. Punkt

  • Ohne den Text oder den Sammelband zu kennen, finde ich die Argumentation, es sei ein literarischer Text und der Bezug zum Opfer daher nicht gegeben, im Grunde einleuchtend. Es ist eben vermutlich kein biografischer Tatsachenbericht sondern das, was man gemeinhin als Autofiktion bezeichnet und täglich in den Kolumnen und Polemiken jeder großen Tageszeitung lesen kann. Verletzte Persönlichkeitsrechte werden dort in der Regel nicht geltend gemacht. Wie nah die Erzählung den tatsächlichen Ereignissen folgt, können ohnehin nur die beiden Betroffenen wissen.

    In jedem Fall scheint die Anonymität der Betroffenen ja offenkundig gewahrt zu bleiben.

    • @wintermute:

      Sie glauben, ohne den Text zu kennen, das beurteilen zu können?

      Der Typ macht erst mea culpa und streicht dann die Kohle ein. So sieht es aus.



      Patriarchat at its best.