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Krimi-Klassiker aus ItalienEin Ex-Sträfling ermittelt

Die Krimis von Giorgio Scerbanenco sind eine lohnende Wiederentdeckung. Der Privatdetektiv Duca Lamberti gräbt tief in der Geschichte.

Girogio Scerbanenco bei der Arbeit Foto: Eredi Scerbanenco

Eine junge Frau wird mit aufgeschnittenen Pulsadern aufgefunden. Die Polizei vermutet einen Suizid. Schuldig an ihrem Tod glaubt sich ein junger Mann und trinkt sich fortan konsequent in Richtung Koma. Eine andere junge Frau nimmt ein älteres Paar im Auto mit, hält an einem Kanal und schiebt den Wagen samt ihren Mitfahrern ins Wasser. Hier hält die Polizei einen Unfall für die Todesursache. Eine junge Lehrerin schließlich wird von ihren jugendlichen Schülern so brutal misshandelt, dass sie an den Verletzungen stirbt. Mutmaßliches Motiv laut Polizei: Rache der Schutzbefohlenen.

In der Welt des Verbrechens, das den Alltag von Privatdetektiv Duca Lamberti beherrscht, geht es heftig zu. Die Fälle, mit denen er betraut ist, scheinen anfangs abgeschlossen. Erst während seiner Ermittlungen, die er oft gegen den Widerstand seiner Kollegen bei der Polizei verteidigen muss, werden Zusammenhänge deutlich, die den Blick auf gesellschaftliche Schieflagen oder Verdrängtes aus der Vergangenheit öffnen. Und auf die anscheinend grenzenlose Grausamkeit von Menschen.

Die Aufklärung der Verbrechen ist bei Lamberti nie eine bloße Angelegenheit des Whodunit. Dem Detektiv geht es vor allem um die Frage: Warum?

Zwischen Italien und der Ukraine

Duca Lambertis Schöpfer, der italienische Schriftsteller Giorgio Scerbanenco, gilt vielen als „Vater“ des „Giallo“, der italienischen, gern besonders blutigen Variante von Krimis. Mit Thrills, die Brutalität um des Schocks willen einsetzen, hat dieser Autor dabei wenig am Hut. Seine Krimis liefern zwar sehr vieles von dem, was das Genre verlangt, dazu aber noch einiges mehr. Der Unterschied zwischen Trivial- und Hochliteratur ist für ihn ziemlich unerheblich. Was mit dazu beiträgt, dass seine Romane längst den Status von Klassikern erlangt haben, an deren bleibende Vorzüge immer mal wieder durch Neuauflagen erinnert werden muss, wie es aktuell der Folio Verlag tut.

Scerbanenco hatte schon mehr als 30 Jahre Erfahrung als Autor, Journalist und Redakteur hinter sich, als er gegen Ende seines Lebens mit der Duca- Lamberti-Tetralogie begann. Und zudem einiges an Lebenserfahrung vorzuweisen. Geboren 1911 als Vladimir Šerbanenko in Kiew, floh seine italienische Mutter mit ihm, als er gerade mal ein halbes Jahr alt war, nach Ausbruch der Russischen Revolution aus der Ukraine. Sie zog mit dem Sohn zunächst nach Rom, ihre Heimatstadt.

Als beide 1919 in die Ukraine zurückkehrten, war Scerbanencos Vater in der Zwischenzeit als „Konterrevolutionär“ erschossen worden, weil er als Lehrer im Dienst des zaristischen Russland gestanden hatte.

Scerbanenco und seine Mutter emigrierten 1927 dann nach Mailand. Seine Mutter starb allerdings schon zwei Jahre später. Scerbanenco, der noch nicht einmal die Grundschule fertig besuchen konnte, musste sich darauf für einige Zeit mit diversen Arbeiten selbst ernähren, unter anderem als Rettungsfahrer, bis er vom Schreiben, seiner eigentlichen Leidenschaft, leben konnte.

Ein leicht ramponierter Held

Auch Duca Lamberti, der leicht ramponierte Held der Reihe, ist von Scerbanenco mit einem für einen Polizisten unüblichen Werdegang ausgestattet worden. Der studierte Mediziner hat zu Beginn des ersten Bands „Das Mädchen aus Mailand“ (1966), vor ein paar Jahren seine Approbation als Arzt verloren, weil er wegen Sterbehilfe verurteilt wurde, und weiß, frisch aus dem Gefängnis entlassen, noch nicht so richtig, wie wieder Fuß fassen. Er nimmt notgedrungen einen mäßig interessant klingenden Auftrag an, bei dem er den Sohn eines reichen Mailänder Ingenieurs von einer ausgeprägten Alkoholsucht kurieren soll.

