Krise in Österreichs Sozialdemokratie: Spindoktors Traum
Die österreichische Sozialdemokratie ist in der Krise. Für ihre Erneuerung kämpft der Parteilinke Andreas Babler, Bürgermeister und Held der Basis.
D ie österreichische Sozialdemokratie steckt seit Jahren in einer Krise, die sich als Machtkampf zwischen zwei rivalisierenden Fraktionen äußert. Wobei „äußert“ etwas irreführend ist. Denn der Konflikt gärte meist unterschwellig, drang gelegentlich an die mediale Oberfläche, bis er vor Kurzem mit Getöse auf die offene Bühne trat.
Per Mitgliederbefragung soll nun der neue Parteivorsitz gewählt werden. Unerwartet trat ein dritter Kandidat auf den Plan, der die Karten neu mischte: der linke Bürgermeister Andreas Babler von Traiskirchen.
Babler präsentiert nicht nur sein Programm, er inszeniert sich als neuen Typus – ein Gegenmodell zum gängigen Politikertypus. Hier geht es nicht um eine Bewertung: Weder um die Schwärmerei seiner Fans – noch um die naserümpfende oder (schlimmer) wohlwollende Verachtung der Kritik. Es geht hier nur darum zu verstehen, worin die Eigentümlichkeit dieses Typs besteht.
Babler betont stets, er möchte jene Wähler zurückholen, die „angefressen sind“ von der Politik, vom Establishment und von der Sozialdemokratie. Damit hat er den Ton vorgegeben: das Anti-Elitäre.
Enttäuscht und wütend
Das Anti-Elitäre ist aber nicht nur das Thema der enttäuschten und wütenden Bürger – in einem Schulterschluss macht Babler es zum Leitmotiv des gesamten Prozesses der aus den Fugen geratenen SPÖ auf der Suche nach ihrer Rettung. Die Vorsitzendenwahl wird damit umcodiert: von einer Auseinandersetzung zwischen verschiedenen Fraktionen zu einer Auseinandersetzung zwischen Mitgliedern und Funktionären, zwischen Parteibasis und Establishment. In diesem Gefecht ist Babler nun der Kandidat der Anti-Elite. In doppelter Hinsicht.
Erstens gehört er nicht zur Parteielite. Er gehöre vielmehr zum „Herzen“ der Sozialdemokratie, wie er betont. Und das sei die Basis. Die Basisorganisationen. Das „Herz“ der Sozialdemokratie ist für Babler sowohl Metapher für die zentrale Funktion als auch für Gefühle. Von daher rühre seine Leidenschaft. Dafür brenne er. Und dieses Feuer will er auch bei den Wählern erzeugen: Eine Politik, die ihre Lebensrealität verbessert, soll die Menschen begeistern. Dafür und dadurch will er die zerstrittene österreichische Sozialdemokratie einen.
Arbeiterkind als umgekehrter Adelsbeweis
Zweitens aber präsentiert sich Babler nicht nur als jener Kandidat, der das Anti-Elitäre vertritt – sondern als jener, der es auch verkörpert. Beglaubigt durch seine andere Herkunft – nicht nur aus der Basis der Partei, sondern auch aus der Basis der Gesellschaft: ein echtes Arbeiterkind. Ein umgekehrter Adelsbeweis gewissermaßen: Beglaubigung durch Herkunft.
Das soll nicht nur bezeugen, dass er Sorgen der gewöhnlichen Menschen kennt. Diese Herkunft prägt auch seine Haltung. Sie bestimmt seine Politik und Sprache: Sowohl was er sagt – als auch wie er es sagt. Die Frage seines Dialekts ist keine Frage der Form, die getrennt von den Inhalten wäre.
Hier wird die Form zum politischen Programm – und das gibt die Form des Auftretens vor. Links ist dabei nicht nur eine Frage der Positionierung, sondern eine Existenzweise. Genau darin gründet sein Gegenmodell. Er verbürgt seine Politik mit seiner Person. Gegner nennen es Sozialromantik, Fans nennen das authentisch.
Gipfel von Coaching ist Glaubwürdigkeit
Paradoxerweise wäre dies der Traum jedes Spindoktors. Deren Ideal besteht darin, Politiker so aussehen zu lassen, als ob sie ihrer nicht bedarf. Der Gipfel von Coaching ist Glaubwürdigkeit – die immer auch Inszenierung von Glaubwürdigkeit ist. Und diesem Widerspruch entgeht auch Babler – ohne Spindoktor und Medientraining – nicht.
Bablers Rezept gegen den Verfall der Sozialdemokratie ist ein „back to the roots“ – eine Rückbesinnung auf die Quellen, als diese noch sprudelnde politische Energie bedeuteten. Wo Leidenschaft, Kampfgeist, Glaubwürdigkeit noch unmittelbar und selbstverständlich waren. All das ist heute nur mehr vermittelt zu haben – vermittelt durch ein zeitgenössisches Element: die Identität. Genau das zeigen Bablers Auftritte: Er bürgt fürs Gegenmodell mit seiner Identität.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour
Täter von Magdeburg
Schon lange polizeibekannt
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt