Kriterien für Lockdown-Ende: Die Gesellschaft soll nachdenken
Der Ethikrat steckt das Terrain der Debatte über das Ende des Lockdowns ab – und kritisiert zwischen den Zeilen Merkels Krisenkommunikation.
Die Bundesregierung versucht alle Debatten, wann der Lockdown endet, sorgsam auszutreten. Kanzleramtschef Helge Braun hatte unvorsichtigerweise mal angedeutet nach Ostern könne man vielleicht Maßnahmen lockern – um danach die Diskussion wieder zu ersticken. Merkel fürchtet, dass jedes Signal in diese Richtung als Entwarnung missverstanden wird, das nur falsche Hoffnung schürt, dass alles bald wieder gut sei und die mühsam erarbeitete Disziplin des Kontaktverbots ruiniert.
Am Montag hatte die Kanzlerin die Botschaft noch mal wiederholt und um die Formulierung ergänzt, sie denke „Tag und Nacht“ über den Prozess nach, „mit dem das öffentliche Leben auch wieder Schritt für Schritt möglich wird“.
„Der Rechtfertigungsdruck für den Shutdown steigt“, stellt kühl der Theologe Dabrock in der Bundespressekonferenz fest. Er lobt die Arbeit der Regierung in der Pandemiekrise in höchsten Tönen – aber es ist die Art von Lob, die als Verpackung für die eigentliche Botschaft dient. Nämlich: Es wäre schön, wenn nicht nur die Kanzlerin „Tag und Nacht“ nachdenkt, wie der Lockdown endet, sondern die ganze Gesellschaft.
Der Jurist Steffen Augsberg sieht die Gefahr „einer Eskalationslogik von immer mehr Beschränkungen“ – anstatt Ideen zu diskutieren, wie man aus dem Lockdown wieder herauskommt.
Rückfall in „obrigkeitstaatliches Denken“
Natürlich sei es hierzulande noch zu früh für Öffnungen – wie Dänemark sie ankündigt –, und auch das Räsonieren, wann genau der Zeitpunkt gekommen sei, scheint dem Ethiker Darbock derzeit wenig fruchtbar. Zwingend nötig für eine offene Gesellschaft aber sei „die Debatte über die Kriterien“, wann man Einschränkungen zurücknehmen könne. Ohne konkretes öffentliches Nachdenken über das Ende des Kontaktverbots drohe ein Rückfall in „obrigkeitstaatliches Denken“.
Dabrock warnt davor, gebannt auf Infektions- und Todeszahlen zu starren und dabei „die Opfer des Lockdowns“ aus dem Blick zu verlieren. Zu den Kollateralschäden gehörten Kranke, die auf fällige Operationen verzichten müssen bis hin zu Depressiven, deren Therapie gestrichen wird.
All das ist keine Kritik an dem, wie Bund und Länder handeln – aber, wenn auch durch die Blume und abwägend formuliert, fast eine Abrechnung mit der Flucht der Bundesregierung in die Einsilbigkeit. Von dem Argument, die Regierung dürfe dem Volk bloß keine trügerischen Hoffnungen machen, hält Darbock gar nichts. Im Gegenteil: Gerade in der Krise brauche die Gesellschaft realistische Hoffnungsbilder für die Zeit danach. Merkels Krisenkommunikation sei „verbesserungsfähig“, so Dabrock.
Offene Debatte ist notwendig
Auch bei der Opposition, die bislang äußerst verantwortungsbewusst und vorsichtig mit Kritik an den Maßnahmen der Regierung war, regt sich Kritik. Der Grünen-Fraktionschef Toni Hofreiter fordert der taz gegenüber „eine offene Debatte über die Phase nach dem Lockdown. Das weitere Krisenmanagement wird nur dann weiter auf breites Vertrauen stoßen, wenn die Bundesregierung ihre Überlegungen offenlegt und zur Debatte stellt.“
Jan Korte, Parlamentarischer Geschäftsführer der Linksfraktion, sieht die Regierung kritisch: „Die Bundesregierung kann nicht alleine entscheiden, wann und wie die nächsten Schritte sind. Da fehlt die Transparenz.“ Und, so Korte zur taz: „Das Parlament muss eingebunden sein.“
Daniel Günther, CDU-Ministerpräsident in Kiel, hat das rhetorische Quarantänecamp schon mal verlassen. Er hält es, so Günther zur Zeit, für möglich, Restaurants und Cafés wieder zu öffnen. „Wo es räumlich möglich ist, den Abstand zu wahren, kann man Regelungen auch wieder lockern.“ Am 14. April treffen sich die MinisterpräsidentInnen mit Merkel. Dann soll entschieden werden, ob und wann es Lockerungen gibt.
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