Kriminalität in den USA: In den Städten fließt Blut
Die Zahl der Tötungsdelikte steigt in den meisten Großstädten der USA in diesem Jahr deutlich an. Ein Grund dafür könnte die Corona-Pandemie sein.
„Vergangene Nacht brachte eine Familie ihr vierjähriges Kind zum letzten Mal ins Bett“, sagte Kansas Citys Polizeichef Rick Smith nach der Gewalttat. „So etwas sollte in unserer Stadt niemals passieren. Dieser tragische Tod sollte jeden in unserer Gemeinschaft zum Handeln anregen.“
Mit gerade einmal vier Jahren ist Taliferro das bisher jüngste Mordopfer in Kansas City in diesem Jahr. Die Stadt im US-Bundesstaat Missouri ist auf dem besten Weg, einen neuen Negativrekord aufzustellen. Über 100 Tötungsdelikte zählte die Stadt in den ersten sechs Monaten des Jahres und damit bereits 40 Prozent mehr als im gleichen Zeitraum 2019.
Aber Kansas City ist kein Einzelfall in den Vereinigten Staaten. Auch in Atlanta, Chicago, New Orleans oder Washington steigt die Zahl der Schießereien und Gewalttaten. Unter den Opfern finden sich auch immer wieder Kinder und Jugendliche.
Chicago wird eine blutige Stadt
Im New Yorker Stadtteil Brooklyn starb vor etwas mehr als einer Woche ein einjähriger Junge in seinem Kinderwagen. Unbekannte Täter eröffneten ohne Vorwarnung das Feuer auf eine Menschengruppe, die sich in der Nähe eines Spielplatzes zum Grillen getroffen hatten.
Eine Recherche der New York Times zeigte kürzlich, dass sich eine Reihe von US-amerikanischen Städten mit steigenden Mordzahlen konfrontiert sehen. Die Zeitung analysierte 25 Städte mit mindestens 250.000 Einwohnern. Das Ergebnis ist ein Anstieg von 16,1 Prozent über alle untersuchten Städte hinweg. Nur in fünf der 25 Städte war die Zahl der Tötungsdelikte rückläufig.
„Aus der windigen Stadt [„Windy City“, der Spitzname von Chicago] wird die blutige Stadt“, sagte Pfarrer Michael L. Pfleger gegenüber der New York Times nach einem Wochenende mit vielen Toten und Verwundeten in Chicago. „Ich habe noch nie Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit und Wut in einem solchen Ausmaß erlebt.“
Mehr als 330 Menschen wurden in der drittgrößten Stadt der USA im ersten Halbjahr ermordet. Das sind fast doppelt so viele wie in New York (176 Tötungsdelikte). Und das, obwohl Chicagos Einwohnerzahl nur etwa einem Drittel der New Yorks entspricht.
Was steckt hinter dieser besorgniserregenden Entwicklung? Zunächst einmal gilt es festzuhalten, dass Kriminalitätsraten in den Sommermonaten immer etwas ansteigen. Dies haben diverse Untersuchungen gezeigt. Aber dieser Sommer ist anders: Es gibt die Lockdownmaßnahmen der Coronapandemie samt ihren wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Auswirkungen. Und die verändern auch die Kriminalitätsstatistiken.
Niemand kennt Gründe für Gewalt
Laut einer kürzlich veröffentlichten Studie bedeuten Lockdown-Lockerungen nicht nur eine langsame Rückkehr zu alter Normalität, sondern sie bieten auch Gelegenheiten für Verbrecher und Gewalttäter. Richard Rosenfeld, Kriminologe an der University of Missouri – St. Louis und Co-Autor der Studie, sagt gegenüber CNN, es gebe klare Hinweise, dass die steigende Zahl von Gewalttaten teilweise mit der Wiedereröffnung von Restaurants und Geschäften zusammenhängt.
Ein weiterer Faktor könnte der Vertrauensverlust in staatliche Institutionen wie die Polizei sein, besonders nach dem gewaltsamen Tod George Floyds durch einen Polizisten in Minneapolis. Auch die anhaltenden Proteste gegen Rassismus und Polizeibrutalität könnten zu mehr Gewalt führen. In den Jahren 2015 und 2016 stieg die Mordrate in den USA an, als viele Amerikaner auf die Straße gingen, so die Studie.
„Die Wahrheit ist, wir wissen es nicht“, sagte Phillip Atiba Goff, Geschäftsführer für das Center for Policing Equity, im Gespräch mit der New York Times.
Für US-Präsident Donald Trump hingegen ist klar, wer Schuld am Anstieg der Gewalt hat – für ihn sind es die demokratischen Bürgermeister und Gouverneure, die nicht hart genug durchgreifen, sowie deren Rufe nach Kürzungen von polizeilichen Finanzmitteln. Dies habe zu „einer Explosion von Schießereien, Totschlag, Mord und schrecklichen Gewaltverbrechen geführt“, sagte Trump am Mittwoch. „Dieses Blutvergießen muss enden. Dieses Blutvergießen wird enden.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“