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KriminalitätDie Angst vor dem Feuerteufel

Zum zweiten Mal in drei Wochen ist ein vietnamesischer Markt abgebrannt. Wahrscheinlich war es Brandstiftung. Hintergrund könnten Konkurrenzkämpfe zwischen Großhändlern sein. Auch der Zigarettenschmuggel nimmt zu.

Das Feuer ist das einzige Thema im Dong-Xuan-Großhandelszentrum, Berlins größtem Asiamarkt. Nur 300 Meter von dem Lichtenberger Asia-Center entfernt brannte am Freitag das Lager von drei vietnamesischen Kollegen, die Geschenkartikel, Kleidung und Weihnachtsdekoration importieren, vollständig ab. Viele der vietnamesischen Händler im Großhandelszentrum bezogen ihre Waren von ihnen. Noch steht die Brandursache nicht fest; die Polizei konnte bis Montagnachmittag auch noch nicht sagen, ob es Brandstiftung war oder ein Unfall. Aber Minh, ein Kunde, der gerade für seinen Geschenkartikelladen in Steglitz einkauft, ist sich sicher: "Der Feuerteufel geht jetzt um bei den vietnamesischen Händlern in Berlin."

Denn drei Wochen zuvor hatte es auch auf dem Gelände des Dong-Xuan-Markts selbst gebrannt. Das 2.000 Quadratmeter große Lager eines vietnamesischen Schnäppchenhändlers, ein Nebengebäude des Markts, ist seitdem nur noch eine Ruine. Die Polizei geht in diesem Fall zweifelsfrei von Brandstiftung aus. Mehrere Händler des Marktes haben bereits ihre Zeugenaussagen gemacht. Allerdings nicht, wie zu vermuten wäre, bei Spezialisten, die für die Bekämpfung des Rechtsextremismus zuständig sind, sondern beim Kommissariat zur Bekämpfung der organisierten vietnamesischen Kriminalität. Dort vermuten die Experten Konkurrenzkämpfe unter den vietnamesischen Großhändlern.

Berlin ist das einzige Bundesland, in dem die Polizei seit den 90er-Jahren durchgängig ein Kommissariat zur Bekämpfung der organisierten vietnamesischen Kriminalität unterhält. Damals ging es um den illegalen Zigarettenhandel und die Morde unter den Schutzgelderpressern. Um das Jahr 2000 herum galt der illegale Zigarettenhandel in der Stadt als weitgehend zerschlagen. Die Polizei hatte die vietnamesischen Mafiabanden ermittelt, die die Zigarettenhändler um Schutzgelder erpressten und zahlreiche Morde begangen hatten. Die Schuldigen sitzen hinter Gittern. Und der Zoll hatte die zumeist osteuropäischen und deutschen Banden gestellt, die die Zigaretten nach Berlin brachten, und durch Verhaftungen die Nachschubwege ausgedünnt. Damals sprach der Zoll von einem Rückgang des Schwarzmarkthandels um die Hälfte. Auf diesem niedrigen Stand stagnierte der Zigarettenschmuggel einige Jahre.

Doch seit 2006 steigen die Zahlen wieder dramatisch an. Und heute kann man die Schwarzzigaretten an deutlich mehr Verkaufsplätzen kaufen als noch vor einem Jahr - auch im Westteil der Stadt. Zur erhöhten Nachfrage nach Billigrauchware trug das Auslaufen der steuergünstigen Zigarettensticks Mitte 2006 ebenso bei wie die Erhöhung der Mehrwertsteuer im Januar. Eine Marktforschungsstudie im Auftrag der deutschen Zigarettenindustrie geht davon aus, dass 44 Prozent der in Berlin gerauchten Zigaretten unversteuerte Ware sind. Käufer sind laut der Studie nicht nur arme Menschen, sondern Vertreter aller sozialen Schichten.

