piwik no script img

Kriegstote in der UkraineWenn dir der Tod die Hand reicht

Krieg in der Ukraine ist auch Sterben und Trauern. Das kann man verdrängen. Bis es einen persönlich betrifft.

Ukrai­ne­r:in­nen reichen sich Habseligkeiten aus ihrem von einer russischen Bombe zerstörten Haus Foto: Efrem Lukatsky/ap

W enn man in Kyjiw genug Geld auf dem Konto hat, ist es leichter, den Krieg zu überstehen. Ja, das klingt wie eine Binsenweisheit – besser reich und gesund als arm und krank. Aber die fetten Privilegien hat noch niemand abgeschafft. Es ist besser, das zu akzeptieren, als das eigene Leben und das der Menschen in den besetzten Gebieten oder im Frontgebiet in die Waagschale zu werfen. Zur gleichen Zeit sollte man nicht fremde Erfahrungen und fremdes Leid abwerten. Das Schlimmste, was uns passieren kann, ist der Tod.

Война и мир – дневник

Чтобы как можно больше людей смогли прочитать о последствиях войны в Украине, taz также опубликовал этот текст на русском языке: here.

In meinem entfernteren Bekanntenkreis sind auch Menschen ums Leben gekommen. Als erstes starb in diesem Krieg ein Aktivist, den ich von Facebook „kannte“. Im echten Leben hätte ich mit ihm in ideologischen Fragen kaum übereingestimmt. Jetzt ist er im Krieg gestorben. Es stellte sich heraus, dass viele meiner Freun­d*in­nen ihn persönlich kannten und jetzt um ihn trauern. Dann wurde ein Mädchen aus meiner früheren Schule durch Granatsplitter getötet. Wir kannten uns nicht persönlich, aber ich erinnere mich an ihr Gesicht.

Dann starb einer meiner Interviewpartner, der Befehlshaber einer Freiwilligeneinheit. Wir hatten uns einige Male getroffen. Ein Mann um die 50, so groß wie mein Vater. Sein Begräbnis fand in der Nähe meiner Arbeitsstelle statt. Auf dem Weg traf ich Leute mit Fahnen.

Noch etwas später erfuhr ich, dass ein alter Bekannter von mir gestorben war, ein Aktivist, den ich bei den Protesten 2014 kennengelernt hatte. Er hat mich im März 2014 mehrmals vor Anhängern der „Volksrepublik Donezk“ gerettet. Nach Beginn des russischen Großangriffs zog er in den Krieg und starb in diesem Herbst. Wir hatten uns hin und wieder Nachrichten geschickt. Wir verabschiedeten uns von ihm auf dem Platz, an dem uns früher prorussische Demonstranten attackiert hatten.

Roman Huba

stammt aus der Ostukraine und war nach Beginn des Krieges im Donbass 2014 nach Kyjiw gekommen. Am ersten Kriegstag 2022 war er nach Lwiw geflohen, nach 100 Tagen ist er zurück in Kyjiw. Er war Teilnehmer eines Osteuropa-Workshops der taz Panter Stiftung.

Jede/r Ukrai­ne­r*in hat Bekannte, Freun­d*in­nen und Verwandte, die in diesem Krieg gestorben sind. Die einzige Frage ist, wie viele es sind. Der Tod hat mir die Hand gereicht, aber das ist nicht das Ende. Ich habe gute Chancen, diesen Winter und diesen Krieg zu überleben. Aber werde ich das alles jemals vergessen können?

Aus dem Russischen Gaby Coldewey

Finanziert wird das Projekt von der taz Panter Stiftung.

Ein Sammelband mit Tagebüchern ist im Verlag edition.fotoTAPETA erschienen

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
  • advent, advent ...

    ein kleines totenlichtlein brennt.

    es schmückt ein schmucklos' grab mit 'ner geschicht'.

    doch den kalten toten kennt man nicht.

    zuviele und zu fern dem eigenen heimatort.

    der eis'ge wind trägt ihre toten, stummen schreie fort.

    advent, advent ...

    ein kleines friedenslichtlein brennt.

  • Krieg ist Scheiße!



    Ein berührender Artikel.



    Die Alltäglichkeit des Leids wird hier deutlich.



    Im Krieg leidet die Bevölkerung am Meisten.



