Kriegsschäden in der Ukraine: Verbrannte Erde

Im Krieg schert sich niemand um die Umwelt. Die Zerstörung in der Ukraine wird aber noch jahrelange Folgen für die Menschen vor Ort haben.

Durch ein kaputtes Fenster sieht man draußen einen Soldaten und viele Trümmer

Verwüstung nach einem russischen Luftangriff Foto: Vadimm Ghirda/ap

In Odessa, nur etwa zwei Autostunden von der Front entfernt, ragen tickende Zeitbomben wie silberne Finger in die Höhe. Ganz in der Nähe des Schwarzen Meeres stehen sie zwischen Wohn- und Bürogebäuden. Sie heißen Odessa Port Plant und sind eigentlich Silos. Noch im Februar produzierten sie Düngemittel und Chemikalien für die Lebensmittelindustrie. Heute liegen sie still. Und lagern Ammoniumnitrat, das Düngemittel, dessen Explosion im August 2020 große Teile der Innenstadt Beiruts zerstörte. Es ist zwar sicherlich besser gelagert als in Beirut. Sollten die russischen Truppen Odessa erreichen, ist eine ähnliche Explosion, ausgelöst durch herumfliegende Schrapnelle, Granaten oder Raketen aber nicht unmöglich.

Abgesehen von einem Zwischenfall in einem der riesigen Kernkraftwerke oder Atommüllzwischenlager (Atomlager sind Endlager) und dem Einsatz chemischer Waffen ist die Düngerfabrik in Odessa im Moment die größte Umweltgefahr für Mensch und Natur in der Ukraine. Es ist aber bei weitem nicht die einzige. Videos von brennenden Treibstoffdepots, Flugfeldern und ausgebrannten Fahrzeugen zeigen, dass es für die Menschen vor Ort ganz unabhängig von Sieg oder Niederlage um giftige Gase und kleinste Partikel in der Lunge und im Trinkwasser geht.

Für Eoghan Darbyshire sind diese Videos der wichtigste Anhaltspunkt, um Umweltzerstörung zu dokumentieren. Er arbeitet im nordenglischen Mythylmroyd am Conflict and Environment Observatory (CEOBS) daran, die Aufnahmen zu verifizieren und zu lokalisieren. Seine Liste gefährlicher Umweltverschmutzungen ist mehr als 100 Einträge lang. Was er findet, sagt er, sei aber „nur die Spitze des Eisbergs“.

In Mariupol, der heftig umkämpften Hafenstadt am Asowschen Meer, liegen zum Beispiel zwei riesige Stahlfabriken. Die Luftverschmutzung in der Stadt war schon in Friedenszeiten eine der schlimmsten Europas; wenn die Fabriken durch Beschuss beschädigt würden, mischen sich auch noch Schwermetalle in den giftigen Mix aus Baustaub und Ruß. Darbyshire kann aber aufgrund der schlechten Informationslage in und aus Mariupol derzeit nicht dokumentieren, wie stark die Schäden an den Stahlwerken bereits sind. „Allerdings sieht es nach der quasi totalen Zerstörung der Stadt aus“, sagt er.

Zu Anfang der Invasion, schildert Darbyshire, habe Russland noch sehr gezielt militärische Ziele angegriffen, sodass vor allem die Umgebung von Flugfeldern und Militärbasen von hoher Luftverschmutzung betroffen war. Aber durch den wahllosen Beschuss von Wohngebieten, den die russischen Truppen wenige Tage später begonnen haben, sei die Feinstaubbelastung in vielen Städten im Osten des Landes inzwischen sehr hoch. In Buchansky zum Beispiel brannte die Fabrik eines Dämmschaumherstellers bei Kiew ein Autozulieferer, in Chernihiv ein Baumarkt.

Bei Beschuss und Feuern in Wohnvierteln atmen die Menschen in der Umgebung viele Baustoffe und Chemikalien wie Beton und Asbest in hoher Konzentration ein

Bei Beschuss und Feuern in Wohnvierteln atmen die Menschen in der Umgebung viele Baustoffe und Chemikalien wie Beton und Asbest in hoher Konzentration ein, was an und für sich schon extrem giftig ist. Die Partikel in der Lunge lenken zudem das Immunsystem davon ab, Infektionskrankheiten zu bekämpfen – wie zum Beispiel das Coronavirus, vor dessen schneller werdenden Ausbreitung aufgrund des Krieges die WHO warnte. Langfristig können derart kleine Partikel Lungenkrebs verursachen und die Lebenserwartung um Jahre verkürzen. Das gefährdet nicht nur die Stadtbevölkerung, denn moderne Waffen verursachen derart große Explosionen, dass Aerosole hoch genug geschleudert werden, um vom Wind hunderte Kilometer weit getragen zu werden.