Laut Katja Kempe vom Zollfahndungsamt Berlin-Brandenburg wurden in den ersten sechs Monaten dieses Jahres in beiden Bundesländern 59 Millionen Zigaretten sichergestellt; die 1,3 Millionen, die im Straßenhandel beschlagnahmt wurden, nicht mitgezählt. "Wir haben es mit ganz anderen Handelsstrukturen zu tun als in den 90er-Jahren", sagt die Zollsprecherin. Kam die Schwarzmarktware damals aus den Fabriken der Originalhersteller, so handle es sich heute überwiegend um Fälschungen. "Genaue Zahlen haben wir nicht. Aber deutlich über die Hälfte der schwarz gehandelten Zigaretten sind Falsifikate."

Die würden unter höchst problematischen hygienischen Bedingungen in China und Osteuropa produziert und enthielten sehr hohe Schadstoffwerte, etwa Teer, Nikotin, Blei und Kadmium. Schwarz gehandelte Zigaretten zu rauchen sei also "ein zusätzliches Gesundheitsrisiko, vor dem wir ausdrücklich warnen", so die Zollsprecherin. Vor einem Jahr hob die Polizei in Tschechien zwei illegale Fabriken aus, 400 Tonnen Rohtabak wurden beschlagnahmt und mehr als 100 vietnamesische und tschechische Fließbandarbeiter festgenommen. Der Hinweis auf die Tatorte kam aus Berlin, wo die Abnehmer sitzen und observiert wurden.

Die Zigarettenverkäufer sind nicht, wie vielfach angenommen, ehemalige DDR-Vertragsarbeiter. Sie wurden vielmehr vor kurzem erst von ihren Familien nach Deutschland geschickt, um hier Geld zu verdienen. Weil das legal nicht geht, sind sie auf den Schwarzmarkt angewiesen. Zwei bis fünf Jahre bleiben sie in der Regel, bis Vietnam sie zurücknimmt. Als es nicht genug Zigaretten gab, suchten sie neue Betätigungsfelder. Viele kamen in der vietnamesischen Nischenökonomie unter. Sie haben Gemüse für Restaurants geschnitten oder Blumensträuße gebunden für vietnamesische Blumenhändler - oft in Privatwohnungen, vor allen Augen verborgen. Einige haben Kinder betreut und sich im Haushalt nützlich gemacht.

Vor drei Jahren kam es zur Krise der vietnamesischen Ökonomie. Viele Familienunternehmer mussten ihre illegalen Hilfen wieder entlassen. Doch die standen unter dem Druck ihrer Verwandten in Vietnam, Geld zu schicken. Denn die Familien in oft armen, vom Boom in Fernost abgehängten Regionen hatten sie ausgesucht, das Geld für die Familien heranzuschaffen. So wuchsen neue kriminelle Netzwerke heran: Vietnamesische Banden räumten mit Umzugsautos ihren arglosen Landsleuten, die arbeiten waren, am helllichten Tag die Wohnung besenrein. Andere zogen bundesweit durch Drogerieketten zum Klauen. Während ein Mann die Verkäuferin ablenkte, räumten ein oder zwei andere Zigaretten, Kaffee oder Kosmetika in speziell präparierte Taschen. Ein weiterer wartete im Auto. Nach Ermittlungen der Polizei sollen die Drogerieartikel von einem Friseurladen in ebenjenem Dong-Xuan-Markt weitervertrieben worden sein, in dem jetzt der Feuerteufel umgeht.

