Kriminologe über Unsicherheitsgefühle: „Eine ver­wirrende Weltlage“

Kriminologe Nils Zurawski glaubt, dass die zunehmenden Unsicherheitsgefühle vieler Menschen nicht nur mit Kriminalität zu tun haben.

Ein kräftiger Mann lehnt an einem Geländer. Auf seiner Jacke steht "Security".

Vom zunehmenden Gefühl der Unsicherheit profitiert eine ganze Branche Foto: dpa

taz: Die Kriminalitätsrate sinkt stetig – und paradoxerweise zugleich das subjektive Sicherheitsempfinden. Kann man da nur mit den Schultern zucken, Herr Zurawski?

Nils Zurawski: Dieser Befund wird seit Jahr und Tag erzählt. Die Frage beim Sicherheitsgefühl ist, wovon es eigentlich abhängt.

Nämlich?

Etwa von der persönlichem Arbeitssicherheit, der allgemeinen Lebenssicherheit, Gesundheit, den Nachrichten aus der ganzen Welt. Die Polizei hat sich das Thema in den letzten 20 Jahren zu eigen gemacht und die Politik geht damit hausieren.

Das heißt, Sie finden das Thema irrelevant?

In anderen Bereichen, etwa bei der Atomkraft, haben die Politiker weniger Wert auf das Sicherheitsempfinden gelegt.

Vielleicht glauben sie heute, dass das Thema der AfD nutzt.

Nils Zurawski, 49, forscht im Bereich Kriminologische Sozialforschung der Uni Hamburg.

Die Realität ist eine andere: Weder werden wir ständig auf der Straße überfallen, noch vergewaltigen marodierende Banden blonde deutsche Frauen und die aufgebrochenen Autos liegen meist in Preisregionen, die den durchschnittlichen AfD-Wähler nicht betreffen.

Aber diese Wähler, und nicht nur die, empfinden es ja anders.

Man darf nicht unterschätzen, was an Medieninformationen auf die Menschen niederprasselt und was sie auf sich niederprasseln lassen. Das für sich rational zu verarbeiten, bedarf enormer Anstrengung. Nehmen wir die Ereignisse der Kölner Silvesternacht: Ein Ereignis erscheint so, als seien es 20. Es wirkt, als sei um uns das absolute Chaos und nichts mehr beherrschbar.

Gerade ältere Menschen fühlen sich unsicher – die aber sind doch weniger im Dschungel sozialer Medien unterwegs.

Alte Leute sind am wenigsten gefährdet, Opfer von Kriminalität zu werden – aber sie werden persönlich unsicherer. Das hat damit zu tun, dass man sich in der Welt nicht mehr so flink fühlt. Am sichersten fühlen sich die kraftstrotzenden jungen Männer – obwohl sie statistisch gesehen häufiger Opfer von Straftaten sind.

Das heißt, das Sicherheitsgefühl bleibt irrational?

Das Gefühl ist schon real, aber die Gründe sind irrational. Vielleicht speist sich das Unsicherheitsgefühl aus anderen Quellen als bloß aus der Kriminalität. Beim Einbruch denken die Leute, ich baue stärkere Türen ein, das gestohlene Auto zahlt die Versicherung. Wobei Opfer werden immer eine Unsicherheit hinterlässt. Aber eine generelle Unsicherheit entsteht eher aus der Angst um den Arbeitsplatz, um die Umwelt, um eine verwirrende Weltlage.

Wie kann man der begegnen?

Menschen fühlen sich sicher, wenn sie das Gefühl haben, autonom handeln zu können. Das trägt mehr zum Sicherheitsgefühl bei als Kriminalitätsstatistiken, die mich letztlich nicht immer direkt betreffen. Aber das kann man nicht verordnen.

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