Das Verbrechen, das Lamberti im Lauf des Romans erfolgreich aufdecken wird, ohne überhaupt offiziell bei der Polizei tätig zu sein, skizziert Scerbanenco eingangs auf knappstem Raum in einem Prolog. Dann passiert eine ganze Weile erst einmal scheinbar fast nichts: Lamberti trifft auf seinen Schützling, Patienten darf er ja keine mehr haben, beobachtet dessen exzessives Saufgebaren und macht sich seine Gedanken, was dieses Verhalten bei dem jungen Mann ausgelöst haben könnte.

Scerbanenco gibt sich hier nicht allein als Meister der Dramaturgie, sondern auch der psychologischen Feinzeichnung zu erkennen. Denn sein Lamberti ist selbst eine vielfach brüchige Figur. Kein wahrer Sympathieträger, hat er dennoch so viel moralische Skrupel und soziale Sensorien, dass er, bei aller Neigung zu Wutausbrüchen und Kaltschnäuzigkeit, als Mensch mit Verantwortungsbewusstsein und Gerechtigkeitssinn erscheint. Wenngleich als einer, der es sich selbst nicht leicht macht und es, im Knast insbesondere, nicht immer leicht hatte.

Diskussionen mit einer Philosophiestudentin

Die verschiedenen Reflexions- und Erzählebenen bringt Scerbanenco mit allerhand unauffälligen Kunstgriffen ins Spiel. Einer ist die Einführung der Figur Livia Ussaro. Der begegnet Lamberti im ersten Band während seiner Ermittlungen und ist sofort von der intellektuellen Schärfe der ehemaligen Philosophiestudentin angezogen, mit der er, sofern das Tagesgeschäft erlaubt, über Kant oder psychoanalytische Phänomene wie Hysterie diskutiert.

Ussaro ist eine so starke wie ungewöhnliche Person, die den Dingen mit streng rationalem Blick auf den Grund geht und die über ein noch strengeres Moralempfinden verfügt. Was sie dazu animiert, Lamberti bei seiner Arbeit tatkräftig zu unterstützen und dafür sogar ihr Leben zu riskieren.

Scerbanenco istein Meister der Dramaturgie und der psychologischen Feinzeichnung

Bevor er Ussaro erfand, hatte sich Scerbanenco schon eine ganze Weile mit weiblichen Bedürfnissen und Sichtweisen befasst. Er schrieb von 1931 an Fortsetzungsromane für italienische Frauenzeitschriften, bei denen er zum Teil auch als Redakteur arbeitete. Erst knapp zehn Jahre später legte er seinen ersten Krimi vor, „Sei giorni di preavviso“, den Auftakt zu seinen Romanen um den Bostoner Polizeiarchivar Arthur Jelling. Auch die Sparten Western und Science-Fiction bediente Scerbanenco.

Dem Detektiv bei der Arbeit zusehen

In seinen Duca-Lamberti-Romanen knüpfen die einzelnen Bände an den jeweils vorangegangenen an. So entwickelt sich die Beziehung zwischen Lamberti und Ussaro ganz allmählich weiter, während die Spur der Verbrechen in „Verräter und Verratene“ (1966) über diverse Umwege zu italienischen NS-Kollaborateuren führt – oder in „Der lombardische Kurier“ (1968) von der mordenden Schulklasse aus schwer erziehbaren Heranwachsenden Duca Lambertis Verdacht schnell auf eine erwachsene Person als Anstifterin im Hintergrund fallen lässt.

Das Buch

Giorgio Scerbanenco: „Duca Lamberti ermittelt“. Bisher erschienen sind die Bände: „Das Mädchen aus Mailand“, „Verräter und Verratene“, „Der lombardische Kurier“. Im Juni folgt „Der pflichtbewusste Mörder“. Alle aus dem Italienischen von Christiane Rhein. Folio Verlag, Wien 2018–2019, je ca. 260 Seiten, 18 Euro

Besonders in „Der lombardische Kurier“, das in seiner Schilderung eines bestialischen Verbrechens keine leichte Lektüre bereitet, verpasst Scerbanenco seinem Ermittler zahllose Ecken und Kanten. Er lässt die Leser an Lambertis auf ihre schroffe Art durchaus erbaulichen Gedanken teilhaben, ohne diese immer bis ins Letzte auszubuchstabieren. Was einen der großen Reize ausmacht, diesem kaum greifbaren Herrn bei der Arbeit zuzusehen. Bei der er etwa auf eine Sozialarbeiterin trifft, die ihr Wissen über fortschrittliche Jugendarbeit in einem Heim in Westberlin sammelte, dort ihrer sexuellen Orientierung wegen aber nicht weiterarbeiten durfte. Scerbanenco protokolliert solche Dinge, ohne sie zu kommentieren. Denken kann man dann ja selbst.

Eine Fortsetzung der Reihe war Scerbanenco nach dem letzten Band „Der pflichtbewusste Mörder“ (1969) nicht mehr möglich. Im Jahr des Erscheinens starb er mit 58 Jahren an einem Herzinfarkt. Er hatte mehr als 60 Romane veröffentlicht.

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