Bundesweit ist der Brand am Freitag mindestens der zwölfte in einem Asiamarkt seit 1999. Von einer Ausnahme in diesem Jahr in Magdeburg abgesehen, bei dem die Kriminalisten noch rätseln, war es immer Brandstiftung. Immer brannte es nachts, immer blieben Personen unverletzt. Und bisher ist kein einziger Täter überführt worden. Am dichtesten waren die Ermittler in Leipzig an einem Erfolg, sagt Tom Jährig vom sächsischen Landeskriminalamt. "Die Staatsanwaltschaft hat einen ägyptischen Staatsangehörigen angeklagt, der einen Asiamarkt betreiben wollte, sowie zwei mutmaßliche Mittäter." Doch weil sie sich lediglich auf die Aussagen eines einzelnen Zeugen stützen konnte, reichte das dem Gericht nicht für eine Verurteilung. Die Männer wurden freigesprochen. In den anderen Fällen kam es nicht einmal zur Anklage.

Den schwersten und bisher kaum bekannt gewordenen Anschlag gab es in Berlin. Am 10. Juni 2006 warfen Unbekannte eine Bombe in einen Asiamarkt in Marzahn. Nur durch Zufall wurde niemand verletzt. Die Polizei sprach in einer Pressemeldung damals schlicht von einer "Explosion in Marzahn" - was klingt, als sei eben mal ein Gasrohr geplatzt. Und so sollte es vermutlich auch klingen. Denn in Deutschland war gerade die Fußball-WM angepfiffen worden, deren Sicherheitskonzept noch heute gern gefeiert wird. Eine Bombe in Berlin, auch wenn sie nicht in kausalem Zusammenhang mit diesem Megaereignis stand, hätte dieses Bild wohl erheblich beschädigt.

Simone Herberth von der Berliner Staatsanwaltschaft bestätigt den "Sprengstoffanschlag", was nicht ganz so schlimm klingt wie eine Bombe, aber dasselbe ist. "Wir haben Ermittlungen geführt gegen vier vietnamesische Tatverdächtige. Doch der Tatverdacht reichte nicht aus, um Anklage zu erheben", sagt sie. Im Juni 2007 seien die Ermittlungen eingestellt worden.

L., das vietnamesische Opfer des Anschlags, erfährt das wiederum von der Presse. "Ich bin stinksauer, dass die deutsche Polizei nicht die Leute finden kann, die eine Bombe in meinen Laden geworfen haben", sagt der einst erfolgreiche Lebensmittelhändler. Der Mittfünfziger hat in der DDR Physik studiert. Er stochert mit den Stäbchen in seinem Mittagessen und fragt: "Meine Überwachungskamera hat sogar einen Schatten des Tatfahrzeugs aufgenommen. Wieso konnte die Polizei die Leute nicht finden?"

L. ist davon überzeugt, dass nur Landsmänner ihm das angetan haben konnten, der Konkurrenz wegen. Denn in Berlin gab es immer mehr Verkaufsfläche für Asiamärkte bei gleichzeitig sinkender Kaufkraft. Die Ermittler hätten dem Opfer gegenüber damals sogar von einer sehr professionell gebauten Bombe gesprochen.

L. verkauft sein Gemüse und seinen Fisch aus Fernost heute nicht mehr in Marzahn, sondern in Lichtenberg. In ebenjenem Markt, in dem es vor drei Wochen brannte. Während er isst, spricht er vom Verdrängungswettbewerb. Die Nachricht von der Bombe hatte sich unter seinen Landsleuten schnell herumgesprochen. Aus Angst mieden sie seinen alten Markt. Die Händler verdienten nichts mehr. "Wir mussten umziehen, um nicht unterzugehen", sagt er leise. Heute gibt es diesen Markt in Marzahn nicht mehr.

Wenn die Bombenleger wirklich Konkurrenten waren, "dann haben sie ihr Ziel erreicht". Und er stöhnt weiter: "Keine Behörde hat uns geholfen. Niemand hat mir Hilfe angeboten oder aufmunternd auf die Schulter geklopft." Dass der Anschlag in den Medien totgeschwiegen wurde, geschah offiziell aus ermittlungstaktischen Gründen. Doch auch nach der Einstellung der Ermittlungen änderte sich nichts daran. Zumindest psychischen Beistand hätte L. nötig gehabt.

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