    Lässt man die russische und ukrainische Propaganda beiseite, sprechen Quellen der USA von bisher 100 000 getöteten russischen Soldaten, 100 000 getöteten ukrainischen Soldaten, sowie 40 000 getöteten ZivilistInnen.



    Das muss aufhören!



    Der Westen muss beginnen, mit sanftem Druck Verhandlungen anzustrengen.



    Es ist unzweifelhaft, dass Putin den Krieg begonnen hat.



    Selenskys Meinung, das Ziel müsse sein :" Russland die Möglichkeiten zu terroristischen Handlungen zu entziehen" ist aber ebenfalls bemerkenswert.



    Was soll das heißen? Am Ende soll eine Entmilitarisierung Russlands stehen?



    Krieg ist keine Lösung.



    Mehr Waffen daher logischerweise auch nicht.



    Die Tatsachen, dass durch den militärischen Konflikt sowohl der Hunger in der Welt zunimmt, als auch die Klimaerwärmung angefeuert wird, sind weitere Gründe, für einen Waffenstillstand.



    Die Behauptung " man könnte mit Putin nicht verhandeln", wurde durch die Getreideverhandlungen , die Kriegsgefangenen Austausche und jüngst den Gefangenenaustausch im Fall Griner, widerlegt.



    Unsere Außenministerin hat sich durch Ihre eigenen Worte,leider selbst von Verhandlungen ausgeschlossen.



    Wir sollten derart wichtige weltpolitische diplomatische Aufgaben allerdings nicht Personen wie Erdogan überlassen.

    • @Philippo1000:

      "Krieg ist Scheiße!" Ja.

      " Im Krieg leidet die Bevölkerung am Meisten." Im 20ten Jahrhundert starben mehr Menschen durch Genozid als durch Krieg, als Nein. Tyrannei und Genozid ist schlimmer.

      -" sprechen Quellen der USA von bisher 100 000 getöteten russischen Soldaten, 100 000 getöteten ukrainischen Soldaten, sowie 40 000 getöteten ZivilistInnen." Nein 100.000 Gefallenen d.h. Tote und Verwundete, wobei die USA da nur die russischen Streitkräfte einbeziehen dazu kommen noch DPR und LPR und Wagner Verluste.

      " Das muss aufhören!" Mit genügend Waffen befreit die Ukraine bis nächsten Sommer alle Gebiete, dann kommt die Ukraine in die NATO und es ist Frieden.

      "Am Ende soll eine Entmilitarisierung Russlands stehen?" min. 1500 Panzer sind schon weg, bei Flugzeugen und Hubschraubern sind je nach Typ zwischen 10-30% zerstört. Die Entmilitarisierung Russlands läuft und sie läuft gut.

      " für einen Waffenstillstand" und wie lange hält der? Außer die NATO rückt ein und überwacht den wird Russland ihn wieder brechen.

      " Die Behauptung " man könnte mit Putin nicht verhandeln", wurde durch die Getreideverhandlungen , die Kriegsgefangenen Austausche und jüngst den Gefangenenaustausch im Fall Griner, widerlegt." in all diesen Fällen haben beide Seiten etwas bekommen, wie stellen sie sich das bei einem Friedensabkommen vor.

      " Unsere Außenministerin hat sich durch Ihre eigenen Worte,leider selbst von Verhandlungen ausgeschlossen." so wie die gesamte russische Führung? Im Vergleich zu denen ist unsere Außenministerin ein Engel.

    • @Philippo1000:

      Den ´sanften Druck´ gibt es längst - er nennt sich ´Sanktionen´. Sogar ´unsanften Druck´ gibt es, dass sind die Waffenlieferungen.



      Das Zwischen- und Nebenabkommen, wo die Ziele näher liegen (Gefangene, Getreide, ect) auf diplomatischem Wege vereinbar sind, ändert nichts am Grundproblem, dass bisher Putins Vorstellungen (Endsieg, Truppenparade mit Triumphzug auf dem roten Platz) und die der Ukrainischen und demokratischen westlichen Regierungen (Mindestens Rückzug auf Status von vor dem Krieg, bestenfalls Triumphzug in Sevastopol) unvereinbar sind und somit auch nichts zu verhandeln ist, bis der Krieg Fakten schafft, die die erreichbaren Ziele beider Seiten näher aneinander rückt.



      War in Jugoslawien ja auch nicht anders, Lichterkette hin, UN-Resulution her.