Moderne Waffen sind zudem nicht nur deswegen und während ihrer direkten Wirkung gefährlich, sondern auch, weil sie eine Vielzahl von Chemikalien enthalten. Besonders Feuer in Munitionsdepots seien gefährlich, sagt Darbyshire. Der Effekt der entstehenden Schadstoffe sei noch nicht ausreichend untersucht. Und wenn Soldaten Wälder als Deckung nutzen, werden sie gemeinsam mit den dortigen Pflanzen und Tieren Opfer von Artillerie und Luftschlägen.

In einigen Kratern, die Artilleriegranaten im Ersten Weltkrieg in Frankreich schlugen, wachsen selbst 100 Jahre nach dem Krieg keine Pflanzen. Und Landminen töten nicht nur direkt größere Säugetiere, sondern vergiften auch Pflanzen und Böden. Zudem dürfte die ukrainische Armee weitläufig Strände vermint haben, um eine russische Landung zu verhindern, sagt Darbyshire.

Wasser ist schon seit Jahren eine Waffe im Konflikt zwischen Russland und der Ukraine. Nachdem Russland die Krim besetzt hatte, staute die Ukraine den Nord-Krim-Kanal, der das Ackerland im Nordteil der Halbinsel seit den Siebzigerjahren mit Wasser versorgt. In den Folgejahren verringerte sich die Anbaufläche auf ein Zehntel. Eines der ersten Ziele der russischen Truppen war deswegen die Einnahme des Damms. Kurz nachdem sie ihn erreicht hatten, sprengten sie ihn.

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Dämme werden noch aus einem anderen Grund wichtig werden. Entlang des mächtigen Dnepr, die die Ukraine zweiteilt, wurden seit dem Zweiten Weltkrieg zahlreiche Staudämme errichtet, um Strom zu gewinnen. Weil die Dnepr ein so großer, breiter Fluss ist, gibt es nur wenige Stellen, an denen sie überquerbar ist. Dazu gehören auch die Dämme. Weil sie nicht so leicht zu sprengen sind wie Brücken, werden sie wahrscheinlich hart umkämpft sein.

Sollte ein Damm aufgrund der Kampfhandlungen – ob absichtlich oder versehentlich – brechen, hätte das katastrophale Konsequenzen für die Siedlungen und Ökosysteme flussab- und flussaufwärts: Dörfer werden überflutet, im Stausee gelagerte Schadstoffe vergiften die Böden und der mitgespülte Sand erstickt Fische.

Dass die russischen Streitkräfte Rücksicht auf Umweltschäden nehmen, ist nicht zu erwarten. Wie CEOBS schon im vergangenen Jahr in einem Bericht festgestellt hat, griffen russische Flugzeuge in Syrien absichtlich Ölraffinerien und Wasseraufbereitungsanlagen an und zeigten auch nirgendwo sonst Vorsicht bei ihren Artillerie- und Luftschlägen.

Am 3. März veröffentlichten mehr als 1000 Wis­sen­schaft­le­r*in­nen und Umweltschutzorganisationen einen offenen Brief, in dem sie sich mit den Menschen in der Ukraine solidarisierten und vom Internationalen Strafgerichtshof verlangten, Verbrechen an Mensch und Umwelt während des Krieges zu verfolgen. Schon 2013 begann ein Gremium der Vereinten Nationen, international verbindliche Rechtsgrundlagen für den Umweltschutz während Konflikten zu entwickeln. Das Projekt PERAC soll im August dieses Jahres abgeschlossen sein.

Im aktuellen Entwurf steht beispielsweise, dass Staaten in besetztem Territorium dafür Sorge tragen müssen, dass von der Umwelt keine Gefahr für die Gesundheit der dort lebenden Menschen ausgeht. Wenn Umweltschäden entstehen, sollen die betroffenen Staaten außerdem Anspruch auf Reparationszahlungen haben.

Wann und wie auch immer dieser Krieg endet: Die zerstörte Umwelt wird die Menschen im Land noch jahrelang belasten. Kriege lassen Institutionen geschwächt zurück und vernichten Expertise. Dem Umweltschutz wird beim Wiederaufbau selten Wichtigkeit beigemessen, oft mit katastrophalen Konsequenzen. Das zeigt deutlich der Donbass. Dort werden seit Beginn des Krieges 2014 alte Kohleschächte nicht mehr ordentlich ausgepumpt und gewartet.

Die Folge sind Flutungen in bis zu 200 Minen, die teilweise mit nuklearen Sprengungen gegraben wurden. Auf diese Weise können sich Mineralien und Chemikalien wie Quecksilber und Arsen im Grundwasser der ganzen Region verbreiten. Und Messungen des ukrainischen Umweltministeriums haben schon 2016 ergeben, dass in der gesamten Region die Strahlungswerte in Brunnen um ein Zehnfaches über dem Grenzwert liegen.

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